MAI erst wieder im Oktober

Verhandlungen über OECD-Abkommen ausgesetzt

Eigentlich hätte alles schon im Mai unter Dach und Fach sein sollen. Diesen Termin hatten sich die 29 OECD-Staaten gesetzt, um das multilaterale Investitionsabkommen MAI (Multilateral Agreement on Investment) zu unterzeichnen (siehe M 4/98). Doch der Zeitplan der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ist über den Haufen geworfen worden.

Seit 1995 wird über das MAI intensiv hinter verschlossenen Türen verhandelt. Das Multi-Abkommen soll eine uneingeschränkte Meistbegünstigung für Investitionen nebst der Klagemöglichkeit gegen Investionsbeschränkungen festschreiben. Seit in einigen Ländern bekanntgeworden ist, daß die Begünstigung internationaler Konzerne, die Beschneidung nationaler Souveränität bedeutet und Eingriffe in Sozial- und Umweltstandards sowie in die kulturelle Identität zu befürchten sind, regt sich Widerstand.

Bonner Anti-MAI-Kongreß

Proteste gegen das Abkommen gibt es auch in Deutschland. Am spektakulärsten kamen sie auf einem Bonner Kongreß von 550 MAI-Gegnern am Wochenende vor dem entscheidenden Treffen der OECD-Minister am 27. und 28. April in Paris zum Ausdruck. Auch die IG Medien war beteiligt. Doch der Widerstand deutscher Umweltschützer, Menschenrechtler und entwicklungspolitischer Gruppen wie Germanwatch und WEED bewegt weder die Bundesregierung zur Aufgabe ihrer MAI-Forcierungspolitik noch hatte er ernstlich Einfluß auf die Entscheidung der OECD-Ministerkonferenz.

Sie beschloß eine fast sechsmonatige Verhandlungspause für das MAI. Dieser erst in einer Nachtsitzung gefundene Kompromiß beruht auf der französischen Forderung, die MAI-Verhandlungen ganz einzustellen. Frankreich widersetzt sich dem Abkommen gegenwärtig aus vier Gründen: Erstens verlangt die französische Regierung eine kulturelle Ausnahmeklausel. Zweitens soll der Sonderstatus der EU-Länder berücksichtigt werden. Drittens soll sichergestellt werden, daß Sozial- und Umweltgesetzgebung durch das MAI nicht auf unterstem Level nivelliert werden. Und viertens wehrt sich Frankreich gegen die einseitig erlassenen, extraterritorialen Handelsgesetze der USA (Helms-Burton).

Breiter Widerstand in Frankreich

Dieser Katalog – übrigens auch in der das MAI ablehnenden Resolution des Europaparlamentes enthalten – begründet sich einerseits auf die Rücksichtnahme des französischen Premierministers Jospin auf seine linken Regierungspartner, vor allem Kommunisten und Grüne, andererseits auf den Widerstand französischer Intellektueller und Künstler – besonders aus der Filmbranche. Medienwirksam kämpfen sie gegen die drohende Übernahme durch Hollywood und den Ausverkauf der nationalen Kultur Frankreichs. Zum OECD-Gipfel hatten sie in einem Pariser Park eine „Kampfveranstaltung gegen den neoliberalen Angriff“ organisiert, die nach dem Etappensieg gegen das MAI zum ausgelassenen Freudenfest geriet.

Ähnliches ist in Deutschland gegenwärtig kaum vorstellbar. Die jetzige Bundesregierung forciert das MAI mit aller Kraft, obwohl die vier französischen Forderungen ebenso im nationalen Interesse „dieses unseres Landes“ liegen. Die Investitionsliberalisierung im Interesse deutscher Konzerne scheint das allesentscheidende Handlungsmotiv zu sein. So hat Deutschland auch nur acht Ausnahmen von den MAI-Verpflichtungen angemeldet. Immerhin gehören dazu neben solchen etwa für den Luft-, Schiffs- und Eisenbahnverkehr auch Einschränkungen von Finanzhilfen für außerhalb der EU ansässige Unternehmen sowie bei der Vergabe von Rundfunklizenzen und Kabeleinspeisung.

Alles klar bei der Filmförderung …

Sie dienen dazu, die Proteste der deutschen Spitzenverbände der Film- und Fernsehwirtschaft gegen das MAI als unbegründet zurückzuweisen. Durch Ausnahmeregelungen will die Bundesregierung gewährleisten, daß die Film- und Fernsehförderung nicht beeinträchtigt wird. Also: Warum protestiert man eigentlich in Frankreich?

Gegenüber den Bedenken des Deutschen Kulturrates verstieg sich das Bundeswirtschaftsministerium sogar zu der Erklärung, einen Eingriff in nationale Schutzrechte sowie soziale und tarifliche Standards werde es durch das MAI nicht geben. Eine Behauptung, die auch durch den neuen am 24. April vorgelegten Vertragsentwurf nicht gedeckt ist.

… und den Urheberrechten?

Für Urheberrechte, die nach dem MAI wie x-beliebige Investitionen behandelt werden, will sich die Bundesregierung jetzt immerhin für eine Lösung einsetzen, nach der das Gleichbehandlungsgebot unter den Vorbehalt der einschlägigen internationalen Abkommen wie TRIPS (Übereinkommen der Welthandelsorganisation über Rechte des geistigen Eigentums) gestellt wird. Gelingt dies nicht, würde durch das MAI die Situation entstehen, daß US-Copyright-Inhaber den hohen Schutz des deutschen und europäischen Urheberrechts genießen, ohne daß das gleiche Schutzniveau deutschen oder anderen Urhebern in den USA gewährt wird. Gegen die forcierte Pro-MAI-Politik der CDU/FDP-Bundesregierung fehlt der öffentliche Druck in Deutschland. Das Thema ist nach wie vor eines für Insider. Daran haben bisher weder die Aktivitäten von umwelt- und entwicklungspolitischen Gruppen sowie der Grünen/Bündnis 90 noch die schriftlichen Proteste von Medien-, Journalisten- und Künstlerverbänden etwas ändern können. Still ist es in dieser Beziehung nach der unbekannt gebliebenen Stellungnahme des DGB auch in den Gewerkschaften. Eine Ausnahme ist die IG Medien, die Bedenken gegen das MAI öffentlich macht und versucht, Einfluß auf den politischen Entscheidungsprozeß zu nehmen.

Beides ist notwendig, denn wie die nächste Bundesregierung mit dem OECD-Abkommen umgehen wird, weiß niemand. Die MAI-Verhandlungen sind zwar bis Oktober ausgesetzt worden, doch der internationale Dialog soll in dieser Zeit nicht ruhen. Die Mehrheit der OECD-Staaten pocht auch weiterhin auf einen erfolgreichen MAI-Abschluß spätestens im Jahre 1999.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Eine Stimme für afghanische Mädchen

Die iranische Filmemacherin Sarvnaz Alambeigi begleitet in ihrem Dokumentarfilm „Maydegol“ über viele Jahre eine junge Muay-Thai-Boxerin aus Afghanistan, die im Iran unter schwierigen Umständen für ein selbstbestimmtes Leben kämpft. Im Interview erzählt Alambeigi, welche Rolle das Kopftuch für den Film spielt, was sie von der jungen Generation gelernt hat und warum der Film endet, bevor Maydegol endlich gelingt, was sie sich wünscht.
mehr »

Klimaprotest erreicht Abendprogramm

Am 20. August 2018, setzte sich die damals 15jährige Greta Thunberg mit dem Schild “Skolstrejk för Klimatet“ vor das Parlament in Stockholm. Das war die Geburtsstunde von Fridays for Future (FFF) – einer Bewegung, die nach ersten Medienberichten international schnell anwuchs. Drei Jahre zuvor hatte sich die Staatengemeinschaft auf der Pariser Klimakonferenz (COP 21) völkerrechtlich verbindlich darauf geeinigt, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen.
mehr »

Nicaraguas bedrohte Medien

Die Diktatur des nicaraguanischen Präsidentenpaars Daniel Ortega und Rocio Murillo hat in den letzten Jahren immer mehr Journalist*innen ins Exil getrieben. Unter erschwerten Bedingungen berichten Menschen wie Lucía Pineda vom Nachrichtenkanal "100% Noticias" oder Wendy Quintero nun aus dem Ausland. Für diese Arbeit nehmen sie stellvertretend für viele andere am 26. November 2024 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung entgegen.
mehr »

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »