„Mehr Solidarität mit Assange nötig“

Stella Assange protestiert gegen die Auslieferung ihres Mannes, hier im Januar in London. Foto REUTERS/Peter Nicholls

Dem Wikileaks-Gründer Julian Assange droht aktuell die Abschiebung in die USA. Dagegen hat sein juristisches Team Rechtsmittel eingelegt, über die noch nicht entschieden wurde. Assanges Frau Stella hat auf ihrer kleinen Europa-Tournee in Berlin vom Kampf für die Freilassung ihres Ehemannes berichtet, der wegen seiner Enthüllungsaktivitäten bei Wikileaks in einem britischen Hochsicherheitsgefängnis sitzt. Sie berichtete von positiven politischen Entwicklungen, kritisierte aber auch große Medien und die Bundesregierung.

Als Stella Assange am 14. Oktober in Berlins Zentrum das Mikrofon ergreift, hat sie ein kleines Publikum. Auffällig ist das im Vergleich zum Auftritt von Angela Davis eine Woche zuvor. Davis ist eine Ikone vor allem des sozialistischen Flügels der antirassistischen Bürgerrechtsbewegung nicht nur in den USA. Für ihren Auftritt zum zehnten Jahrestag der Besetzung des Oranienplatzes in Berlin-Kreuzberg durch Geflüchtete hatten große Plakate mit ihrem Konterfei und Namen sowie Ort und Zeit geworben – ohne irgendein Thema zu nennen. Trotzdem kamen Tausende Menschen, so dass die Straße neben dem Kundgebungsort gesperrt werden musste. Für Julian Assange hingegen gibt es in Berlin noch immer keine große Solidaritätsbewegung, seine Ehefrau erhält bei ihrem Besuch keinen großen Empfang.

Nur wenig mehr als 50 Leute drängen sich in einen vielleicht 40 Quadratmeter großen Raum einer Galerie, um mit Assange ins Gespräch zu kommen. Von den Medien sind offenbar nur ein paar kleine Online-Dienste vertreten, einer davon aus den USA. Das Veranstaltungskonzept sieht vor, das Publikum alle möglichen Fragen zu Julian Assanges Kampf gegen die Auslieferung in die USA stellen zu lassen.

Ermutigende Ereignisse

Zu Beginn zählt Stella Assange Ereignisse der vergangenen Tage auf, die sie als „ermutigend“ bezeichnet. Am 8. Oktober hatten ihr zufolge 7000 Menschen eine Menschenkette um das britische Parlament in Solidarität mit dem eingesperrten Wikileaks-Mitgründer gebildet. Und das trotz eines großen Streiks in Londons Nahverkehr, der die Mobilität einschränkte. „Mind-blowing“, also umwerfend sei das gewesen. Kurz darauf wurde bekannt, dass Julian Assange zu den drei Finalisten für die Verleihung des Sacharow-Preises für geistige Freiheit des EU-Parlaments zählt. Für seine Frau ist es der „höchste Menschenrechtspreis Europas“, der letztlich an das ukrainische Volk geht.

In Berlin ist sie am 13. Oktober beim Menschenrechtsfilmfestival aufgetreten, das mit „Ithaka“ eröffnet wurde, dem Film über den Kampf von Assanges Familie für dessen Freilassung. „Es gab stehende Ovationen nach dem Film“, berichtet Stella Assange. „Die Festivalleiterin hat gesagt, dass sie das in den fünf Jahren, in denen sie das Festival leitet, noch nie gesehen habe.“ Am folgenden Tag gibt es wieder stehende Ovationen.

„Verbrechen noch immer nicht geahndet“

Die Juristin spricht dann über die Verfolgung ihres Ehemannes. Sie schreckt dabei nicht vor drastischen Worten zurück: „Kriminelle haben sich die Macht des Staates angeeignet, um denjenigen einzusperren, der ihre Taten offengelegt hat. Sie haben die Wahrnehmung seiner Person verändert – das müssen wir zurückdrehen.“ Nicht nur seien die von Wikileaks enthüllten Verbrechen des US-Militärs vor allem in Irak und Afghanistan nie geahndet worden – die Hintermänner scherten sich bei Assanges Verfolgung weiterhin nicht um Recht und Gesetz, erklärt dessen Ehefrau. „Alle Leute mit juristischer Erfahrung sind ständig schockiert darüber, was da läuft.“ Schon die Anklage, die auf einem reaktivierten Gesetz gegen Spionage beruht, hält sie für eine Farce.

Auf die Frage nach dem Engagement der großen Medien für Assange, die seine Enthüllungen veröffentlichten, antwortet seine Frau, sie hätten nur das absolute Minimum für seine Freilassung getan. Sie vermisse eine gemeinsame Erklärung. „Wenn sie vom ersten Tag an kritisch über Julians Verfolgung berichtet hätten, hätte er nicht einen einzigen Tag im Gefängnis gesessen.“ Worüber sich Julian Assange  am meisten freue, wenn ihm geschrieben werde? Dazu stehe einiges auf www.writejulian.com. Sie wolle nicht sagen, was ihm besonders gefalle, weil sonst alle das Gleiche schickten. Bei der Frage nach gewichtigen politischen Akteuren, die sich mit Solidaritätsbekundungen zurückhielten, bemüht Stella Assange sich um eine diplomatische Ausdrucksweise: „Julians Schicksal liegt in den Händen von Leuten, die zusammenkommen müssen, um etwas zu tun, was sie noch nie gemacht haben.“ An anderer Stelle erwähnt sie, sie wisse sicher, dass es im US-Justizministerium Uneinigkeit über die Aufrechterhaltung der Verfolgung von Julian Assange gebe. Doch noch vor Weihnachten könne das britische Gericht den Antrag auf Berufung gegen die beschlossene Auslieferung abweisen. „Jeder Tag im Gefängnis bedroht sein Leben“, mahnt die alleinerziehende Mutter von zwei Kindern.

Nach etwas mehr als einer Stunde beendet die erschöpfte Daueraktivistin die Veranstaltung. Im Anschluss ist ein Treffen derjenigen angesetzt, die etwas zur Weiterentwicklung von Wikileaks beitragen wollen. Die vielen enthüllten Dokumente sollen noch dezentraler als bisher im Internet liegen. So soll das Projekt reanimiert werden, denn Wikileaks‘ Leistungsfähigkeit habe durch Assanges Verfolgung gelitten.

Von Wikileaks inspirierte Kunst

Stellas Assanges Auftritt gehörte zum Programm von Noisy Leaks, einer Mischung aus Kunstausstellung und politischem Aktivismus. Bis zum 30. Oktober finden in der Galerie P145 künstlerische Aktionen, Treffen für Internet-Aktivismus, Filmvorführungen und Diskussionen statt. Auch europäische Investigativjournalist*innen waren schon da oder kommen noch. Noisy Leaks soll „das historische und kulturelle Erbe von Wikileaks zeigen und feiern“, steht im Ausstellungsbegleitheft. In den beiden Galerieräumen sind 21 Kunstwerke verschiedenster Art von zum Teil berühmten Leuten zu sehen.

Doch es scheint schwierig zu sein, brisante Enthüllungen und die staatliche Verfolgung der Enthüllenden künstlerisch umzusetzen. Zum Teil ist Vorwissen um die Enthüllungen und ihre Konsequenzen zum Verständnis der Werke nötig. Andererseits wird hier Originalmaterial verbreitet. Damit kann jede und jeder vertrauliche Berichte einer US-Botschaft oder der US-Truppe in Afghanistan lesen.

Noisy Leaks wurde von einer Handvoll Leute organisiert, die überwiegend mal mit Julian Assange zusammengearbeitet haben oder sogar mit ihm befreundet sind, sagt Juan Passarelli „M Online“. Er selbst ist ein öffentliches Mitglied des Projekts, andere bleiben im Verborgenen. Die Finanzierung kommt von der Wau-Holland-Stiftung, die weiterhin Spenden für die Assange-Kampagne sammelt.

Geflüchteter Investigativjournalist

Passarelli bezeichnet sich selbst als Investigativjournalisten. Er sei 2009 nach London zum Studium gegangen, um Fernsehjournalist zu werden und habe kurz darauf dort Assange kennengelernt, erzählt er. Später habe er bei mehreren journalistischen Projekten mit ihm zusammengearbeitet und ihm über Jahre hinweg in der ecuadorianischen Botschaft geholfen, etwa mit der Kommunikationstechnik. Dort habe er auch Filmaufnahmen gemacht. „Ich arbeite seit Jahren daran, die Geschichte zu erzählen, wie Julian dahin gekommen ist, wo er jetzt ist“, sagt Passarelli. Ein großes Filmprojekt dazu will er möglichst kommendes Jahr abschließen.

Passarelli lebt seit 2021 in Berlin, denn hier fühlt er sich sicherer. „Ich hatte dieselben Dokumente in der Hand wie Julian“, sagt er. Ein juristischer Rat habe gelautet: Wenn die US-Regierung jemanden auf derselben Grundlage wie Assange verfolgen will, werde sie in Deutschland auf mehr Hindernisse stoßen als in England.

Nach der Bundesregierung fragt in der Assange-Fragestunde niemand – nicht nur in der Noisy-Leaks-Organisationsgruppe und ihrem Umfeld, auch bei den anderen Anwesenden scheint die vorherrschende Sprache Englisch zu sein. Deutschland ist da offenbar kein wichtiger Bezugspunkt. Dabei hatte Außenministerin Annalena Baerbock, in deren Ressort die Angelegenheit nun fällt, als Oppositionspolitikerin Assanges Verfolgung kritisiert. Seit sie Ministerin ist, äußert sie bestenfalls verhaltene Kritik. Deshalb die abschließende Frage an Stella Assange: Was unternimmt die Bundesregierung ihres Wissens nach für Julian Assange? Die Antwort ist kurz, aber klar: „Sie tut weniger als die Vorgängerregierung.“

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