Mit und ohne die alte Spieluhr

Harte Arbeitsbedingungen für wenige Dollar bei der tansanischen „Daily News“

Pünktlich zur Frühkonferenz der tansanischen „Daily News“ ertönt die ausgeleierte Melodie einer Spieluhr, die wie kaum ein anderes Accessoire das gediegene Alter der Redaktionsräume symbolisiert. Keiner der 57 Redakteure und Reporter der englischsprachigen Zeitung könnte heute noch sagen, welches Lied die Uhr spielt, so verzerrt klingen die Töne.

1930 ist die englischsprachige Tageszeitung des staatlichen Verlages Tanzania Standard Newspapers (TSN) in den hässlichen Betonbau an einer belebten Hauptstrasse Dar es Salaam gezogen. Seitdem hat sich – zumindest an der Einrichtung – wenig verändert. Ally Mkumbwa, der stellvertretende Chefredakteur, leitet das „post mortem“, wie die Frühsitzung hier genannt wird. Nach fünf Minuten steht allen der Schweiß auf der Stirn, denn die sonst laut brummende Klimaanlage ist ausgeschaltet, damit man überhaupt etwas versteht. Viele der Redakteure reden im Flüsterton, als hätten sie Angst, etwas Falsches zu sagen. Aber vielleicht ist es auch nur die unbeschreiblich schwüle Hitze, die jedes laute Wort zu einer körperlichen Anstrengung macht.

Mkumbwa, ein kleiner und drahtiger Mann in den Fünfzigern mit einer Vorliebe für ausgefallene Krawatten, hat mehrere Jahre für ein englischsprachiges Konkurrenzblatt in Dar es Salaam als Chefredakteur gearbeitet. Er ist ein Journalist mit Prinzipien: als sein früherer Verleger ihn aufforderte, einen Artikel umzuschreiben, in dem er mit Fakten und guten Argumenten einen Geschäftspartner des Verlagshauses kritisierte, weigerte sich Mkumbwa standhaft und wechselte später zur „Daily News“.

Seine Mitarbeiter fordert er zum Mitdenken auf: Niemand soll ans Tagewerk gehen, ohne selber Themenvorschläge gemacht zu haben. Mit der Vetternwirtschaft zu Zeiten des Einparteiensystems sei es heute vorbei. „Viele sind damals über Beziehungen und nicht über Qualifikation rein gekommen“, erklärt Mkumbwa. Das soll sich ändern. Der stellvertretende Chefredakteur hat sich mit der Verlagsgeschäftsführung abgestimmt und will acht „unproduktive“ Mitarbeiter entlassen.

Wo das Telefon Luxus ist

Die Arbeitsbedingungen der redaktionellen Mitarbeiter sind hart. Vier Computer, kein Internetzugang, ansonsten nur alte Schreibmaschinen, von denen aber die neuesten Exemplare aus den 80er Jahren stammen dürften. Die einzige Telefonleitung sollen seine Kollegen nicht mehr so oft nutzen, mahnt der stellvertretende Chefredakteur. Denn die „Daily News“ schulde der staatlichen Telefongesellschaft schon mehr als eine Million tansanische Schilling (etwa 1000 Dollar). Stattdessen sind die Redakteure und „Staff-Reporter“ (bei TSN sind sie noch nicht alle „outgesourct“) darauf angewiesen, von ihrem bescheidenen Gehalt auch noch die Rechnungen für Mobiltelefone zu bezahlen. Da passiert es schon mal, dass den Festangestellten gegen Ende des Monats das Geld für eine Bezahlkarte fehlt, mit der sie das Guthaben für Gespräche aufladen können. Immerhin kostet die Minute ins Festnetz bis zu einem Dollar, und das bei einem Reportergehalt von maximal 300 Dollar im Monat. Die wenigen freien Mitarbeiter, oftmals Studenten oder Frauen von Regierungsbeamten, verdienen – wenn sie viel arbeiten – gerade einmal 60 Dollar. Die müssen ganz auf Telefongespräche verzichten.

Mit einer Auflage von 10.000 Exemplaren ist die „Daily News“ finanziell erheblich von Anzeigen abhängig, die vor allem von der Regierung geschaltet werden. Und dass sich die Auflage erhöhen lässt, ist unwahrscheinlich. Denn in Tansania ist nur eine Minderheit der Bevölkerung an englischsprachigen Zeitungen interessiert. Die meisten bevorzugen ihre tägliche Lektüre in Kiswahili.

Dennoch attestiert Mkumbwa der Zeitung eine weitgehende Meinungsfreiheit, obgleich auch sein Vorgesetzter vom Präsidenten Benjamin Mkapa ernannt wird. In den vergangenen Jahren habe die „Daily News“ immerhin auch Beiträge veröffentlicht, die zum Rücktritt sowohl des Finanz- als auch des Industrieministers geführt haben, weil sie Händlern aus dem Ausland eigenmächtig großzügige Importgenehmigungen erteilt hatten. Doch es gibt auch offensichtliche Beschränkungen. „Natürlich können wir eine Rede des Präsidenten nicht einstampfen, aber Kritik ist schon möglich“, meint Mkumbwa.

Die fällt, wenn sie tatsächlich mal geäußert wird, allerdings sehr zahm aus. Auch deshalb, weil Mkapa, der 1974 und 75 selbst als Chefredakteur bei der „Daily News“ gearbeitet hat, nun als amtierender Präsident zusichert, die Tageszeitung nicht wie viele andere staatliche Besitztümer an private Unternehmen zu verkaufen. Mkumbwa findet, das private Unternehmertum sei zwar kein „Allheilmittel“, aber immerhin doch ein Garant für Verbesserungen in vielen Branchen, wie bei der Wasser- und Stromversorgung. Bei Zeitungen jedoch besteht er darauf, dass der staatliche Besitz ganz klar im Interesse der Öffentlichkeit sei. „Wir werden von der Regierung kontrolliert, private Medien hingegen von einem oder wenn es hochkommt mehreren Geschäftsleuten“, so Mkumbwa.

Das könnte sich 2005 ändern. Denn die laufende ist auch die letzte Legislaturperiode des Präsidenten. Und potentielle Kandidaten für das Amt, wie der derzeitige Wasser- und Farmminister Edward Lowassa, stammen aus einer jüngeren Politikergeneration, die vor allem daran interessiert ist, Geschäfte zu machen. Mkumbwa ist trotzdem nicht besorgt, denn der Verlag sei kein Unternehmen, das großen Gewinn abwerfe.

Auf dem Abstellgleis ist die „Daily News“ jedenfalls noch nicht. Die Redaktion ist nach über siebzig Jahren inzwischen in neue Büroräume gezogen und hat die Schreibmaschinen und auch die alte Spieluhr zurückgelassen.

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