Polen: Medien sollen nach Hause zurück

Zeit läuft: So wie Polens Ministerpräsidentin Beata Szydlo im März in Brüssel die Pressevertreter auf der EU-Ratstagung briefte, so würde die PiS wohl gern zuerst bei den eigenen Medien durchgreifen. Foto: Reuters/Francois Lenoir

Neuer Angriff auf die unabhängigen Medien in Polen: Nicht nur der öffentlich-rechtliche Rundfunk soll positiv, heißt: patriotisch, über die Regierung berichten. Jetzt soll auch die private Presse diszipliniert werden. Am neuen Gesetz über den Zwangsverkauf von Medienanteilen wird offenbar mit heißer Nadel genäht.

Sofort nach der Machtübernahme vor über einem Jahr hat die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) das Mediengesetz geändert, sodass die öffentlich-rechtlichen Medien – Nationalmedien, wie sie nun offiziell heißen – zum Propaganda-Schalltrichter der Regierung wurden. Doch es gibt immer noch eine Alternative: privaten Rundfunk und Presse. Jetzt geraten auch diese ins Visier. Auch sie sollen im Sinne der Regierung berichten.

Instrument ist die sogenannte „Repolonisierung“. Aus der Propagandasprache übersetzt, bedeutet das eine (Zwangs)Übernahme durch polnische Verlagshäuser. Denn dass die regierende Partei in der polnischen Presse immer wieder kritisiert wird, liege nicht an freier Meinungsäußerung, sondern an gezielter antipolnischer Politik ausländischer Verlagshäuser, die im Auftrag ausländischer Politiker handelten, vor allem aus Berlin. So sieht es die Regierung und fordert, dass die Presse in polnische Hände zurückkehrt. Der entsprechende Gesetzentwurf sollte bereits Ende 2016 fertig sein, wegen Unstimmigkeiten wurde die Frist auf Ende Juni 2017 verschoben.

Das Grundprinzip heißt: Ausländische Medienkonzerne dürfen nur noch beschränkt auf dem polnischen Medienmarkt präsent sein. Polnische Medien sollen polnischen Besitzern gehören und polnische Interessen vertreten. Als Grenzwert soll eine Hürde von 30 Prozent der Besitzanteile gelten: Sobald diese Grenze überschritten wäre, müssten ausländische Besitzer ihre darüber liegenden Anteile an einen polnischen Investor verkaufen. Wenn nicht freiwillig, dann zwangsweise. Dasselbe gilt für Mischunternehmungen zwischen Radio, TV und Zeitungen.

Mit EU-Recht vereinbar?

Die Befürworter des Gesetzes beziehen sich dabei auf französische und deutsche Regelungen. Verschwiegen wird jedoch, dass diese Bestimmungen europäische Verlagshäuser ausschließen, da solche Beschränkung gegen die Kapitalfreizügigkeit innerhalb der EU verstoßen würde, und dass solche Regelungen nicht rückwirkend gelten. Kritiker des neuen Gesetzes gehen deshalb davon aus, dass es von der EU als rechtswidrig erklärt werden wird.

Doch scheint selbst die PiS mit dem Entwurf Probleme zu haben. Nicht allein wegen des EU-Rechts. Außer dem Slogan „Begrenzung der ausländischen Einflüsse“ fehlt es bisher an der Festlegung jeglicher Details. Unklar ist sogar, worauf der Grenzwert von 30 Prozent basieren soll. Auf der Verkaufsgröße, den Werbeeinnahmen oder der Anzahl der Titel in der Hand der Besitzer? Zudem hat niemand eine Idee, wer „ein polnischer Investor“ sein könnte. Viele “rein polnische“ Medienunternehmen gibt es nicht – abgesehen von Angora (dem gehört u.a. die auflagenstärkste Qualitätstageszeitung Gazeta Wyborcza, ein Radiosender und ein Internetportal), dem katholischen Konzern von Pater Rydzyk aus Thorn (eine Tageszeitung, ein Radio- sowie ein TV-Sender) oder Wirtualna Polska (mit dem größten Internetportal sowie einem der neuen TV-Sender). Keiner von diesen käme in Frage, anderen Anteile abzukaufen, da dies zum Monopol führen würde. Ein anderer, bisher nicht auf dem Medienmarkt tätiger Investor ist ebenfalls nicht in Sicht.

Der Fluch der Globalisierung

Tatsächlich gehört in Polen der Großteil des Presse zu ausländischen, vor allem deutschen Verlagshäusern. Das trifft speziell auf dem regionalen Markt zu. 20 regionale Tageszeitungen in 15 (von insgesamt 16) Woiwodschaften mit einer gesamten Auflage von über einer Million Exemplaren gehören der „Polska Press“, einer Tochter der Passauer Neuen Presse. Den deutschen Verlagshäusern Bauer und Burda gehören fast alle Frauen- und TV-Magazine. Die auflagenstärksten Boulevardzeitung Fakt, das Nachrichtenmagazin Newsweek, sowie das zweitgrößte Internetportal Polens sind im Besitz der Axel Springer SE. Einige Titel und Radiosender gehören Schweizern, Franzosen oder Schweden.

Das hat Jaroslaw Kaczynski nicht gestört, solange diese Medien ihn und seine Partei nicht kritisierten. Mehr noch: Er hat persönlich dazu beigetragen, dass viele Medien in Polen in den Händen der ausländischen Investoren liegen. In der Volksrepublik gehörte der Pressemarkt dem Arbeiter-Genossenschaftsverlag „Ruch“ als Monopolist. Nach der Wende wurde dieser Verlag zerschlagen, Zeitungen und Immobilien wurden unter den neuen politischen Parteien aufgeteilt. Die Vereinigung Zentrum, die damalige Partei von Jaroslaw Kaczynski, erhielt eine der populärsten Tageszeitungen Express Wieczorny. Weil die Partei damit auf dem Medienmarkt nicht zurechtkam, verkaufte sie den Titel nach nur einem Jahr – in Ermangelung einheimischer Bieter an den schweizerischen Konzern Marquard.

Der Kommunalwahlkampf naht

Nein, Jaroslaw Kaczynski hat sich in den Jahren nicht geändert. Es geht bei dem „Repolonisierungs“gesetz erneut um Machterhalt – und das unter Zeitdruck. 2018 finden in Polen Kommunalwahlen statt. Auf dieser Ebene ist PiS bisher wenig erfolgreich gewesen. Und da der Pressemarkt von der Passauer Neuen Presse dominiert wird, kann die Partei eher keine Wahlpropaganda für sich erwarten.

Bei dem neuen Gesetz geht es jedoch nicht nur um die Begrenzung deutscher Einflusssphären. Überregionale Tageszeitungen und wöchentliche Nachrichtenmagazine gehören fast ausschließlich polnischen Herausgebern. Die PiS-Abgeordnete Barbara Bubula, die bei dem Gesetzentwurf mitwirkt, hat vor Monaten offen gesagt, dass die „Repolonisierung“ auch diese polnischen Medien betreffen soll, denn „antipolnisch sind auch Medien, deren Besitzer polnische Bürger sind“.

Laut dem Internetportal Wirtualne Media unterstützten im Mai etwa 40 Prozent der Bevölkerung die geplante Repolonisierung. Das wären etwas mehr, als die PiS-Anhänger hat.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Gemeinsame Standards für Medienfreiheit

In Brüssel wird der European Media Freedom Act (EMFA) bereits als "Beginn einer neuen Ära" zelebriert. Ziel der Verordnung ist es, die Unabhängigkeit und Vielfalt journalistischer Medien in der EU in vielfacher Hinsicht zu stärken. Doch wie er von den Mitgliedsstaaten  - vor allem dort, wo etwa die Pressefreiheit gefährdet ist wie Ungarn und der Slowakei - umgesetzt wird, zeigt sich erst im kommenden Sommer.
mehr »

Lokaljournalismus: Die Wüste droht

Noch sei es nicht so weit, aber von einer "Steppe" könne man durchaus schon sprechen, sagt Christian Wellbrock von der Hamburg Media School. Wellbrock ist Leiter von "Wüstenradar", einer Studie, die zum ersten Mal die bundesweite Verbreitung und zahlenmäßige Entwicklung von Lokalzeitungen in den letzten 30 Jahren unter die Lupe genommen hat. Sie erhebt, wie stark der Rückgang lokaler Medien inzwischen tatsächlich ist und warnt: In etlichen Regionen droht tatsächlich die Verbreitung von "Nachrichtenwüsten".
mehr »

Eine Stimme für afghanische Mädchen

Die iranische Filmemacherin Sarvnaz Alambeigi begleitet in ihrem Dokumentarfilm „Maydegol“ über viele Jahre eine junge Muay-Thai-Boxerin aus Afghanistan, die im Iran unter schwierigen Umständen für ein selbstbestimmtes Leben kämpft. Im Interview erzählt Alambeigi, welche Rolle das Kopftuch für den Film spielt, was sie von der jungen Generation gelernt hat und warum der Film endet, bevor Maydegol endlich gelingt, was sie sich wünscht.
mehr »

Nicaraguas bedrohte Medien

Die Diktatur des nicaraguanischen Präsidentenpaars Daniel Ortega und Rocio Murillo hat in den letzten Jahren immer mehr Journalist*innen ins Exil getrieben. Unter erschwerten Bedingungen berichten Menschen wie Lucía Pineda vom Nachrichtenkanal "100% Noticias" oder Wendy Quintero nun aus dem Ausland. Für diese Arbeit nehmen sie stellvertretend für viele andere am 26. November 2024 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung entgegen.
mehr »