Recherche im Westjordanland

dju-Initiative führte Journalisten auf die andere Seite der Mauer

Informationsreisen nach Israel sind für viele deutsche Journalistinnen und Journalisten eine Selbstverständlichkeit, ja fast Routine. Was jenseits der israelischen Landgrenzen geschieht, unter welchen Bedingungen etwa die Mehrheit der Palästinenser lebt, blieb bisher allerdings auch für Journalisten weitgehend im Dunkeln. Die dju in ver.di machte einen Blick hinter die israelische Mauer möglich.

Die Einrichtung und Existenz des erst 60 Jahre alten Mittelmeerstaates Israel ist untrennbar mit den Verbrechen der Hitler-Barbarei und mit einem (immer noch) verbreiteten europäischen Antisemitismus verknüpft. Reisen nach Israel sind daher nicht nur Bekenntnisse zu Schuld und besonderer Verantwortung der Deutschen gegenüber den Juden. Sie sind auch Ausflüge in die jüngste deutsche und europäische Geschichte. Deshalb werden sie seit Jahrzehnten offiziell gefördert. Auch die Gewerkschaft ver.di und zuvor die IG Medien haben ihren Mitgliedern regelmäßig Israel-Reisen angeboten. Mit insgesamt guter Resonanz.
Die arabischen Nachbarn Israels, allen voran die Palästinenser, gelten im Gut-Böse-Schema der öffentlichen Meinung Europas als Aggressoren im Nahostkonflikt, Israel dagegen als Verteidiger, auch wenn die Hände der Staatsgründer nachweislich nicht frei von Blut sind. Der Sympathiebonus liegt deutlich bei Israel. Zu dieser Wahrnehmung haben die Palästinenser allerdings wesentlich beigetragen. Das Massaker bei den Olympischen Spielen 1972 in München, eine Vielzahl von Selbstmordattentaten gegen unbewaffnete Israelis sowie der Abschuss so genannter Kassam-Raketen auf israelisches Gebiet haben ursprünglich existierende Sympathien weitgehend zerstört.
Auch ganz banale Gründe sind mitverantwortlich für die sehr unterschiedliche öffentliche Aufmerksamkeit: Reisen in das von Israel vollständig kontrollierte palästinensische Kerngebiet Westjordanland sind extrem strapaziös. Zeitraubende Kontrollen beginnen bereits auf dem Flughafen von Tel Aviv mit intensiven Befragungen nach Zielen und Gründen der Fahrt. Die Reise durch das Westjordanland gleicht einem Hindernislauf von einem militärischen Kontrollposten zum nächsten. Ungeachtet einer verbreiteten persönlichen Gastfreundschaft ist das Land zudem von einer leistungsfähigen touristischen Infrastruktur Lichtjahre entfernt.
Dem journalistischen Grundsatz folgend „höre auch die andere Seite!“ haben sich im Juli erstmals auf Initiative der dju neun Journalistinnen und Journalisten in Palästina umgeschaut. Auf der Suche nach den Quellen für den unübersehbaren wechselseitigen Hass im Nahostkonflikt und nach Ansätzen für eine Konfliktlösung recherchierten sie insgesamt vier Tage im Westjordanland. Sie sprachen mit Bürgermeistern, Bezirksgouverneuren, Mitgliedern der Palästinensischen Autonomiebehörde und des Palästinensischen Parlaments. Sie befragten Vertreter und Repräsentantinnen gesellschaftlicher Gruppen wie beispielsweise von Unternehmen, Gewerkschaften und Frauenvereinigungen. Die ständige Vertretung der Bundesrepublik in Ramallah gab ein Lagebild aus deutscher Sicht. Dozenten der Abteilung für Journalistik und Medien an der Universität Nablus erläuterten die Situation der Medien in dem besetzten Land; Kollegen, die für palästinensische oder für ausländische Medien berichten, beschrieben ihren Alltag. Er zwinge sie oft, zwischen Selbstschutz und professioneller beruflicher Mission abzuwägen, berichteten sie unter Hinweis auf zahlreiche Todesopfer aus ihren Reihen in den vergangenen Jahren. Bei den Israelis stünden sie stets im Verdacht, „Terroristen“ zu unterstützen; ein Teil ihrer Landsleute verdächtige sie, nützliche Informationen für die Besatzer zu produzieren.
Übereinstimmender Tenor in allen Gesprächen war der Wunsch nach Frieden, Stopp der territorialen israelischen Expansion und Ende des Besatzungsregimes sowie Garantie einer staatlichen Existenz auch für die Palästinenser. Das Exis-tenzrecht Israels stellte keiner der offiziellen und inoffiziellen Gesprächspartner in Frage. An Europa richteten sich Erwartungen ebenso wie Kritik. „Die Europäer haben in Menschenrechtsfragen Doppel-Standards“, kritisierte der palästinensische Großunternehmer und Vertraute von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, Munib Masri. „Wir wollen Frieden, weil jeden Tag Mütter auf beiden Seiten ihre Kinder verlieren. Wir wären mit einer Teilung Jerusalems und 23 Prozent des Landes zufrieden“, sagt Masri. Einen religiösen muslimischen Staat nach den Vorstellungen der Hamas lehne er jedoch strikt ab.
Zu den größten Hindernissen für eine Friedenslösung zählt nach den Worten von Premierminister Fayad die Sicherheitspolitik der Israelis: Entgegen allen Vereinbarungen setze Israel seine Siedlungsaktivitäten in Palästina fort. Aber auch die Palästinenser selbst stellten ein Hindernis für eine Konfliktlösung dar. Sie müssten ihre interne Spaltung in Hamas- und Fatah-Anhänger überwinden. Für die Deutschen gab es Lob: „Wir schätzen den Geist, mit dem die Deutschen Projekte in Palästina machen“, sagt Fayad. „Eine Parteinahme gegen Israel oder für Palästina erwarten wir von ihnen nicht.“
Derweil beklagen Sprecher der Wirtschaft und Bürgermeister die aus ihrer Sicht systematische Zerstörung der wirtschaftlichen und sozialen Existenzgrundlagen Palästinas durch die Israelis. Schikanöse Kontrollen auf Straßen und in Häfen verteuerten den Transport palästinensischer Güter und machten sie unattraktiv für den Weltmarkt. Bauern mit frisch geernteten Feldfrüchten würden solange an den Zugängen zu den Städten festgehalten bis ihre Ware verwelkt und kaum noch verkäuflich sei. Kindergärten und Gesundheitsstationen würden zwangsweise geschlossen und ihre Fahrzeuge beschlagnahmt, weil sie von der Hamas organisiert werden. Als manifesten Ausdruck von „Apartheid“ bezeichnen Palästinenser ein wachsendes Netz von Straßen, die ausschließlich von Israelis befahren werden dürfen. So legen Israelis und ihre Gäste den Weg von Jerusalem nach Bethlehem mit dem Auto in etwa einer halben Stunde auf einer gut ausgebauten Straße zurück. Palästinenser dagegen müssen sich auf unbequemen Pisten bis zu zweieinhalb Stunden abmühen.

 

 

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