Russland – Glasnost ist nicht in Sicht

Justizurteile setzen Presse- und Meinungsfreiheit außer Kraft

Die Besorgnis erregenden Nachrichten aus Russland häufen sich: Der Journalist Grigorij Pasko soll für Jahre hinter Gitter, zu den Gräueltaten in Tschetschenien wird zumeist geschwiegen, und wer Korruption recherchiert, riskiert sein Leben.

Geht es nach dem Willen der russischen Justiz, werden sich für Grigorij Pasko erst am 25. Dezember 2005 die Gefängnistüren wieder öffnen. Denn das Oberste Militärgericht des Landes hat im Juni die vierjährige Haftstrafe gegen den Journalisten und Umweltschützer bestätigt. Unmittelbar nach dem Richterspruch wurde Pasko in Lagerhaft überstellt. Er hatte in den 90er-Jahren unter anderem in Artikeln für die Marine-Zeitung „Bojewaja Wachta“ darauf aufmerksam gemacht, dass die russische Pazifik-Flotte radioaktiven Müll ins Meer kippt. Im russischen und japanischen Fernsehen waren Paskos Filmaufnahmen zu sehen, die das Vorgehen dokumentieren. Die Anklage lautete auf „Landesverrat“. Als letzte Möglichkeit, sein Recht durchzusetzen, bleibt Pasko nur noch der Weg zum Europäischen Menschenrechtsgerichtshof.

Robert Ménard, Generalsekretär von „Reporter ohne Grenzen“, nannte das Urteil eine „Karikatur von Justiz“. Denn sowohl die russische Verfassung als auch das Mediengesetz des Landes garantieren die Pressefreiheit. Mehr noch: Sie verbieten es sogar, Informationen zurückzuhalten, die für die Umwelt und die menschliche Gesundheit von Bedeutung sein könnten. Doch gerade wenn militärische Interessen betroffen sind, steht es um die Meinungsfreiheit nicht gut. Ein Blick nach Tschetschenien macht das deutlich.

Die abtrünnige Kaukasus-Republik ist eine der weltweit gefährlichsten Regionen für Journalisten. Ermordungen, Entführungen und Geiselhaft sorgen für ein Klima der Angst. Wer als Medienschaffender trotzdem dort arbeitet, riskiert von staatlicher Seite zumindest Einschüchterungen. Zuletzt wurde Mitte August der Fall von Reportern der Fernsehsender ORT und „TV Zenter“ bekannt. Als sie tschetschenische Flüchtlinge interviewten, beschlagnahmten Militärs ihre Ausrüstung und kassierten ihre Akkreditierung. „Die russischen Behörden dokumentieren so einmal mehr, dass sie etwas zu verstecken haben“, sagt Robert Ménard. Auslandskorrespondenten können ohnehin nur mit Sondergenehmigung des Militärs nach Tschetschenien. Und mehr als zehn wurden bereits aus den Kriegsgebieten ausgewiesen. So wird – größtenteils erfolgreich – versucht, die Berichterstattung über russische Gräueltaten schon im Keim zu ersticken. Und seitdem im Zuge des „Kampfes gegen den Terror“ Russland ein Verbündeter der USA ist, wird immer seltener Kritik am russischen Vorgehen in Tschetschenien laut.

„Kidnapper-Mafia“, Gleichschaltung, Auftragsmord

Auf der anderen Seite achten die tschetschenischen Rebellen die Pressefreiheit überhaupt nicht. Sie nehmen wahllos Journalisten und Fotografen in Haft, sei es um Berichterstattung zu verhindern oder um Lösegeld sowie die Freilassung von festgenommenen Kampfgefährten zu erpressen. Bleibt das ohne Erfolg, kann ein Mord die Folge sein. So wundert es nicht, dass „Reporter ohne Grenzen“ die unter dem Schutz der Kriegsherren agierende „Kidnapper Mafia“ als „Feind der Pressefreiheit“ bezeichnet.

Als solcher wird allerdings auch Staatschef Vladimir Putin tituliert. Eines seiner Lieblingswörter ist das von der „verlässlichen Information“. Diese soll eine Doktrin vom September 2000 sichern. Wer sie nicht achtet, steht im Verdacht die Freiheit zu missbrauchen und gerät in Schwierigkeiten: Am spektakulärsten dabei war sicher die Schließung des letzten landesweit ausstrahlenden unabhängigen Fernsehsenders TV6 am 22. Januar dieses Jahres. Niemand in Russland zweifelte daran, dass hinter dem entsprechenden Gerichtsurteil der Kreml stand. Chefredakteur Jewgeni Kisljow sprach damals offen von einem „Auftragsmord“.

Diesem war der Skandal um den Sender NTV vorausgegangen. Im April 2001 war der als regierungskritisch bekannte Kanal – und mit ihm gleich ein paar Zeitungen – von dem halbstaatlichen Konzern „Gasprom“ übernommen und weichgespült worden. Der Trend zur Gleichschaltung ist beängstigend, denn erst 1990 wurde in Russland die Zensur abgeschafft und die private Herausgabe von Zeitungen erlaubt. Heute können die Behörden jederzeit die Fesseln enger ziehen. Mit Geldstrafen für unliebsame Veröffentlichungen kann das beginnen, die Schließung ist der letzte Schritt.

Ein besonders gefährliches Thema ist die Korruption. Olga Kitowa von der Tageszeitung „Belgorodskaja Prawda“ wurde wegen ihrer Berichte zu einer vorerst ausgesetzten Haftstrafe verurteilt. Ihre Artikel über regionale Bestechungsaffären wertete das Gericht als „Verleumdung“ und „Ehrverletzung“. Doch es kann noch schlimmer kommen: „Reporter ohne Grenzen“ ist überzeugt, dass zwei Morde aus diesem Frühjahr mit Recherchen über Korruption zusammenhängen. Die Wirtschaftsjournalistin Natalja Skryl und der Leiter einer regionalen Wochenzeitung, Valeri Iwanow, arbeiteten zuletzt an Berichten über Veruntreuungen beziehungsweise dubiosen Wirtschaftsaktivitäten. Ihre Mörder laufen bis heute frei herum.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Türkei: Kurdische Journalisten in Gefahr

Nach Angaben der in Istanbul ansässigen Media and Law Studies Association (MLSA) standen zwischen dem 4. und 7. März mindestens 21 Journalisten vor türkischen Gerichten. Diese Zahl mag für deutsche Leser*innen schockierend sein, in der Türkei sind diese Ausmaße juristischer Verfolgung von Journalist*innen leider alltäglich. Unter dem Ein-Mann-Regime von Präsident Recep Tayyip Erdoğan sieht es mit der Meinungs- und Pressefreiheit im Land immer düsterer aus. Auch die jüngsten Daten der Journalistenvereinigung Dicle Fırat (DFG) zeigen deutlich, dass der Druck auf Journalisten wächst.
mehr »

Beschwerde gegen BND-Gesetz

Reporter ohne Grenzen (RSF) und die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) reichen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Beschwerde gegen das Gesetz über den Bundesnachrichtendienst (BND-Gesetz) ein. Damit reagieren die Organisationen auf ungenügende Reformen des Gesetzes, das den Schutz von Medienschaffenden nicht ausreichend berücksichtigt. RSF und GFF erwarten sich von der Entscheidung ein Grundsatzurteil, das nicht nur Auswirkungen auf die Rechtslage in Deutschland haben wird, sondern auch Strahlkraft in die anderen Mitgliedstaaten des Europarates.
mehr »

Social Media: Mehr Moderation gewünscht

Wer trägt die Verantwortung, um etwas gegen zunehmenden Hass in den sozialen Medien zu unternehmen? Die Plattformen? Die Politik? Die Nutzer*innen? Alle drei Gruppen jeweils zu einem Drittel. Zu diesem Ergebnis kommt eine repräsentative Studie der Technischen Universität München (TUM) und der University of Oxford. Sie zeigt auch: der Großteil der Menschen in den zehn untersuchten Ländern wünscht sich mehr Moderation bei Inhalten.
mehr »

Ecuador: Medien ohne Schutz

Mehr Schutz für Berichterstatter*innen, fordert Ecuadors Medienstiftung Fundamedios. Doch in der Regierung von Daniel Noboa, Sohn des Bananenmilliardärs Álvaro Noboa, stößt die Initiative auf Ablehnung. Dafür sei kein Geld da, lautet das Argument. Es ist allerdings ein offenes Geheimnis, dass Daniel Noboa eher auf TikTok, Instagram und andere soziale Netzwerke setzt und wenig von den traditionellen Medien hält. Erschwerend hinzu kommt, dass Kartelle, aber auch lokale Kaziken versuchen, Journalist*innen zu instrumentalisieren.
mehr »