Schwedischer Medienkonzern Stampen insolvent

„Stampen“ ist Schwedens zweitgrößtes Zeitungshaus und gibt 14 Tageszeitungen heraus, die täglich 2 Millionen Leser_innen haben. Ende Mai musste der in Göteborg beheimatete Konzern Insolvenz anmelden und es droht der Konkurs. Die Schulden bei den Banken sollen sich auf umgerechnet rund 130 Millionen Euro belaufen und die Kassen sind leer. 3000 Beschäftigte könnten ihren Arbeitsplatz verlieren. Ein „Schock für die gesamte Medienbranche“ sagt Helena Giertta, Chefredakteuerin von „Journalisten“, der Zeitschrift des schwedischen Journalistenverbands.

„Wenn nicht einmal mehr ein Konzern von dieser Größe sicher ist, wenn Zeitungen mit solcher Leserzahl die strukturellen Veränderungen, vor denen wir stehen, nicht stemmen können, ist das natürlich ein Alarmsignal“, sagte Giertta. Kultusministerin Alice Bah Kuhnke zeigt sich ebenfalls „zutiefst beunruhigt“, spricht von einer „wirklichen Krise für die Medienvielfalt“ und davon, dass „Stampen“ nur ein Teil der aktuellen Probleme der ganzen Branche sei. Betont aber für den konkreten Fall auch die letztendliche Verantwortung der Eigentümer. Die hätten leichtfertig gehandelt, meint der Journalist und Ex-TV-Chef Jan Scherman: Ein solches Geschäftsgebaren habe in der Insolvenz enden müssen. Auch Giertta konstatiert: „Im Fall Stampen handelt es sich auch um katastrophal schlechte Geschäfte. Man wollte ein Imperium bauen. Aber das hielt nicht und stürzte zusammen.“

Der aufziehenden Krise bei den gedruckten Medien glaubte man bei „Stampen“ mit Masse und den damit zu erzielenden Synergieeffekten begegnen zu können. Das lange Jahrzehnte hochprofitable Familienunternehmen, das den Zeitungsmarkt in Schwedens zweitgrößter Stadt Göteborg dominiert, hatte ab Mitte der 2000er Jahre auf einen extremen Expansionskurs gesetzt. An Zeitungen und Druckereien wurde nahezu alles aufgekauft, was landesweit zum Verkauf stand. Der Preis schien dabei keine Rolle zu spielen.
„Das entsprach durchaus den positiven Zukunftserwartungen, die damals in Schweden noch in der Branche herrschten“, meint Jonas Ohlsson, Forscher am Medienzentrum „Nordicom“ der Universität Göteborg: „Expandieren, expandieren, erst national, dann international.“ Zunächst ging die Rechnung auch auf. Umsatz und Gewinne schossen gleichermassen in die Höhe. „Bonnier“, dem mächtigsten Medienkonzern Schwedens, schien erstmals eine wirkliche Konkurrenz heranzuwachsen.

Doch die guten Jahre waren 2008 vorbei: Finanzkrise, Einbruch auf dem Anzeigenmarkt, geänderte Lesegewohnheiten. „Stampen“ erstickte nach und nach unter der Schuldenlast der fast ausschließlich durch teure Bankkredite finanzierten Käufe und stand mit viel zu großer Druckereikapazität da. Und es rächte sich, dass der digitale Markt zu lange vernachlässigt worden war. 2013 machte der Konzern mit fast 100 Millionen Euro den größten Verlust in der schwedischen Pressegeschichte. Nach erneut tiefroten Zahlen im darauffolgenden Jahr tauchten erste Konkursgerüchte auf. Man trennte sich unter hohen Verlusten von einem Teil der in den Jahren zuvor zu Überpreisen gekauften Zeitungen und verordnete den verbleibenden mehrere Sparrunden.
Die Redaktionen wurden extrem ausgedünnt – teilweise halbiert. Das ging schnell zu Lasten der Qualität, was wiederum zu sinkenden Auflagen und schrumpfenden Einnahmen führte. Beim Flaggschiff des Verlags, Schwedens zweitgrößter überregionaler Tageszeitung „Göteborgs Posten“, wollte man offenbar auch über eine Änderung des politischen Kurses ein neues Publikum erreichen. Teile der Redaktionsspitze wurden ausgetauscht, beim traditionell liberalen Blatt wurde ein deutlicher Rechtsruck spürbar. Populäre Kolumnisten protestierten gegen diesen Schwenk und wechselten zu anderen Zeitungen.

Allzu lange keinen Grund zu finanzieller Zurückhaltung sahen Eigentümer und Konzernspitze für sich selbst. Laut einer im letzten Jahr ausgestrahlten TV-Dokumentation zahlten sie sich zwischen 2005 und 2013 Boni von insgesamt fast 100 Millionen Euro aus. Eine Summe, die also nahezu der jetzigen Schuldenlast entspricht. Damit war zwar nach weiteren hohen Verlusten – 2014 und 2015 zusammen 150 Millionen Euro – erst einmal Schluss. Doch als kürzlich eine Steuernachforderung von über 40 Millionen Euro nicht bezahlt werden konnte, verloren auch die Banken die Geduld und drehten den Geldhahn zu.

Wie geht es weiter? In einer dreimonatigen Rekonstruktionsphase soll ein Konkursverwalter nun versuchen, die Schuldner zu einem teilweisen Verzicht auf ihre Forderungen zu bewegen und einen Sanierungsplan entwerfen. Die festangestellten Beschäftigten bekommen ihren Lohn vom Steuerzahler über die staatliche Lohngarantie bezahlt, freie Mitarbeiter_innen aber bleiben – wie alle anderen Schuldner – auf ihren Forderungen sitzen. Soll eine Rekonstruktion überhaupt Chancen haben, müsste „Stampen“ allen Schuldnern mindestens 25 Prozent ihrer Forderungen bezahlen. Das wäre wohl nur durch Erlöse aus einem Verkauf von Unternehmensteilen möglich.
Selbst wenn eine Sanierung von „Stampen“ gelinge, würde das ganz sicher auf Kosten von Arbeitsplätzen und Redaktionen gehen, befürchtet Martin Jönsson, Redaktionsentwicklungs-chef bei der tageszeitung „Dagens Nyheter“. Dabei sind in Schweden in den letzten zehn Jahren bereits ein Drittel aller Journalistenarbeitsplätze sowie jede dritte Lokalredaktion verschwunden.
Gelingt die Sanierung nicht, wäre der umfassendste Konkurs in der schwedischen Mediengeschichte ein Faktum. Bislang war das der Zusammenbruch des sozialdemokratischen „A-pressen“-Konzerns im Jahre 1992, der damals 1400 Beschäftigte betraf.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Gemeinsame Standards für Medienfreiheit

In Brüssel wird der European Media Freedom Act (EMFA) bereits als "Beginn einer neuen Ära" zelebriert. Ziel der Verordnung ist es, die Unabhängigkeit und Vielfalt journalistischer Medien in der EU in vielfacher Hinsicht zu stärken. Doch wie er von den Mitgliedsstaaten  - vor allem dort, wo etwa die Pressefreiheit gefährdet ist wie Ungarn und der Slowakei - umgesetzt wird, zeigt sich erst im kommenden Sommer.
mehr »

Eine Stimme für afghanische Mädchen

Die iranische Filmemacherin Sarvnaz Alambeigi begleitet in ihrem Dokumentarfilm „Maydegol“ über viele Jahre eine junge Muay-Thai-Boxerin aus Afghanistan, die im Iran unter schwierigen Umständen für ein selbstbestimmtes Leben kämpft. Im Interview erzählt Alambeigi, welche Rolle das Kopftuch für den Film spielt, was sie von der jungen Generation gelernt hat und warum der Film endet, bevor Maydegol endlich gelingt, was sie sich wünscht.
mehr »

Nicaraguas bedrohte Medien

Die Diktatur des nicaraguanischen Präsidentenpaars Daniel Ortega und Rocio Murillo hat in den letzten Jahren immer mehr Journalist*innen ins Exil getrieben. Unter erschwerten Bedingungen berichten Menschen wie Lucía Pineda vom Nachrichtenkanal "100% Noticias" oder Wendy Quintero nun aus dem Ausland. Für diese Arbeit nehmen sie stellvertretend für viele andere am 26. November 2024 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung entgegen.
mehr »

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »