Überwacht und zensiert

Ungarn: Trotz heftiger Kritik keine Veränderung an Mediengesetzen

Vor dem neogotischen Gebäude des ungarischen Parlaments vergeht keine Woche ohne eine Demonstration für die Meinungsfreiheit. Bis zu 15.000 Studenten, Journalisten und Vertreter der Zivilgesellschaft versammeln sich dort regelmäßig mit Trillerpfeifen und Transparenten. Auf dem Freiheitsplatz, auf dem die Menschen 1989 gegen die kommunistische Diktatur demonstrierten, protestieren sie nun gegen die neuen Mediengesetze des rechtspopulistischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán.


Die ungarischen Mediengesetze sehen eine in der Europäischen Union beispiellose Einschränkung der Pressefreiheit vor. Sie definieren die Rahmenbedingungen sowohl für öffentlich-rechtliche als auch für private Radio- und Fernsehsender, für Printmedien und Onlineportale. Seit 2011 überwacht ein neuer Medienrat, was Journalisten schreiben und senden. Geleitet wird er von einem Direktor, den der Ministerpräsident direkt ernennt, und vier weiteren Mitgliedern, die vom Parlament gewählt werden. Da Viktor Orbáns Fidesz-Partei sich im Parlament auf eine Zweidrittelmehrheit stützt, wundert es niemanden, dass alle fünf Medienwächter aus Fidesz-nahen Kreisen stammen. Ihre Amtszeit beträgt neun Jahre, die Befugnisse sind großzügig definiert. Die neue Super-Aufsichtsbehörde entscheidet über jeden eventuellen Verstoß gegen „objektive und ausgeglichene Berichterstattung“, unabhängig davon, ob der Fall im Radio, im Fernsehen, in einer Zeitung oder in den Onlinemedien vorkommt. Die Medienwächter können private und staatliche Medieninstitutionen mit Geldstrafen belegen, die umgerechnet bis zu 700.000 Euro betragen. Seit Sommer 2010 bestimmen sie bereits die inhaltichen und personellen Richtlinien beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk und entscheiden dort sogar über Haushaltsfragen.
Ungarische Tages- und Wochenzeitungen protestieren seit Monaten gegen die neuen Gesetze. Die wichtigste Qualitätszeitung Népszabadság, sowie etliche Zeitschriften ließen aus Protest ihre Titelseiten leer. Die ungarischen Redakteure des öffentlich-rechtlichen Kossuth-Radio Zsolt Bogár und Attila Mong protestierten mit einer Schweigeminute gegen die Mediengesetze – und wurden prompt suspendiert. „Wir werden unseren Stil nicht ändern“, schreibt auch der Journalist Daniel Rényi vom Nachrichten- und Kulturmagazin Magyar Narancs. „Ich schäme mich für Ungarn. Das sind keine europäischen Gesetze“, fügt er hinzu.
Doch von solchen Protestaktionen zeigt sich Regierungschef Viktor Orbán bislang ungerührt. Denn er weiß: Die Kritiker haben wenig Chancen, an den umstrittenen Gesetzen etwas zu ändern. Die Mehrheit der ungarischen Bevölkerung steht weiter hinter Orbán. Die Umfragewerte sprechen für ihn: Rund die Hälfte der Ungarn geben in Befragungen an, sie würden Orbáns nationalkonservative Partei Fidesz wieder wählen. Darunter sind auch viele Journalisten, die eng mit der Regierung verbunden sind. Die Wochenzeitung Héti Válasz wird gar von Orbáns ehemaligem Regierungssprecher geleitet. Rechtskonservative Journalisten sprechen sich daher öffentlich gegen die Proteste aus. Die Mediengewerkschaften sind ebenso polarisiert wie der Rest der Gesellschaft. Nur die größte Oppositionspartei im Parlament, die sozialdemokratische MSZP, zeigt Geschlossenheit: Sie wirft Orbán autoritäre Tendenzen vor. Fidesz beabsichtige, alle Medien zu Parteimedien zu machen, sagte die Abgeordnete und frühere Vorsitzende der MSZP, Ildikó Lendvai. Ungarns Sozialdemokraten haben beim Verfassungsgericht in Budapest Klage gegen die Mediengesetze erhoben.
Nach der Verabschiedung des letzten Teils der Mediengesetze Ende Dezember hagelte es Kritik, denn Ungarn übernahm zeitgleich die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union. Der Europäische Journalistenverband und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) verurteilen aber schon seit Monaten die „undemokratischen“ und „diktatorischen“ Bestimmungen. Die Fraktionschefs der Sozialdemokraten, Grünen und Linken im Europäischen Parlament sprachen vor kurzem von „Gefährdung der Meinungsfreiheit“ und „autoritärer Machtausübung“.
Die Europäische Kommission überprüft die Gesetze nun auf ihre Rechtmäßigkeit. Sie beschäftigt sich mit der Frage, ob das ungarische Mediengesetz die EU-Richtlinie zu den audiovisuellen Medien verletzt und ob ein Verstoß gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit nachgewiesen werden kann. Kommissionschef José Manuel Barroso glaubt, dass „Anpassungen notwendig sind“. Doch das Verfahren könnte Monate, wenn nicht Jahre, dauern. Offiziell hat Orbán mehrmals erklärt, dass seine Partei bereit sei, die Gesetze zu ändern, sollten sie tatsächlich gegen EU-Recht verstoßen. Aber Orbán weiß auch, dass sich die politischen Risiken für seine Regierung in engen Grenzen halten, denn der Spielraum der EU ist in solchen Fällen immer noch relativ gering. Bei einer Auseinandersetzung im Europäischen Parlament am 19. Januar verteidigte er seine Gesetze aufs schärfste. Er sei „demokratisch gewählt“ und „lasse es nicht zu, dass das ungarische Volk beleidigt wird“. Seine Regierung sei zu dem Schluss gekommen, dass die Gesetze „notwendig sind“.
Außerdem reagierte die Europäische Union zu spät. Monatelang schaute sie zu, wie das Parlament in Budapest Teile der umstrittenen Gesetze verabschiedete. Die pressefeindlichen Neuerungen waren in Ungarn bereits seit dem vergangenen Sommer Thema in einem politisch extrem polarisierten Land. Auch in seinen acht Jahren in der Opposition hatte Viktor Orbán sich über die „linke Presse“ beschwert. Bei den Wahlen im April erlangte Orbáns Fidesz, durch die Wirtschaftskrise nach oben gespült, eine komfortable Zweidrittelmehrheit. Sie erlaubt es dem Ministerpräsidenten, jedes Gesetz und sogar die Verfassung nach Belieben zu ändern, ohne eine starke Opposition fürchten zu müssen. Als die neue Regierung kurz nach dem Amtsantritt ankündigte, dass sie eine grundsätzliche Neuregulierung der Medien vorbereitet, überraschte dies niemanden in Ungarn. Auch für den Fall, dass die Europäische Union weiterhin die Mediengesetze kritisiert, hat Orbán vorgesorgt. Laut einem Paragraphen, der aus der ersten offiziellen englischen Übersetzung der Mediengesetze ausgelassen wurde, darf die neue Aufsichtsbehörde Geldstrafen erst ab dem 1. Juli verhängen. Also ab dem ersten Tag nach Ende der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Italien plant harte Strafen für Journalisten

Italien plant eine Reform seines Verleumdungsgesetzes. Das Vorhaben wird derzeit vom Justizausschuss des italienischen Senats geprüft und sieht neben höheren Geldstrafen auch ein gefährliches Verbot journalistischer Berufsausübung vor. Verurteilte Reporter*innen könnten ein Arbeitsverbot von bis zu sechs Monaten erhalten. Auch Haftstrafen für Medienschaffende, die eigentlich nicht im Gesetz auftauchen sollten, werden in einem jüngsten Änderungsantrag wieder hinzugefügt.
mehr »

Top Tarifergebnis im Kino

In den Tarifverhandlungen mit der Kino-Kette UCI (United Cinemas International GmbH) wurde am 19. Februar 2024 ein Tarifergebnis erzielt, das an vielen Stellen die ver.di-Forderungen erreicht, so auch den Einstiegslohn von 14 Euro. In der anschließenden Befragung der Mitglieder bis zum 4. März gab es keinerlei Ablehnung. Somit beschloss auch die ver.di-Tarifkommission einstimmig die Annahme des Tarifergebnisses.
mehr »

Einschüchterungsversuche der Hohenzollern

Eine Studie der Universität Leipzig hat am Beispiel der deutschen Adelsfamilie Hohenzollern untersucht, wie kritische Berichterstattung und Forschung durch gezielte Anwaltsstrategien beeinflusst oder behindert werden sollen. Die Kommunikationswissenschaftler*innen haben dabei die Wirkung von SLAPPs (Strategic Lawsuits Against Public Participation) aus Sicht der Betroffenen nachvollzogen. Verunsicherung und Einschränkung der Arbeitsfähigkeit sind direkte Folgen bei ihnen.
mehr »

Honoraruntergrenzen bei der Kulturförderung

Claudia Roth will ein Versprechen einlösen und Mindeststandards für Honorare von Freien bei der Kulturförderung des Bundes sichern. Laut Ampel-Koalitionsvertrag von 2021 sollten öffentliche Gelder für die Kultur an faire Vergütung gekoppelt sein. Nun, so die Kulturstaatsministerin, werden „für den Kernbereich der Bundeskulturförderung“ Mindesthonorare für Künstler*innen und Kreative eingeführt.
mehr »