Aus einem Gespräch mit dem kubanischen Filmregisseur Fernando Pérez
Im Mai 2013 versammelten sich spontan 80 Filmemacher und Produzenten verschiedener Altersgruppen im Cafe „Erdbeer und Schokolade“ in Havanna. Ohne ihr Wissen hatte sich eine Kommission zur Restrukturierung des staatlichen kubanischen Filminstituts (Instituto Cubano del Arte e Industria Cinematográficos, ICAIC) konstituiert. Das ICAIC regelt den größten Teil des Filmschaffens der Insel, es stellt seinen Mitgliedern Logistik und Wissen zur Verfügung. Ihm gehört die Mehrzahl der Filmemacher der ersten und zweiten Generation seit seiner Gründung 1959 an. Die Filmschaffenden fordern nun mehr Teilhabe und ein Filmgesetz, das ihnen mehr Unabhängigkeit in der Filmproduktion ermöglicht. Ein erster Gesetzentwurf wird für den kommenden April erwartet. Auch der Regisseur Fernando Pérez hatte sich damals im „Fresa y chocolate“ eingefunden. Ute Evers sprach mit ihm in Havanna.
Was ging der Forderung nach einem neuen Filmgesetz voraus?
Fernando Perez | Ungeduld. Motive für ein neues Gesetz gibt es schon seit Jahren. Die Filmindustrie bzw. die audiovisuellen Medien müssen wieder die Dynamik zurückgewinnen, die sie noch vor den 1990er Jahren hatte, bevor die Wirtschaftskrise begann. Das kubanische Kino brach damals regelrecht zusammen und konnte gerade so überleben. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts entwickelt sich eine andere Dynamik im kubanischen Kino. Den audiovisuellen Medien öffnen sich über die neuen Technologien immer mehr Freiräume. Wir Filmemacher des ICAIC fingen schon früh an, um die Flexibilisierung einer Reihe von Normen und Gesetzen zu kämpfen.
Was fordern die Filmemacher konkret?
Die Transformation der audiovisuellen Medien kann nicht allein die Veränderung des ICAIC bedeuten! Es ist ein sehr komplexes Phänomen, das uns vor Herausforderungen stellt, die nicht auf eine Institution konzentriert sein können. Unabhängige Produzenten und Filmemacher sollten über gesetzliche Rahmenbedingungen anerkannt werden. Das ICAIC erkennt bisher nicht alle unabhängigen Produzenten an, weshalb einige weder Zutritt zum Vertrieb haben noch die Möglichkeit der Partizipation. Man will, dass das ICAIC das leitende Organ bleibt. Aber es soll nicht die einzige offizielle Produzentin bleiben.
Schließlich sind da noch die Kinosäle, die ziemlich heruntergekommen sind. Längst haben sie ihre Anziehungskraft beim Publikum verloren. Die Sanierung der Kinosäle hat zwar Priorität, aber auch das Kinoprogramm sollte verbessert, vielfältiger werden. Denn sonst können wir langfristig nicht mit den anderen digitalen Medien konkurrieren, die außerhalb der Kinosäle Räume für den Film bieten.
Was hat sich in der Filmproduktion seit der Digitaltechnik auf Kuba verändert?
Mit dem Aufkommen der Digitaltechnik hängt vor allem die Filmproduktion nicht mehr allein von der staatlichen Filmindustrie ab. Einige Filmemacher produzieren unabhängig mit ihrer eigenen digitalen Kamera. Noch Ende der 1990er Jahre wäre es auf Kuba einer Ketzerei gleichgekommen, das Wort unabhängig zu verwenden. Jetzt müssen dafür Gesetze geschaffen werden, denn der unabhängige Film ist längst eine Tatsache auf Kuba.
Das Festival Muestra Joven hat sich zu einer bunten Plattform entwickelt, bei dem auch unabhängig Schaffende ihre Filme zum Wettbewerb einreichen können. Sie waren dort einige Jahre Direktor?
Ja, ich war von 2009 bis 2012 Leiter der Muestra Joven ICAIC, einem Festival für Filmemacher bis 35 Jahren. Obgleich es dem ICAIC untergeordnet ist, genießt die Muestra seit ihrer Konstituierung 2001 relative Autonomie. Zuerst reichte man kleine Kurzfilme, danach „normale“ Kurzfilme und schließlich „richtige“ Spielfilme ein, die allesamt autonom produziert wurden. Als Direktor gab mir das die Möglichkeit, das unabhängige Filmschaffen zu unterstützen. Irgendwann wollte auch ich die Erfahrung des unabhängigen Filmschaffens erleben. Ich reichte dem ICAIC meine Pensionierung ein und drehte meinen Film „En la pared de las palabras“ (2014).
Hinzukam, dass meine Arbeit als Direktor der Muestra nicht frei von Konflikten war. Im zweiten Jahr meines Vorsitzes stießen wir bei der Leitung des ICAIC und des Ministeriums für Kultur auf Widerstand. Es gab unter anderem einen Dokumentarfilm über den kubanischen Rapper Rayzel. Der Film zeigt zwar Schwächen, das Thema aber gab Anlass zu einer interessanten Debatte. Also schlug ich ihn für das Festival vor, was abgelehnt wurde. Das spitzte sich soweit zu, dass ich sie vor die Entscheidung stellte: entweder die Leitung der Muestra unter meinen Vorstellungen oder mein Rücktritt. Also zog ich mich 2012 von meinem Amt zurück. Die Muestra soll schließlich von den jungen Menschen geleitet werden. Das Festival ist der Raum für die neuen Generationen, wo sie Debatten führen und ihre Werke analysieren können. Die Muestra (1. bis 6. April in Havanna, die Red.) soll daher eher inklusiv als exklusiv sein.
Stimmt es, dass das junge Kino mitunter journalistische Züge annimmt?
Das war während der letzten Muestra tatsächlich Thema einer internen Debatte. Viele Studenten der Sozial- und Kommunikationswissenschaften haben in den digitalen Medien die Ausdrucksmöglichkeit entdeckt, Themen unserer Wirklichkeit kritisch zu behandeln – was sie nicht in den Printmedien oder im Fernsehen machen können. Ihre Filme haben mehr einen journalistischen denn ästhetischen Wert. Einige Filme werden auch zum Wettbewerb eingereicht. Ich habe diese Projekte unterstützt. Man muss darauf aufmerksam machen und sagen: Schau, das passiert hier gerade, und die Muestra nicht ausschließlich zum Mekka der hohen Filmkunst machen.
Internetseiten (spanischsprachig):
http://laventana.casa.cult.cu
http://www.cubacine.cult.cu/ (Homepage ICAIC)