Verbot aufheben

Gericht erklärt Aktion gegen Özgür Politika für rechtswidrig

Das Bundesverwaltungsgericht erklärt die Schließung der türkisch-kurdischen Tageszeitung Özgür Politika für rechtswidrig. Die Deutsche Journalisten-Union (dju) in ver.di sieht in der Großrazzia gegen das Blatt und der Beschlagnahme der Redaktionsmaterialien einen weiteren schweren Eingriff in die Presse- und Meinungsfreiheit und fordert, das Verbot umgehend aufzuheben.

Politische Attacken waren die Mitarbeiter von Özgür Politika (Freie Politik) gewohnt. Wegen ihrer regierungskritischen Berichterstattung war die Redaktion besonders aus der Türkei wiederholt angegriffen worden. Für einen Teil der Redaktion muss das wörtlich genommen werden. Bevor Özgür Politika Ende August 1995 im hessischen Neu-Isenburg gegründet wurde, arbeiteten einige der rund 20 Mitarbeiter für die türkisch-kurdische Zeitung Özgür Ülke (Freies Land) in der Türkei. Das Vorgängerblatt hatte im Dezember 1994 traurige Berühmtheit erreicht, als eine Bombenserie die Büroräume in An­kara und Istanbul verwüstete. Bei dem Anschlag auf die Istanbuler Redaktion wurde damals Ersin Yildiz getötet, fünf weitere Mitarbeiter wurden zum Teil schwer verletzt. Die Anschläge waren ein Anlass, Özgür Politika in Deutschland aufzubauen. Hier lebten immerhin über eine Million Landsleute. Und man hatte Vertrauen in den deutschen Rechtsstaat.

Dieses Vertrauen wurde Anfang September schwer erschüttert. Auf direkte Weisung des Innenministeriums hin hatten Beamte des Bundeskriminalamtes die Redaktionsräume am 5. September besetzt. Um weiteren Protesten gegen seine Politik vorzubeugen, hatte sich der in­zwischen abgewählte SPD-Innenminister Otto Schily eines Tricks bedient. Nicht die Zeitung wurde verboten, sondern der Herausgeber, die E. Xani Presse- und Verlags GmbH. Diese sei „in die Gesamtstruktur der (kurdischen Guerillaorganisation) PKK eingebunden“ und habe sich daher „Verstöße gegen das Vereinsrecht“ zuschulden kommen lassen. Einrichtung, Computer, Bücher, Archivmaterial – alles wurde aus der Redaktion in LKWs fortgeschafft. Zeitgleich wurden die Räume der Nachrichtenagentur MHA in Neu-Isenburg, des Musikproduzenten MIR in Düsseldorf und des Mesopotamiya-Verlages in Köln durchsucht. Bundesweit waren über 300 Beamte des Bundeskriminalamtes im Einsatz.

Am 18. Oktober dann erklärte das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig die Aktion für rechtswidrig. Dem Urteil des sechsten Senats (Az.: 6 A 4.05) zufolge hat zu keinem Zeitpunkt ein öffentliches Interesse an dem Verbot bestanden. Diese Auffassung teilt auch die dju. In einer Erklärung forderte sie den de­signierten CDU-Innenminister Wolfgang Schäuble auf, das Verbot zurückzunehmen. Die Gewerkschaft kritisierte zudem die „mehr als fragwürdige Begründung“ des Verbots. Özgür Politika habe zwar Grundpositionen der kurdischen PKK dokumentiert. Dies sei jedoch nicht mit der Einbindung in die Befehls- und Kommandostrukturen der Bewegung gleichzusetzen. Schily habe sich daher einmal mehr eines „schwerwiegenden Angriffs auf die Presse- und Meinungsfreiheit“ schuldig gemacht.

Nach dem Leipziger Urteil war die Redaktion zuversichtlich, die Arbeit wieder aufnehmen zu können. „Allerdings müssen wir den gesamten Betrieb wieder neu aufbauen“, sagte Herausgeber Cemal Ucar. Nach Angaben Ucars hatte die Polizei über eine Woche nach dem Urteil einen Großteil des beschlagnahmten Inventars weiterhin einbehalten, unter anderem die Computer und das Archiv.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Medien und Recht: Was sind Texte, Fotos und Videos eigentlich wert?

Welche Vergütung für ein Werk ist angemessen und wie hoch ist sie, wenn das Urheberrecht verletzt wurde? Das Urheberrechtsgesetz (UrhG) soll das Einkommen von Kreativen sichern, indem es verhindert, dass Werke wie Texte, Fotos oder Videos ohne Erlaubnis verwendet werden. Denn bei geistigen Leistungen ist die Gefahr groß, dass sich andere einfach an ihnen bedienen und die Ur-heber*innen leer ausgehen. Aber selbst wenn eine Erlaubnis erteilt wurde, ein Werk zu nutzen, muss die Vergütung „angemessen“ sein. Ist dies nicht der Fall, können Urheber*innen verlangen, dass der Vertrag dahingehend geändert wird, dass sie eine angemessene Vergütung erhalten, selbst wenn im Vertrag etwas…
mehr »

Recht auf gleichen Lohn muss Bringschuld sein    

Das Bundesarbeitsgericht hat mit einem Paukenschlag das Recht von Frauen auf gleichen Lohn wie für männliche Kollegen gestärkt – ein Gesetz wäre aber noch besser als ein Urteil.
mehr »

Guter Journalismus ist konstruktiv

„Konstruktiver Journalismus ist guter Journalismus, nichts anderes!“ So Keynote-Sprecherin Sham Jaff auf dem 35. ver.di-Journalismustag am 4. März in Berlin, der danach fragte, wie wir „mit Constructive News durch die Krise“ kommen. Corona-Pandemie, Ukrainekrieg, Klimanotstand – angesichts geballter schlechter Nachrichten schalten viele Rezipient*innen ab und Medien setzen große Hoffnungen in konstruktiven Journalismus. Die Konzepte sind facettenreich.
mehr »

Konstruktives im Goldfischglas

Zur Auflockerung mal stehen: Die Fishbowl-Diskussion „Stärken der Debattenkultur durch konstruktiven Journalismus“ lud zum offenen Debattierkreis ins ver.di Atrium ein. Ins „Goldfischglas“ der „Fishbowl“ mit Laura Goudkamp, Hanna Israel und Tina Fritsche auf der Bühne durfte jeder springen, der Fragen oder Meinungen zum Thema beisteuern wollte.
mehr »