Workers World Radio

Martin Jansen sitzt mit zuversichtlicher Miene inmitten von Computern, Lautsprechern, digitalen Schneidemaschinen, Mikrophonen und Abspielgeräten. Seit mehr als einem Jahr hat der Mitarbeiter des Arbeiterbildungszentrums TULEC (Trade Union Library and Education Center) alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die Finanzierung für die Grundausstattung des Studios sicherzustellen. Ab Februar 2000 wird Workers World Radio Productions seine Arbeit im südafrikanischen Kapstadt aufnehmen.

Schon seit Jahren macht der Mann in den Mittvierzigern Bildungsarbeit zu Sozial- und Arbeitsfragen. Die Probleme brennen unter den Nägeln, denn Südafrika ist nach Brasilien das Land mit der größten Kluft zwischen arm und reich. Jansens Seminare sind beliebt, fassen aber nicht mehr als 50 Teilnehmer. „Wir suchten nach Möglichkeiten, mehr Menschen zu erreichen“, erzählt Jansen. Oft scheiterte eine Teilnahme an den Seminaren auch an den Transportmöglichkeiten, denn ein öffentliches Verkehrssystem ist in Kapstadt kaum vorhanden.

Ein weiteres Argument für ein Hörfunkprojekt ist die hohe Analphabetenrate. Die südafrikanische Regierung wendet zwar mit mehr als zwanzig Prozent des Staatshaushalts den größten Posten für den Bildungs- und Erziehungssektor auf. Trotzdem liegt die Analphabetenquote bei 39 Prozent. Informationen via Printmedien haben also eine begrenzte Reichweite. Demgegenüber geben 91 Prozent der südafrikanischen Bevölkerung an, regelmäßig Radio zu hören.

Bereits 1997 ging TULEC gemeinsam mit anderen sozialen Initiativen auf Sendung. Eine ihrer Zielgruppen waren die zahlreichen Beschäftigten in Privathaushalten. Schätzungen zufolge gibt es davon in Südafrika mehr als eine Million. Sie kommen meistens aus ländlichen Gebieten und arbeiten für ein Taschengeld, von dem sie weder den Lebensunterhalt ihrer Kinder noch Sozialversicherungen bezahlen können. Neben Informationen zur rechtlichen Situation, Betroffenenberichten und Alltagsreportagen versorgte das wöchentlich für mehrere Stunden ausgestrahlte Radioprogramm die Zuhörer mit internationalen und südafrikanischen Neuigkeiten zu Arbeitskämpfen und Ökonomie.

Doch nach zwei Monaten war Schluss. „Wir hatten keine Erfahrung und unterschätzten den Arbeitsaufwand“, begründet Jansen das Scheitern des ehrenamtlichen Projekts. Einige der früheren Mitarbeiter haben aufgegeben, aber andere sind hinzugekommen und haben einen neuen Ansatz entwickelt. Workers World Radio Productionswird selbst nicht auf Sendung gehen, sondern Hörfunkbeiträge für die mehr als 80 selbstverwalteten Radiostationen in Südafrika produzieren. Ausschlaggebend für diese Entscheidung war die langwierige und bürokratische Prozedur bei der Lizenzvergabe sowie die prekäre Situation der „Community-Radios“, die selbst kaum über genügend finanzielle Mittel verfügen, um eigene Beiträge zu produzieren.

Diesmal ist auch für fachliche Kompetenz gesorgt. Im ersten Jahr wird eine Hörfunkjournalistin bezahlt, um die ehrenamtlichen Mitarbeiter zu trainieren. „Meine größte Sorge ist, daß die ehrenamtlichen Kräfte bald nach dem Training zu einem kommerziellen Sender wechseln“, erklärt Jansen. Denn im Rahmen der Antidiskriminierungsprogramme ist die Nachfrage nach qualifizierten, nicht-weißen Arbeitskräften auch im Journalismus enorm angestiegen. Doch für Martin Jansen ändert das nichts an der Notwendigkeit, den 45 Prozent der südafrikanischen Bevölkerung ein Forum zu bieten und eine Stimme zu geben, die unterhalb der Armutgrenze leben müssen.


  • Kontakt:
    Workers World Radio Productions
    c/o TULEC
    P.O. Box 376
    Woodstock
    7915 Cape Town
nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Nicaraguas bedrohte Medien

Die Diktatur des nicaraguanischen Präsidentenpaars Daniel Ortega und Rocio Murillo hat in den letzten Jahren immer mehr Journalist*innen ins Exil getrieben. Unter erschwerten Bedingungen berichten Menschen wie Lucía Pineda vom Nachrichtenkanal "100% Noticias" oder Wendy Quintero nun aus dem Ausland. Für diese Arbeit nehmen sie stellvertretend für viele andere am 26. November 2024 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung entgegen.
mehr »

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »

Trump: Angriff auf kritische Medien

Donald Trump hat schon im Wahlkampf angekündigt, US-Medien, von denen er sich kritisiert und angegriffen sieht, auszuschalten, sollte er gewählt werden. Von welchen Möglichkeiten er dabei unter anderem Gebrauch machen kann, hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) in einem Beitrag aufgeführt. Es zeigt sich: Trumps Drohungen sind alles andere als unrealistisch. Und sein Vorbild für diese sitzt in Europa.
mehr »

Fakten for Future

Menschen jeden Alters machen sich Sorgen um die Zukunft unseres Planeten. Carla Reemtsma ist Klimaschutzaktivistin und Mitorganisatorin des Schulstreiks Fridays for Future („Klimastreik“) in Deutschland. Als Sprecherin vertritt sie die Bewegung auch in der medialen Öffentlichkeit. Wir sprachen mit ihr über Kommunikationsstrategien, Aktivismus und guten Journalismus.
mehr »