Zensurvorwurf

Venezuela: Debatte um Aufkündigung einer staatlichen Sendelizenz

Die Beziehung zwischen der Regierung Venezuelas und den Privatmedien des Landes ist seit Jahren belastet. Besonders seit einem Putschversuch im April 2002 werden die vier privaten Fernsehsender – Globovisión, Venevisión, RCTV und Televen – von der linken Regierung bezichtigt, für die Opposition einseitig Partei zu ergreifen. Zum Jahreswechsel ist der Streit erneut eskaliert. Ende Dezember kündigte die Regierung an, die Sende­lizenz für den Kanal „Radio Caracas Televi­sión“ im Mai nicht zu verlängern. Doch ist die Pressefreiheit deswegen in Gefahr?

Das behauptet zumindest Marcel Granier. Der Präsident des Medienkonzerns 1BC läuft gegen die „Enteignung“ Sturm: „Wir sind auf dem besten Weg zu einer gleichgeschalteten Presse – wie in Kuba, wo nur das kommunistische Fernsehen und Radio existiert“, erklärte der Medienunternehmer Mitte Januar in der brasilianischen Tageszeitung „O Globo“. Der Vergleich ist ein Indiz für die politische Polarisierung, die sich auch auf den Streit um die Sendelizenz auswirkt. In der Entscheidung zeige sich, dass Präsident Chávez ein „Tyrann“ sei, sagte der ehemalige Präsidentschaftskandidat und Sozialdemokrat Manuel Rosales. Ein hochrangiger Politiker der christdemokratischen Opposition bezichtigte die Regierung des „Verbrechens gegen die Pressefreiheit“.
RCTV besteht seit 54 Jahren und ist damit der älteste Fernsehsender Venezuelas. Seit Jahrzehnten pachtet er den staatlichen Kanal 2. Zuletzt wurde die Konzession im Jahr 1987 für 20 Jahre verlängert. Dass die Regierung den Vertrag nun nicht erneuern will, wird mit der politischen Rolle der privaten Fernsehsender begründet. Tatsächlich hatte RCTV während des Putschversuches rechter Militärs und Unternehmer gegen die Regierung im April 2002 aktiv Position ergriffen; die Regierungsmeinung wurde zensiert, während der Junta von diesem und anderen Privatsendern ein breites Podium geboten wurde. Trotz damaliger Kritik hatte sich dieses Schema auch bei folgenden Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Opposition wiederholt. Entsprechende Vorwürfe wurden von den Adressaten nicht bestritten.
Ende 2004 hatte die Regierung ein „Gesetz über die soziale Verantwortung von Radio und Fernsehen“ verabschiedet. Neben der Etablierung strenger Jugendschutzbestimmungen sollte damit vor allem dem politischen Missbrauch von medialer Macht Einhalt geboten werden. Mit Verstößen gegen dieses Gesetz begründet sie nun ihre Entscheidung. „Es gibt keine Enteignung oder Zensur“, verteidigt Informationsminister Willian Lara die Ver­fügung. Es laufe lediglich die Lizenz zur Nutzung des staatlichen Kanals aus und RCTV könne jederzeit privat über Kabel oder Satellit weitersenden. Auch würden die Anlagen nicht angetastet. „Der einzige Fernsehkanal, der in den acht Jahren dieser Regierung geschlossen wurde, war der staatliche Kanal VTV“, sagte Vizeminister Jorge Rodríguez, „von putschistischen Militärs am 11. April 2002“.

Es geht nicht um Pressefreiheit

Das Urteil teilt auch der deutsche Chávez-Biograph Christoph Twickel. Die Konzession für RCTV auslaufen zu lassen sei „in Ermangelung besserer Mittel Chávez‘ Weg, die putschfreundlichen Medien in die Schranken zu weisen“, schrieb er in der tageszeitung (taz). Eine Eindämmung der Pressefreiheit zu beklagen, sei vor allem „eigenartig“, weil „die venezolanische Regierung Hunderte Lizenzen für Bürgerfunk und -fernsehen vergeben“ hat. Dass es bei dem Medienstreit „nicht um Pressefreiheit geht“, meint auch George Ciccariello-Maher von der US-Universität Berkeley. Der Politologe erinnerte in einem Kommentar daran, dass die US-amerika­nische Medienkontrollbehörde FCC den Sender CBS mit einer Strafe in Höhe von 550.000 US-Dollar verurteilt hat, nachdem die Sängerin Janet Jackson im Februar 2004 während einer Live-Übertragung für den Bruchteil einer Sekunde ihren Busen entblößt hatte. Diesem banalen Fall stehe die Causa RCTV gegenüber; „ein Sender, dessen Beteiligung an einem Putschversuch mit mehreren Toten unbestritten ist“, wie Ciccariello-Maher bestätigt.
Während der politische Schlagabtausch zwischen Regierung und Opposition weitergeht, wird auch das Schicksal der RCTV-Beschäftigten debattiert. Sollten sie von der Konzernführung entlassen werden, werde die Regierung ihnen eine Weiterbeschäftigung garantieren, ver­sicherte Informationsminister Lara. Zugleich ermutigte er die Belegschaft, sich in einer Genossenschaft zu organisieren. In diesem Fall bestünden gute Chancen, die Sendelizenz nach dem 27. Mai selbst zu übernehmen.

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