Ausgezeichnet: Fernsehen à la App

Preisträgerin Kristina Mohr , begeisterte Fernsehzuschauerin und Mediathekennutzerin
Foto: Jan-Markus Holz

2. ARD/ZDF-Förderpreis für eine junge Medienmanagerin aus Leipzig

Man macht es spannend wie bei der Oscar-Verleihung. In welcher Kate­gorie Kristina Mohr den ARD/ZDF-Förderpreis „Frauen + Medientechnologie“ erhält, war bei unserem Gespräch in Leipzig noch nicht klar. Sicher dagegen schon: Die 24-Jährige hat 2016 eine ausgezeichnete Masterarbeit zu „Mediatheken als App“ vorgelegt.

Wir sitzen in Gu 203, dem Besprechungsraum in der Fakultät Medien an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig, in dem Kristina Mohr und andere künftige Medienmanager_innen mit ihrem Betreuer so manche Konsultation abgehalten haben. Und Prof. Dr. Ulrich Nikolaus kommt am Ende selbst vorbei, legt die tiefblau gebundene Arbeit auf den Tisch und sagt trocken: „Damit könnte man jemanden erschlagen.“ 138 Seiten Text und 50 Seiten Anhang, fest gebunden, die wiegen. Doch geht es hier nicht um Masse. Mit 1,0 hat Nikolaus die Leistung seiner Studentin bewertet und angeregt, sich damit um den Preis zu bewerben. Mohr, heute Master of Engineering, hat darin die „Usability von Smartphone-Mediatheken von Fernsehsendern“ untersucht.

Professor Dr. Ulrich Nikolaus bewertete die Masterarbeit von Kristina Mohr mit einer glatten Eins. Foto: Jan-Markus Holz

Drei Ziele hat die Frau

Kristina Mohr kann strukturiert, doch locker über Anliegen, Vorgehensweise und Ergebnisse berichten, tut das zugleich so, dass jedem Außenstehenden klar wird: Da hat sich eine begeistert in ihre Aufgabe vertieft und weder Zeit noch Mühe bei der Lösung gescheut. Kristina Mohr liebt Fernsehen, hatte sich in vorherigen Studienabschnitten bereits mit der Gebrauchstauglichkeit von Webseiten oder Programmen, mit dem Thema Barrierefreiheit, speziell mit ­Audiodeskription beschäftigt. Sie nutzt selbst Mediatheken und es interessierte sie zu untersuchen, wie die Datenmengen und Informationen auf dem kleinsten mobilen Endgerät präsentiert werden. So war das Masterarbeitsthema gefunden. Mit der Konzentration auf das Betriebssystem Apple iOS, das sie selber gut beherrscht und weit verbreitet ist, endete aber der Selbstbezug. Drei Ziele habe sie sich für die Arbeit gestellt: Antwort auf die Fragen zu finden, was sich für TV-Mediatheken für Gestaltungsempfehlungen geben lassen und wie diese momentan erfüllt werden. Außerdem: Einen Usability-Test zu entwerfen, der von realen Nutzer_innen ausgeführt werden kann und Rückschlüsse zulässt. „Anfänglich fand sich wenig Fach­literatur zum Thema. Ich war also eine Art Vorreiterin, musste aber auch selbst entscheiden: Wie fange ich’s an?“ Zunächst untersuchte die Forscherin die Beschaffenheit, den Aufbau und die Nutzbarkeit von acht verschiedenen TV-Mediatheken – mit differenziertem Ergebnis. Für einen Pilottest mit realen Nutzer_innen musste sie Apps auswählen, einen Laboraufbau und Fragebögen entwickeln, fünf Proband_innen unterschiedlichen Alters finden und Methoden der statistischen Auswertung vorschlagen. Da ihre Versuchspersonen gehalten waren, sich während des Testlaufs laut zu äußern, mussten Videoaufnahmen umfassend ausgewertet und dokumentiert werden. Sowohl Eingaben/Touchs, Lösungswege als auch mündliche Kommentare waren einzubeziehen.

„Das ginge viel besser…“

„Die Nacharbeit war dann tatsächlich am aufwändigsten. Es entstand eine Riesen-Excel-Tabelle“, erläutert die Absolventin. Einige finale Befunde: Die untersuchten Apps erwiesen sich als sehr unterschiedlich in Funktionsumfang und Darstellung. „Etliche waren regelrecht überladen mit Informationen, weshalb ich nur raten kann: Die Inhalte stark reduzieren oder Teile auslagern auf Unterseiten.“ Weitere auffällige Mängel: Sendungstitel werden in der Darstellung abgeschnitten, auch Inhaltsangaben sind einfach abgekürzt und nicht weiter aufklappbar, Vorschaubilder werden teilweise winzig oder zu verpixelt angezeigt. Weiter: Um eine Sendung schnell zu finden, müsste man eigentlich das Programmschema kennen. Mit normalen Nutzer_innen habe man den Gebrauch wohl nie getestet, vermutet Mohr, denn: „Die Suchfunktion ist bei allen Apps enttäuschend.“ Tippfehler bei Eingaben würden nicht korrigiert, nur bei wenigen Sendern würden ­Lösungsalternativen angeboten. Nicht selten erhalte man völlig sinnlose Ergebnisse. Dass die Suche als „lernendende Funktion“ angelegt wäre, sei nirgends erkennbar. „Das ginge viel besser, daran sollten die Sender mal als erstes arbeiten.“ Auch die aktuellen Befunde bei Barrierefreiheit, etwa die Untertitelfunktion, könnten nicht befriedigen. Ihre Arbeit biete viele Hinweise, was unter Bedienungsgesichtspunkten bereits bei der Entwicklung von Mediathek-Apps beachtet werden sollte, meint Mohr. „Das wäre auch kostensparender als nachträgliche Reparaturen.“

Die Anwendbarkeit der Ergebnisse lobt auch Betreuer Prof. Nikolaus: Die Arbeit zeige präzise existierende Schwachstellen auf und biete „Ansätze für eine nachhaltige Optimierung“. Denn offenbar würden „Usability-Tests bei TV-Mediatheken bisher weniger konsequent durchgeführt als im klassischen Interface­design“. Dafür spricht auch: Bisher habe nur Radio Bremen nach den Forschungsergebnissen gefragt – „und die Arbeit bekommen“, weiß die Verfasserin.

Eigeninitiative vorausgesetzt

Der Erfolg von Kristina Mohr und die Tatsache, dass mit Bachelor-Absolventin Carolin Schramm eine zweite HTWK-Studentin unter den „Frauen + Medientechnologie“-Preisträgerinnen 2017 ist, sieht Nikolaus auch als neuerliches Qualitätssiegel für die in Leipzig angebotenen Medienstudiengänge. In der Regel seien etwa ein Drittel der Studierenden Frauen, ihre Ergebnisse nicht selten besser als die ihrer männlichen Kommilitonen. Im praktischen Berufsleben, etwa in leitenden Positionen, verkehre sich das Verhältnis dann oft. Umso höher schätzt Nikolaus die „Strahlkraft“ solcher Förderpreise.

Der Studiengang Medienmanagement, den Kristina Mohr direkt im Anschluss an ein Bachelorstudium Medientechnik in Leipzig belegte, führe Student_innen aus AV- und digitalen Spezialisierungen mit denen der Buch- und Medienproduktion zusammen, fördere so Vernetzung und „Crossmediales Publizieren“, erläutert Prof. Ulrich Nikolaus. Während in den sieben­semestrigen Bachelor-Studiengängen das technische Fachwissen im Vordergrund stehe, erhielten Masterstudenten Vertiefung und die Befähigung, später auch leitende Funktionen im Medienbereich auszuüben. Schwerpunkte liegen auf betriebswirtschaftlichen Grundlagen – Personalmanagement, Controlling und Marketing – sowie Wirtschaftsrecht, aber auch in vertiefenden innovativen Medientechnologie-Inhalten und IT-Konzepten, die durch Wahlpflichtmodule abgedeckt werden. Wenn künftig Medieninformatiker_innen die Fakultät bereichern, werde sich das Spektrum noch erweitern, hofft Nikolaus, der den Medienmanagement-Studiengang mit aus der Taufe gehoben hat. Schließlich werde viel Wert auf „individuelle Vertiefung“ gelegt. Studierende entwickelten etwa gemeinsam eine App, je nach Neigung könnten sie inhaltliche Konzepte, grafisches Design oder Programmierleistungen beisteuern. Immer ergäben sich Synergieeffekte. „Dieses Studium setzt Eigeninitiaive voraus“, ist Nikolaus überzeugt, eröffne aber auch zusätzliche Freiräume. Kristina Mohr etwa belegte sogar ein Modul Digitale Fotografie in einem anderen Studiengang. Sie betont rückblickend den Wert des Praxis­semesters im Bachelorstudium, das sie zum Fernsehen führte und ihr erstmals überhaupt Einblicke in den Berufsalltag eröffnete. Doch auch Mitstudierende, die schon eine Ausbildung abgeschlossen hatten, „kamen als andere Leute aus dem Praxissemester zurück“. Für Mohr selbst war der Einsatz noch in anderer Hinsicht prägend: Sie arbeitet heute als Assistent-Producerin in der Redaktion Programmablauf beim MDR – genau in der Abteilung, wo sie vor Jahren ihr Praktikum absolvierte. Sie sieht das als „gut passenden zeitlichen Zufall“ und ist „glücklich“, dass sie „genau auf der Stelle einsteigen konnte, die ich mir erhofft habe“.

Heute gehen beim MDR-Programmablauf u. a. alle Videofiles vorproduzierter Sendungen über ihren Tisch. Ihr Studium sei für diese Tätigkeit keine zwingende Voraussetzung, doch schon von Vorteil: „Die Tatsache, dass wir Einblicke in die verschiedenen Gewerke bekommen haben, dass ich also Basiskenntnisse in Bild und Ton, aber auch für Drehbuch und Sendekonzepte erworben habe, hilft sehr bei der Zusammenarbeit mit Fachexpert_innen. Über den Tellerrand sehen zu können, erleichtere ihr, Problemlösungen zu finden, sagt die Preisträgerin. Was nach der Verleihung noch auf sie zukommt, quittiert sie mit gelassener Neugier und einem fröhlichen Lachen.


The Winner is … Carolin Schramm (Mitte) wurde am 1. September als Siegerin gekürt. Sie erhielt den 1. Preis für ihre Bachelorarbeit „Untersuchung von 360°-Multikamera­systemen hinsichtlich ihrer Live-Streamingfähigkeit mit unterschiedlicher Kamera­anzahl“ im Studienfach Medientechnik an der HTWK. Den Silber-Preis errang Kristina Mohr (re.). Anna-Maria Daschner (l.) von der TU Ilmenau vervollständigte das diesmal komplett mitteldeutsche Preisträgerinnentrio. Foto: ARD/ZDF Förderpreis/Pflug

Förderpreis „Frauen + Medientechnologie“

Unter dem Slogan „Meine Idee schreibt Zukunft“ lobte die ARD.ZDF medienakademie, die Fort- und Weiterbildungseinrichtung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, 2017 zum neunten Mal den ARD/ZDF Förderpreis »Frauen + Medientechnologie« aus. Er richtet sich an Absolventinnen von deutschsprachigen Hochschulen und Universitäten und soll talentierte Frauen motivieren, sich mit Themen aus dem Bereich audiovisuelle ­Medienproduktion und -distribution zu befassen. Außerdem sollen den Preisträgerinnen karrierefördernde Kontakte in die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten vermittelt werden.

 

 

 

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