Media Hub Riga: Ein sicherer Ort

Büro im Riga Media Hub

Riga Media Hub. Foto: Sarah Schaefer

Verfolgung im Heimatland, Sorge um die Angehörigen, ein unsicherer Aufenthaltsstatus: Exiljournalist*innen gehen ihrer Arbeit unter enormen Belastungen nach. Der Media Hub Riga in der lettischen Hauptstadt unterstützt Journalist*innen vor allem aus Russland, aber auch aus Belarus, der Ukraine und weiteren Ländern dabei, an einem neuen Ort anzukommen – und hat dabei die psychische Gesundheit im Blick. Deswegen legt man großen Wert auf einen Co-Working-Space, bei dem es um viel mehr geht als Arbeit.

Wer den Media Hub Riga besuchen will, bekommt vorab von Leiterin Sabīne Sīle die Anweisung, die Adresse nicht weiterzugeben und keine Fotos zu machen, die seine Lage preisgeben. Drinnen wartet die alltägliche Atmosphäre eines Büros. Der Media Hub wirkt wie ein gewöhnlicher Co-Working-Space – nur freundlicher. An den Wänden hängen Fotos von lächelnden Menschen am Strand, eine Girlande aus Orangenscheiben schmückt den Flur. Luftballons, auf denen „Happy Birthday“ steht, zeugen von einer Geburtstagsparty.

Die familiäre Atmosphäre hat einen ernsten Hintergrund: Es ist der Versuch, Menschen Halt zu geben. „Unsere Vision ist es, nicht nur einen sicheren Ort zu schaffen, sondern auch eine sichere Gemeinschaft, die den Menschen dabei hilft, ihre traumatischen Erlebnisse zu überwinden“, sagt Sīle. Der Media Hub in Lettlands Hauptstadt ist eine Anlaufstelle für Journalist*innen und Aktivist*innen vor allem aus Russland, aber auch aus Belarus, der Ukraine und weiteren Ländern.

An diesem Abend schaut ein Mann im Media Hub vorbei, es ist der Journalist Jusuf Rusimuradow, der 19 Jahre in Usbekistan inhaftiert war. Nach seiner Freilassung im Jahr 2018 nannte die New York Times ihn den „am längsten inhaftierten Journalisten der Welt“. Namhafte russische Exilmedien wie Nowaja gaseta und Meduza nutzen die Angebote des Netzwerks.

Hilfe für über 500 Medienschaffende und ihre Familien

Bereits vor einigen Jahren spürten Sīle und ihr Team, wie die Stimmung sich veränderte. Bei Fortbildungen hätten die russischen Teilnehmer*innen oft Schwierigkeiten gehabt, sich zu konzentrieren, sie seien niedergeschlagen gewesen oder aggressiv. „Wenn es in den Schulungen um Themen wie Geschäftsmodelle und Monetarisierung ging, haben unsere Gäste oft gelacht“, sagt Sīle. Ihnen sei es absurd vorgekommen, Geschäftliches zu planen, während sie zu Hause immer stärker von den Behörden schikaniert wurden. Nach diesen Erfahrungen entwickelte das Team ein erstes Programm für psychische Gesundheit. Es soll Führungskräften dabei helfen, besser mit emotionalem Stress umzugehen und rechtzeitig Anzeichen für Depression, Burnout und eine posttraumatische Belastungsstörung zu erkennen. Auch schon vor der russischen Invasion der Ukraine suchten Journalist*innen aus dem Ausland und ihre Angehörigen vereinzelt Schutz in Lettland. Danach aber kamen sie in großer Zahl. Mehr als 500 Medienschaffende und ihre Familien haben allein 2022 Unterstützung vom Media Hub Riga bekommen. Das bedeutete: Menschen an der Grenze abzuholen, sie unterzubringen und finanziell zu unterstützen, Schulen für ihre Kinder zu finden.

Gefühle von Schuld und Ohnmacht

Exiljournalist*innen sind oft auf vielfache Weise psychisch belastet. Sie müssen ihr vertrautes Umfeld hinter sich lassen, manche russische Journalist*innen werden von ihren Familien als Verräter angesehen, weil sie sich kritisch zur Regierung positionieren und Hilfe aus dem westlichen Ausland annehmen. In Russland selbst laufen oft Ermittlungen gegen sie. Bei einer Rückkehr drohen hohe Strafen. Sīle beobachtet bei ihnen die Tendenz, sich zu viel zuzumuten, weil sie sich schuldig und ohnmächtig fühlen angesichts des Krieges, den ihr Land gegen die Ukraine führt. Dabei sei die Gefahr eines Burnouts besonders hoch.

Der Hub

Der Media Hub Riga ist ein Netzwerk verschiedener Organisationen. Beteiligt sind das Centre for Media Studies der Stockholm School of Economics in Riga, das Baltic Center for Media Excellence, der lettische Journalistenverband und die Sustainability Foundation, deren Mitgründerin Sabīne Sīle ist. Finanzielle Unterstützung kommt auch aus dem Ausland, darunter aus Deutschland, etwa von der Panter Stiftung der Taz.

Ukrainische Journalist*innen im Exil stammen laut Sīle meist aus den Regionen, die von Russland besetzt sind. Zu der massiven Belastung, über Gräueltaten in ihrer Heimat zu berichten, kommt die Sorge um die Angehörigen vor Ort. Große Hürden sind auch finanzielle Schwierigkeiten und eine ungewisse berufliche Perspektive. Und dann gibt es ein Problem, das selbst Sabīne Sīle unterschätzt hat: „Wir wussten nicht, dass der Aufenthaltsstatus eine solche Auswirkung auf die psychische Gesundheit hat.“ Häufig erteilen die lettischen Behörden lediglich Visa für ein Jahr. Im September 2022 verschärfte die damalige Regierung das Einwanderungsgesetz, seitdem gelten strengere Bedingungen für die Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen an Bürger*innen aus Russland und Belarus. Die Unsicherheit belaste die Betroffenen so sehr, dass es sogar Selbstmordversuche gegeben habe, sagt Sīle. „Für die Menschen ist es sehr wichtig zu spüren: Ich bin hier willkommen.“

Supervision für Journalist*innen

Und das führt wieder zu den Räumen des Media Hub, den Fotos an den Wänden, den Luftballons: Die Gemeinschaft soll in der unsicheren Zeit des Exils Sicherheit geben. Deswegen lädt Sīle regelmäßig zu Veranstaltungen ein, besonders im Winter, der schwierigen Jahreszeit. Dann treffen sich die Journalist*innen und ihre Familien, feiern in schrägen Kostümen Halloween oder schmücken den Weihnachtsbaum. Wer zum Media Hub Riga kommt, kann in einem Fragebogen den Wunsch angeben, psychologische Hilfe zu bekommen. Der Media Hub stellt den Kontakt zu Therapeut*innen her und unterstützt auch bei den Kosten für die Therapie. Mehrmals im Jahr organisieren Sīle und ihr Team Intensivprogramme zur Erholung. Hinzu kommen alltägliche Angebote wie Morgenspaziergänge im Wald oder Atemübungen. Sīle verweist darauf, dass psychische Gesundheit für alle Journalist*innen ein wichtiges Thema sei, nicht nur für jene im Exil. Sie findet, dass Beratung und Rücksprache normale Bestandteile der journalistischen Arbeit werden sollten. Supervision sei üblich im psychologischen, im medizinischen und sozialen Bereich – warum nicht auch im Journalismus?

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Türkei: Kurdische Journalisten in Gefahr

Nach Angaben der in Istanbul ansässigen Media and Law Studies Association (MLSA) standen zwischen dem 4. und 7. März mindestens 21 Journalisten vor türkischen Gerichten. Diese Zahl mag für deutsche Leser*innen schockierend sein, in der Türkei sind diese Ausmaße juristischer Verfolgung von Journalist*innen leider alltäglich. Unter dem Ein-Mann-Regime von Präsident Recep Tayyip Erdoğan sieht es mit der Meinungs- und Pressefreiheit im Land immer düsterer aus. Auch die jüngsten Daten der Journalistenvereinigung Dicle Fırat (DFG) zeigen deutlich, dass der Druck auf Journalisten wächst.
mehr »

Beschwerde gegen BND-Gesetz

Reporter ohne Grenzen (RSF) und die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) reichen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Beschwerde gegen das Gesetz über den Bundesnachrichtendienst (BND-Gesetz) ein. Damit reagieren die Organisationen auf ungenügende Reformen des Gesetzes, das den Schutz von Medienschaffenden nicht ausreichend berücksichtigt. RSF und GFF erwarten sich von der Entscheidung ein Grundsatzurteil, das nicht nur Auswirkungen auf die Rechtslage in Deutschland haben wird, sondern auch Strahlkraft in die anderen Mitgliedstaaten des Europarates.
mehr »

Social Media: Mehr Moderation gewünscht

Wer trägt die Verantwortung, um etwas gegen zunehmenden Hass in den sozialen Medien zu unternehmen? Die Plattformen? Die Politik? Die Nutzer*innen? Alle drei Gruppen jeweils zu einem Drittel. Zu diesem Ergebnis kommt eine repräsentative Studie der Technischen Universität München (TUM) und der University of Oxford. Sie zeigt auch: der Großteil der Menschen in den zehn untersuchten Ländern wünscht sich mehr Moderation bei Inhalten.
mehr »

Ecuador: Medien ohne Schutz

Mehr Schutz für Berichterstatter*innen, fordert Ecuadors Medienstiftung Fundamedios. Doch in der Regierung von Daniel Noboa, Sohn des Bananenmilliardärs Álvaro Noboa, stößt die Initiative auf Ablehnung. Dafür sei kein Geld da, lautet das Argument. Es ist allerdings ein offenes Geheimnis, dass Daniel Noboa eher auf TikTok, Instagram und andere soziale Netzwerke setzt und wenig von den traditionellen Medien hält. Erschwerend hinzu kommt, dass Kartelle, aber auch lokale Kaziken versuchen, Journalist*innen zu instrumentalisieren.
mehr »