Medienübergreifendes NDR-Projekt gegen Neonazis in Norddeutschland
Mit einem bislang einmaligen Projekt will der NDR in seinem gesamten Sendegebiet neonazistische Aktivitäten jenseits der medialen Tagesaktualität dokumentieren: im Hörfunk, Fernsehen oder im Web, mit Reportagen und Dokumentationen, als Blog oder virtuelle Landkarte. Das Projekt soll außerdem all diejenigen porträtieren und ermutigen, die sich seit Jahren gegen rechts engagieren, unbemerkt von der medialen Öffentlichkeit.
Den Startschuss gab NDR-Intendant Lutz Mamor in seinem Grußwort zur diesjährigen Tagung von netzwerk recherche in Hamburg, während gleichzeitig in der Hansestadt zehntausende gegen NPD und rechten Terror demonstrierten: „Heute startet im NDR auch ein trimediales Projekt im Zusammenhang mit rechter Gewalt. ‚Der Norden schaut hin – Die rechte Szene in Norddeutschland’. Darin geben die Kolleginnen und Kollegen einen Überblick in Hörfunk, Fernsehen und Online über rechte Übergriffe und Gegenaktionen von Menschen, die das nicht hinnehmen wollen“, so Mamor. Besonderen Dank zollte der Intendant seinen redaktionellen Mitarbeitern: „Dem Engagement von NDR-Journalisten ist es zu verdanken, dass es dieses Projekt gibt.“
Doch vor dem Engagement stand, wie so oft, eine bittere Erkenntnis: Wieso bedurfte es erst einer Mordserie der NSU (Nationalsozialistischer Untergrund), um sich mit der alltäglichen rechten Gewalt zu beschäftigen? Wieso das immer gleiche Warten auf Schlagzeilen, auf exklusive Fotos oder skandalträchtige Bilder, wenn doch der Kampf gegen rechts täglich in der Region stattfindet? Gleich nebenan.
Kuno Haberbusch, Initiator des NDR-Projekts: „Natürlich müssen wir uns genau diese Frage stellen: Haben wir – mit Ausnahmen – als Medien immer so genau hingeguckt, oder waren wir nicht ganz froh, dass wir so ein paar Einzelkämpfer hatten, auf die wir uns, wenn es etwas Spektakuläres gab, bequem zurückziehen konnten. Wie sieht es da mit unserer Pflicht aus? Natürlich gab es Versäumnisse.“
Diese Versäumnisse aufzuholen, das war die Idee, die in Kollegengesprächen erörtert wurde und sofort Anklang fand. Haberbusch: „Die Idee ist so banal: Abseits von Schlagzeilen zeigen wir drauf. Im Mittelpunkt stehen hier ausschließlich die Aktivitäten in Norddeutschland.“
Und dabei kann der NDR trotz aller Hierarchien und gewachsener Eigenständigkeit auf einen gewaltigen Fundus zurückgreifen: Neben der Zentrale in Hamburg gibt es die vier Landesfunkhäuser (Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Hamburg). Hinzu kommt noch Radio Bremen, das mitten im Sendegebiet liegt. Haberbusch: „Ich bin ganz erstaunt, was die Landesprogramme da geliefert haben. Das kriegen wir hier nur nicht so mit, weil es halt Regionalprogramm ist. Wir haben eine Auflistung gemacht, was da alles über Rechtsradikale lief? Wir nehmen vieles nur nicht wahr, was da gemacht wird.“
Zum ersten Mal spielen Fernsehen, Hörfunk und Online Hand in Hand, lernen voneinander: Die TV-Macher erfahren die Selbstverständlichkeit, dass ein Fernseh-O-Ton im Hörfunk nicht unbedingt sendefähig ist. Und die Onliner stellen fürs Web klar: Alles kann rein, aber nie länger als fünf Minuten.
Jede Menge juristischer Probleme müssen geklärt werden: Was darf auf die Seite (http://www.ndr.de/regional/rechtsextremismus179.html) gestellt werden? Was ist mit dem Drei-Stufen-Plan für die Mediathek, mit der Verweildauer von alten und neuen Beiträgen auf der NDR-Internetseite? Was mit gedrehtem, aber (noch) nicht gesendetem Material? Welche Persönlichkeits- und Senderechte sind bei Archivstücken zu beachten? Gerade im NDR-Archiv liegt ein wahrer Schatz, der wieder zugänglich gemacht werden soll. Aktuelle Beiträge werden mit Archivmaterial ergänzt, Entwicklungen aufgezeigt und rechte Strömungen ebenso wie Gegenaktivitäten eingeordnet.
Haberbusch: „Es war noch nie der Fall, dass sich so viele Akteure beteiligt haben. Alle Landesfunkhäuser, das Zentralprogramm, der Hörfunk, die Onliner. Von daher ist es schon ein Riesenprojekt mit dem ehrgeizigen Ziel, zu reportieren, zu dokumentieren, was da los ist. Abseits von NSU und aktuellen Schlagzeilen.“ Und auch abseits der eingefahrenen NDR-Strukturen. Ein festes Projektteam mit Vertretern der Landesfunkhäuser wurde gebildet. Dazu kommen Mitglieder aus Redaktionen aller Bereiche, 18 Festangestellte, die sich regelmäßig treffen. Im Netz wurde ein Laufwerk eingerichtet, zu dem sie Zugriff haben. Dort findet die Kommunikation statt. Etwa 25 freie Autorinnen und Autoren arbeiten mit.
Abseits der Aktualität wird für das Sendegebiet dokumentiert, worüber sich die Öffentlichkeit nur noch in Ausnahmefällen medial aufregt. Haberbusch: „Ein banales Beispiel: Es gibt die Finanziers der NPD. Wir fragen die, warum sie die NPD finanziell unterstützen. Ganz banal. Dann ist für andere Organisationen bekannt, wer die Hintermänner sind. Wir versuchen, mit denen in Kontakt zu kommen, sie bei ihren Aktivitäten zu filmen. Das stellen wir online und verorten das zu der Region. Gleichzeitig wird eine Liste und eine Landkarte rechtsradikaler Gewalt erarbeitet.“
Es ist ein Projekt des gesamten NDR. Extra freigestellt wurde niemand. Aber der Sender steht dahinter. Haberbusch, früher Leiter von Panorama: „Am Anfang, als ich die Idee hatte, war die Euphorie groß. Und diese Euphorie, diese Motivation müssen wir halten.“