Experten plädieren für eine Reform der deutschen Radio-Branche – medienpolitisch, ökonomisch und programmlich
Das Bild könnte nicht treffender sein: Über dem Branchentreff Radio Day schwebte ein Frosch mit Kopfhörern – und wartete symbolisch darauf, ein Prinz zu werden. Doch wie im Märchen muß er dafür erst geküsst oder mutig an eine Wand geworfen werden. Ähnlich geht es dem Hörfunk in Deutschland: Die Branche rangiert werbemäßig weit hinten, besitzermäßig ist sie eher ein Nebenbeigeschäft, programmlich befördert Innovationsarmut die Dudelfunk-Debatte und medienpolitisch ist Hörfunk hierzulande unbeachtet bzw. föderal überreguliert.
Wie immer waren beim Radio Day 2005 Ende April die Hallen der KölnMesse mit über 3.000 Fachleuten gut besucht. Keynote-Speaker Kurt Biedenkopf und der US-Kreative Doug Harris markierten die Spannbreite des Fachkongresses.
Und das Wichtigste: Deutschland hat nunmehr eine Radiozentrale – natürlich in Berlin, dem eh schon lebendigsten Radiomarkt in Deutschland. Sie soll das Marketing der gesamten Gattung in Kooperation mit den beiden großen Vermarktern AS&S und RMS voranbringen und medienpolitisch gemeinsam mit den Privatfunkverbänden VPRT und APR etwas bewirken. Vorbild sind die USA und Großbritannien, wo der Hörfunk nicht nur selbstbewusster, sondern auch selbstbestimmter und ökonomisch gewichtiger daherkommt.
Konzentrationsbewegung
Allein die Gründung der Radiozentrale würde allerdings nicht das rechtfertigen, was eine Insiderin als Kölner „Aufbruchstimmung“ beschrieb. Zwar waren Werbekunden Mangelware am Rhein, doch zugleich feierten die Geschäftsführer, Verkaufsleiter und Marketingchefinnen einen 26prozentigen Zuwachs der Spotbuchungen seit Jahresbeginn. Das war und ist Balsam für die geschundene Radioseele, die immerhin seit drei Jahren zweistellige Werbeeinbrüche verkraften musste.
Und auch die übliche Sender- bzw. Vermarkterpräsentation in den Messehallen mag die Gemüter beruhigt haben, die von Konzentrationsbewegungen verunsichert sind: In Köln traten weder RTL noch Regio-/Eurocast geballt als Gruppe auf, von Burda Broadcast, Studio Gong oder MOIRA ganz zu schweigen. Mit jeweils mehr als einem Dutzend Senderbeteiligungen sind das nämlich derzeit die aktivsten Spieler am deutschen Hörfunkmarkt, wenn es um die Bildung von Senderfamilien und Veranstaltergruppen geht. Während die einen den neuen Wettbewerb in Bundesliga und Kreisklasse einteilen, sprechen andere von Expansion und Abwehr. Für Dritte wiederum verläuft der Graben zwischen Erneuerern und Bewahrern. Selbst die Landesmedienanstalten beleuchten in ihrem neuen Jahrbuch, das im Mai erscheint, erstmals ausführlicher die „Konsolidierung der zersplitterten Eigentümerstrukturen“.
Den Markt deregulieren
Und die ändern sich im Wochentakt: Da übernimmt die RTL-Gruppe einen zweistelligen Anteil an Spreeradio, r.s.2 von Regiocast steigt stärker beim Berliner Rundfunk ein und die Holding plant für dieses Jahr noch vier weitere Deals. Die MOIRA (Medien Union Ludwigshafen) hat bald ihre Ballungsraumkette für das deutsch-türkische Radyo Makaria zusammen und ist jetzt schon der größte ausländische Radioinvestor in Österreich, und selbst die Dachgesellschaft Medialog des insolventen Radios Hundert,6 in Berlin-Brandenburg besitzt eine Kette von 21 polnischen Stationen. Studio Gong und Burda Broadcast wollen laut ihren Chefs, Philipp von Martius und Michael Tenbusch, „weiter zukaufen“. Vom Kopf-an-Kopf-Rennen der RTL-Radiogruppe mit NRJ / Energy um die europaweite Hörfunkmarktführerschaft ganz zu schweigen!
Das alles sind Investitionen in ein Medium, in dem offenbar noch viel Entwicklungspotential steckt. Den deutschen Hörfunkmarkt zu entfalten, gibt es inzwischen handfeste Vorschläge – Grundtenor aller Expertenpläne: konditionierte Deregulierung, ohne die Dualität zwischen privatem und öffentlich-rechtlichem Radio aufzugeben.
Sendenetz privatisieren
Das sei, so Prof. Dr. Klaus Goldhammer von Goldmedia „der Schlüssel zu Aufschwung und Vielfalt“. Er empfiehlt den Landesmedienanstalten z. B., nicht nur regional-lokal zu entscheiden, sondern interessanten Spartenwellen länderübergreifend Frequenzen zuzuweisen oder gar mit einem Schlag eine bundesweite Kette zu genehmigen. Noch weiter geht Rundfunkexperte Helmut G. Bauer: Er fordert beim Übergang von analog zu digital einen Hörfunk-Staatsvertrag aller Bundesländer. Darin sollte u.a. geregelt werden, was der Direktor der Medienanstalt Berlin-Brandenburg, Dr. Hans Hege, unter Verweis auf erfolgreiche Beispiele im Ausland zur Debatte gestellt hat: Das Oligopol von ARD und T-Systems beim terrestrischen Sendenetz durch Privatisierung zu beenden. Dazu bedarf es jedoch Mut – und nicht nur guter Stimmung bei einem Radio Day.
Deutsche Radiobranche: Zahlen und Fakten
Gesamt:
- 335 Radioprogramme, davon 268 private und 67 öffentlich-rechtliche
- mit über 132 dominieren die lokalen Sender; rund 60 sind landesweit-regionale, 18 bundesweite
- 45 Digitalradio-Programme
- 79 Prozent der Bevölkerung (50,9 Mio) hören durchschnittlich über 200 Minuten täglich
- etwa 4,5 Prozent aller Werbeausgaben (600 Mio Euro netto)
Öffentlich-rechtliche:
- die 65 Wellen der zehn ARD-Anstalten produzieren mit rund 12.000 Mitarbeitern etwa 34 Mio Sendeminuten im Jahr zum Preis zwischen 2 und 261 Euro pro Sendeminute
- bundesweiter Hörermarktanteil über 54 Prozent, aber nur in 8 von 16 Bundesländern mehr Hörer als die Privaten
- über 2,5 Milliarden Euro Gebühreneinnahmen
- 180 Mio Euro Werbeeinnahmen
Private:
- etwa 4.400 festangestellte Mitarbeiter und 2.300 freie Beschäftigte im privaten Hörfunk
- während die 45 landesweiten Regionalsender im Durchschnitt profitabel arbeiten, sind nur 55 Prozent der Lokalsender kostendeckend
- in 15 der 16 Bundesländer übersteigt der Werbemarktanteil der Privatradios den der Öffentlich-rechtlichen und beträgt 420 Mio Euro netto
Quellen: ARD, KEF, KEK, VPRT, DLM / ALM