Behördentransparenz oder Obrigkeitsstaat?

Bei Akteneinsichtsrechten hält Deutschland an den Traditionen des 19. Jahrhunderts fest – Vetternwirtschaft Vorschub geleistet

Deutschland ist noch weit von der Behördentransparenz entfernt, die sich in anderen europäischen Ländern mittlerweile durchgesetzt hat. Ein bundesweites Informationsfreiheitsgesetz, das zur Abschaffung des alten Prinzips des „Amtsgeheimnisses“ führen würde, steht zwar im Koalitionsvertrag von Rot-Grün, lässt aber immer noch auf sich warten. Beim Streit um die Verträge zur LKW-Maut zeigte sich einmal mehr, dass die deutschen Behörden ein obrigkeitsstaatliches Erbe mit sich herumschleppen.

Die Verträge zwischen dem Verkehrsministerium und dem Betreiberkonsortium Toll Collect wurden schlicht als „geheim“ klassifiziert. Erst nach massivem öffentlichem Druck ist zumindest den Mitgliedern des Verkehrsausschusses gestattet worden, genauer zu erfahren, wie denn die Haftungsfragen geregelt sind. Immerhin geht es um Einnahmeausfälle des Bundes in Höhe von rund 160 Millionen Euro pro Monat.

Demokratische Kontrolle

„Hätten wir auf Bundesebene ein Informationsfreiheitsgesetz, wäre diese absurde Situation gar nicht erst eingetreten,“ bilanziert Grietje Bettin, die medienpolitische Sprecherin der Grünen, den Konflikt um die LKW-Maut. Im Bundestag sind die Grünen die hauptsächlichen Befürworter eines Gesetzes, mit dem die Zugänglichkeit von Verwaltungsinformationen vom Ausnahme- zum Regelfall werden soll. Momentan kann im Wesentlichen derjenige Akteneinsicht nehmen, der als direkt Betroffener z. B. wissen will, wie die Planung für eine neue Straße in seiner Nachbarschaft aussieht oder welche Daten die Sozialbehörde über ihn gespeichert hat. Die Informationsmöglichkeit ist also weitgehend auf diejenigen beschränkt, um deren Interessen es in den Unterlagen geht. Ein Informationsfreiheitsgesetz, kurz IFG, räumt dagegen jedem diese Möglichkeit zur demokratischen Kontrolle ein, ohne Begründungspflicht und ohne zwingende persönliche Betroffenheit. Außerdem wird die Beweispflicht umgekehrt: Nicht der Antragsteller muss belegen, dass er oder sie ein Recht auf die Information hat, sondern die Behörde ist in der Pflicht, ihre Informationsverweigerung sorgfältig zu begründen, falls sie der Meinung ist, aufgrund des Datenschutzes oder anderer genau definierter Ausnahmeregelungen keine Informationen weitergeben zu dürfen.

Mit seinem Festhalten an dem überkommenen Prinzip der sogenannten „Amtsverschwiegenheit“ ist Deutschland unter den OECD-Staaten mittlerweile zu einem Außenseiter geworden. „Heute muss die deutsche Verwaltung der rechtlichen Konzeption nach als eine der geheimsten und für den Bürger intransparentesten demokratischen Verwaltungen der Welt bezeichnet werden,“ urteilt Professor Bernhard W. Wegener, Experte für Informationsrecht an der Universität Münster.

Mehr an Transparenz

Alle EU-Mitgliedsstaaten bis auf Deutschland und Luxemburg haben mittlerweile Informationsfreiheitsrechte verabschiedet. In Schweden ist das Recht der Bürger, die Unterlagen der Behörden einzusehen, sogar seit 1766 in der Verfassung verankert. Die USA haben 1966 einen Freedom of Information Act eingeführt und dieses Gesetz seitdem mehrfach novelliert, um z. B. auch die Weitergabe elektronisch erfasster Daten zu regeln oder die Möglichkeiten des Internet für mehr Behördentransparenz zu nutzen. In Deutschland wurde ein Gesetzentwurf, den die Grünen unter der Regierung Kohl in den Bundestag eingebracht hatten, dagegen abgelehnt. Und obwohl das Reformprojekt „IFG“ bereits 1998 mit dem Amtsantritt von Rot-Grün in die Koalitionsvereinbarung aufgenommen wurde, ist seitdem nicht viel passiert. Erst Ende 2000 legte das Innenministerium einen ersten Entwurf vor, der jedoch sehr restriktiv ausfiel und seitdem in der Ressortabstimmung zu versanden droht. Dabei haben die vier Bundesländer Brandenburg, Berlin, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, die mittlerweile eigene Informationsfreiheitsgesetze für Landesbehörden und kommunale Stellen eingeführt haben, gute Erfahrungen mit dem Recht auf Akteneinsicht gemacht. So zog NRWs Innenminister Fritz Behrens den Schluss, „dass das Mehr an Demokratie und Transparenz mit dem IFG günstig eingekauft ist“.

Vorteile für Journalisten

Für ein bundesweites IFG haben sich die Journalistenorganisationen Deutscher Journalisten-Verband (DJV), Netzwerk Recherche und Deutsche Journalistinnen- und Journalistenunion (dju) in ver.di bereits mehrfach in gemeinsamen Erklärungen stark gemacht. Bei der Recherche würde ein IFG erhebliche Vorteile bringen, denn während der Auskunftsanspruch nach dem Landespressegesetz schon mit einer mündlichen Reaktion der Pressestelle erfüllt ist, garantiert das IFG ein Recht darauf, Originalakten zu studieren – in denen sich möglicherweise Dinge finden, die die Behörde lieber nicht preisgeben möchte. Welches Potenzial sich hier bietet, zeigt ein Beispiel aus dem Umweltbereich, in dem es aufgrund einer EU-Richtlinie bereits weitgehende Akteneinsichtsrechte gibt: Eine Bürgerinitiative in Seelze bei Hannover wehrte sich gegen den Bau einer Giftmüllverbrennungsanlage. Bei einer Akteneinsicht fanden die Bürger heraus, dass der Anlagebetreiber zwei Millionen Euro Förderung aus dem Landesökofonds erhalten hatte und noch mal die gleiche Summe von der Bundesstiftung Umwelt. Die Zuschüsse waren geflossen, obwohl das angewandte Verbrennungsverfahren absolut konventionell war. Mit diesen Informationen erhoben die Kritiker Beschwerde bei der EU-Wettbewerbskommission in Brüssel. Tatsächlich wurde entschieden, dass die Gelder zurückgezahlt werden müssen, da die betreffende Müllverbrennungsanlage keine ökologische Förderungswürdigkeit besitze und die Gelder aus dem Ökofonds eigentlich für ganz andere Projekte bestimmt seien.

Recht für Jedermann

Ein weiterer Vorteil für Journalisten ist, dass es sich beim IFG um ein „Jedermannsrecht“ handelt. Deshalb können Rechercheure, wenn sie etwa Korruptionsfällen auf der Spur sind, auch als Privatpersonen Akteneinsicht nehmen, ohne in rechtliche oder ethische Probleme zu geraten. Dies kann vor allem dann interessant sein, wenn das Verhalten der Behörde selbst Untersuchungsziel ist und die dortigen Mitarbeiter nicht durch eine offizielle Presseanfrage aufgeschreckt werden sollen. „Es wäre doch interessant, den Müllskandalen in Nordrhein-Westfalen auch in den Kommunen nachzugehen, die ihre Aktenschränke bisher noch nicht freiwillig geöffnet haben“, erläutert Reinold Thiel von „Transparency International“ die Möglichkeiten des IFG. Seine Organisation macht sich für die Transparenzverpflichtung stark, weil Informationsfreiheitsgesetze als wirksame Mittel zur Korruptionsprävention gelten. „Nicht zufällig sind die skandinavischen Staaten, die bei der Informationsfreiheit zu den Vorreitern gehören, wesentlich weniger anfällig für Vetternwirtschaft als Deutschland“, kommentiert Thiel die internationalen Vergleiche seiner Organisation, die jährlich als „Korruptionsindex“ veröffentlicht werden.

Ferner kann der Datenschutz beim IFG nicht so leicht zum Abbügeln von ungeliebten Journalistenfragen herangezogen werden, wie es derzeit noch der Fall ist. Nach dem Informationsfreiheitsgesetz gibt es ein förmliches, geregeltes Verfahren, das die Konsultation der Betroffenen vorschreibt, also die Behörde zwingt, zunächst bei denen nachzufragen, deren Daten geschützt werden sollen. Vielleicht haben die aber durchaus ein Interesse, mit Journalisten zu reden.

Schließlich profitieren Journalisten von dem generellen Klima der Offenheit, das durch ein IFG gefördert wird. „Bisher ist es leider so, dass man immer wieder auf Behördenvertreter trifft, die gegenüber der Presse abblocken“, beschreibt Thomas Leif vom Netzwerk Recherche die Alltagserfahrung bei der Informationsbeschaffung. „Das Denken in den Kategorien von Geheimhaltung ist in den deutschen Amtsstuben noch sehr tief verankert.“ Diese Atmosphäre der Verschlossenheit wird gestützt von dem beschriebenen Rechtsprinzip, dass bisher der interne Charakter von Informationen die Regel ist. Wenn es gelingt, dieses Prinzip umzukehren, verändert sich langfristig gesehen auch die Denkweise innerhalb der Verwaltung. Ein Klima der Transparenz kommt recherchierenden Journalisten dann auch in den Fällen zu gute, in denen es gar nicht um einen formellen Rechtsanspruch geht, sondern einfach um einen offeneren Umgang mit Journalisten und Bürgern.

Bremser in Wirtschaft und Ministerialbürokratie

Von der indirekten Wirkung des IFG ist auch Jürgen Roth überzeugt, Rechtsexperte der Grünen-Bundestagsfraktion. „Mit einem solchen Gesetz wäre bei den Mautverträgen von vornherein ein viel stärkerer Druck entstanden, die Verträge offen zu legen – ganz unabhängig davon, wie die rechtliche Bewertung im Detail ausgesehen hätte.“

Momentan arbeitet die Ministerialbürokratie selber daran, sich mehr Transparenz zu verordnen. Dass ein solches Projekt nicht gerade mit Herzblut betrieben wird, kann man sich vorstellen. Der Entwurf des Innenministeriums stellt wegen seiner umfassenden Ausnahmeregelungen nur einen halbherzigen Schritt in Richtung Verwaltungsmodernisierung dar. Trotzdem geht er einigen Ressorts noch zu weit. Das Finanzministerium möchte alle fiskalischen Belange von der Informationspflicht ausgeklammert sehen und wünscht außerdem, dass die Bearbeitungskosten den Antragstellern in Rechnung gestellt werden, was sehr leicht zu abschreckenden Gebühren führen kann. Das Verteidigungsministerium drängt darauf, dass sein Geschäftsbereich komplett außen vor bleibt.

Angst vor Spionage

Das Wirtschaftsministerium fordert eine weite Formulierung der Ausnahmen für Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse und steht dabei unter dem Druck des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), der sich vor Wirtschaftsspionage fürchtet. Diese Sorge ist für die Anhänger der Akteneinsichtsrechte kaum nachzuvollziehen, weil Unternehmen in anderen europäischen Ländern mit dem Informationsfreiheitsgesetz sehr positive Erfahrungen gemacht ha- ben und mehr Bürgerinformation durchaus als positiven Standortfaktor sehen. In den USA zählt die Wirtschaft mit rund 80 Prozent aller Anträge zu den Hauptnutzern des Freedom of Information Act. Prince William County in Virginia stellt sogar alle städtischen Verträge ins Internet, ohne dass deswegen Betriebe abgewandert sind.

Solange die großen Reformprojekte der Bundesregierung zur Sozial- und Arbeitsmarktpolitik öffentlich im Vordergrund stehen, fällt es der SPD leicht, auf das wenig geliebte Transparenzgesetz zu verzichten, das eher ein Herzensanliegen der Grünen ist. „Derzeit gibt es für die weitere Beratung des IFG noch keinen Zeitplan“, bestätigt Dirk Inger, Sprecher des Innenministeriums. Den Anhängern der „Amtsverschwiegenheit“ kommt dabei zugute, dass auch die schon bestehenden Rechte in den vier Bundesländern kaum bekannt sind und bisher eher wenig genutzt werden. In Nordrhein-Westfalen ist die geplante Informationskampagne zur IFG-Einführung einer Haushaltssperre zum Opfer gefallen. Jörg Tauss, einer der wenigen SPD-Bundestagsabgeordneten, die sich für das IFG stark machen, hält die relativ geringen Antragszahlen deshalb nicht für ein zulässiges Argument, den Nutzen des Gesetzes infrage zu stellen. „Schließlich wird auch das Petitionsrecht nur von wenigen in Anspruch genommen und ist trotzdem ein unverzichtbares Freiheitsrecht“, so Tauss auf einer Tagung der Bertelsmann Stiftung.

Druck von außen notwendig

Für Thomas Leif vom „Netzwerk Recherche“ steht angesichts des schleppenden Verfahrens fest: „Der Druck muss von außen kommen, von den Journalistenverbänden und von Bürgerrechtsorganisationen. Die Verwaltung und die Politik allein kriegen diese überfällige Reform offensichtlich nicht hin.“

Manfred Redelfs ist Leiter Recherche-Abteilung Greenpeace

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