Besser als gar nichts

Neuer Jugendmedienschutz-Staatsvertrag setzt auf Altersfreigaben

Vermutlich liegt es in der Natur der Sache: Zwischen Jugendschützern und ihren Schutzbefohlenen klafft in der Regel eine Kluft von ein bis zwei Generationen; viele der Damen und Herren schützen Kinder, die ihre Enkel sein könnten. Das macht ihre Arbeit nicht gerade leichter, denn als sie selbst im entsprechenden Alter waren, sah die Medienlandschaft völlig anders aus.


Der Jugendmedienschutz zum Beispiel war damals noch so einfach, dass jeder Laie die Regeln verstand: Bevor ein neuer Film ins Kino kam, wurde ihm von der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) eine Altersfreigabe verpasst. Die war dann auch für die spätere Fernsehausstrahlung bindend: Filme ab zwölf durften nicht vor 20 Uhr gezeigt werden, Filme ab 16 erst nach 22 Uhr und Filme ab 18 nach 23 Uhr. Ein Medium wie das weltweite Internet, in dem Altersfreigaben naturgemäß sinnlos verpuffen müssen, weil es irgendwo auf dem Globus immer nach 23 Uhr ist, war in jenen Jahren allenfalls Science Fiction.

Jetzt haben die Länder einen neuen Jugendmedienschutz-Staatsvertrag auf den Weg gebracht, in dem es unter anderem um das Internet geht. Dort kann, wie man weiß, hinter jedem Klick das pure Grauen lauern. Ganz gleich, was man für den größten Horror hält: Alles ist zu haben. Es muss ja gar nicht die Nazi-Propaganda, der Rassenhass oder die Kinderpornografie sein; Eltern, die sich um das seelische Wohl ihrer Kinder sorgen, wären schon angesichts weniger extremer Angebote schockiert. Ganz ähnlich werden sie womöglich reagieren, wenn sie erfahren, wie die Länder auf die entsprechenden Bedrohungen reagieren wollen: mit Altersfreigaben. Was zunächst wie ein schlechter Scherz wirkt, ist in Wirklichkeit das kleinere Übel und längst nicht so realitätsfremd, wie es aussieht. Allerdings arbeitet die Regelung mit einer Unbekannten, und das sind die Eltern.
In der Vergangenheit hat der Staat gern über die Köpfe der Erziehungsberechtigten hinweg gehandelt. Ähnlich wie in diversen anderen europäischen Ländern wird ihre Verantwortung durch den neuen Jugendmedienschutz-Staatsvertrag größer. Dabei müssen sie gar nicht so viel tun; bloß eine Software installieren. Mag sein, dass einigen Eltern das zu lästig ist, und andere verschwenden erfahrungsgemäß ohnehin kaum einen Gedanken daran, was ihre Kinder so treiben, wenn sie im Internet sind. Aber es ist ein erster Schritt, und der geht so: Jeder deutsche Anbieter ist aufgefordert, seiner Website eine Altersfreigabe zu geben. Auch das mutet zunächst mal absurd an, weil der Bock anscheinend zum Gärtner befördert wird. Tatsächlich aber haben seriöse Betreiber durchaus ein Interesse an einem funktionierenden Jugendschutz; auch im Internet machen die schwarzen Schafe bloß einen kleinen Prozentsatz aus. Die entsprechende Prozedur ist mit Hilfe eines Fragebogens leicht durchzuführen.

Multimedia-Führerschein

Funktionieren aber kann das Modell natürlich nur, wenn die Eltern mitspielen und ein Programm aktivieren, das auf dem Rechner ihres beispielsweise zwölfjährigen Sprösslings nur entsprechend freigegebene Websites zulässt. Natürlich kann er dann immer noch die Millionen ausländischer Seiten aufrufen, doch auf die haben deutsche Ordnungshüter ohnehin keinen Zugriff. Aber zumindest alles, was hierzulande ins Netz gestellt wird, wäre reguliert; selbstreguliert, um genau zu sein. Man mag die Seriosität in Zweifel ziehen, aber letztlich arbeitet die FSK auch nicht anders, und das schon seit über sechzig Jahren. In den Ausschüssen sitzen zwar unabhängige Prüfer, und abgesegnet werden die Freigaben vom Ständigen Vertreter der Obersten Landesjugendbehörden, aber es handelt sich, wie der Name schon sagt, um eine Selbstkontrolle. Auch die 1993 gegründete Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF), eine Einrichtung der Privatsender, hat einen untadeligen Ruf.
Verglichen mit diesen beiden Einrichtungen kommt die Aufgabe der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia (FSM) allerdings einer Sisyphos-Arbeit gleich. Entscheidend für die neue Regelung sind jedoch zunächst mal Anbieter, die bewegte Bilder offerieren, und deren Anzahl ist deutlich überschaubarer. Der Rest ist fast schon einfach: Der Betreiber kommt mit Hilfe des Fragebogens zu einer Freigabe, die FSM kontrolliert sie und kooperiert in Zweifelsfällen mit der FSF, die die angebotenen Inhalte überprüft. Die letzte Entscheidung obliegt wie auch bei Fernsehsendungen der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM), die aber nur dann aktiv werden kann, wenn FSM und FSF offenkundig einen gewissen Beurteilungsspielraum überschritten haben.
Das Verfahren hat sich international bereits bewährt. In den meisten europäischen Ländern wird es beispielsweise für Video- und Computerspiele genutzt („PEGI“). Dass Deutschland in diesem Bereich einen eigenen Weg eingeschlagen hat, muss nicht unbedingt gegen das System sprechen. Aber auch die Freigaben der hiesigen Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) können den Spiele-Missbrauch nicht verhindern, wenn Eltern ihre Sorgfalts- und Aufsichtspflicht nicht erfüllen.
Und damit kommt wieder die Kluft zwischen den Generationen ins Spiel. So mancher Erwachsener ist ja schon damit überfordert, aus dem Überangebot der Fernsehprogramme ein sinnvolles Bouquet an Sendungen zusammenzustellen. Angesichts des Medienalltags ihrer Kinder aber müssen Eltern, die sich noch an schwarzweiße TV-Bilder und den Sendeschluss erinnern, verzweifeln: Das Multi-Tasking aus Musik, Hausaufgaben, Rechneraktivität und gleichzeitigem Telefonieren würde unter ihren Synapsen vermutlich ein Massaker anrichten. Zum fast schon altmodisch anmutenden Appell, ein Schulfach Medienerziehung einzuführen, in dem die Kinder lernen, den Herausforderungen der Informationsgesellschaft 2.0 zu begegnen, gesellt sich daher auch die Forderung, etwas für die Medienkompetenz der Eltern zu tun. Selbstbewusste Erziehung funktioniert nur dann, wenn man einen Vorsprung hat; und davon kann im Multimedia-Bereich nun wirklich keine Rede sein. Staatsverträge sind da jedoch machtlos. Aber vielleicht wäre es gar nicht schlecht, wenn Eltern erst mal einen Multimedia-Führerschein machen, bevor sie ihren Kindern einen Laptop mit Internet-Zugang rund um die Uhr schenken.


Tilmann P. Gangloff

Medienfachjournalist aus Allensbach am Bodensee, Vater von drei Kindern.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

ARD-Krimis werden barrierefrei

Untertitelung, Audiodeskription, Gebärdensprache – das sind die so genannten barrierefreien Angebote, die gehörlosen oder extrem schwerhörige Fernsehzuschauer*innen gemacht werden. Die ARD sendet fast alle neu produzierten Folgen ihrer Krimireihen „Tatort“ und „Polizeiruf 110“ auch mit Gebärdensprache. Beide Reihen seien „die ersten und aktuell die einzigen regelmäßigen fiktionalen Angebote mit Gebärdensprache in der deutschen Fernsehlandschaft“, erklärte die ARD.
mehr »

Das Manifest für die Schublade

Schwein gehabt: Das „Manifest für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland“, (meinungsvielfalt.jetzt) wurde weder ein Fest für die Freunde einer völlig verstrahlten medienpolitischen Debatte, noch eines für die Gegner des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aus dem konservativen, neoliberalen und rechts-außen Lager. Ein paar Aufmerksamkeitszeilen in den Medienspalten der Zeitungen und wenige Interviews im Radio – das war’s. Glücklicherweise ist das Manifest fast schon wieder in der Versenkung verschwunden. Dort gehören diese Halbwahrheiten und unausgegorenen Neustartvisionen für meinen Geschmack auch hin.
mehr »

Top Tarifergebnis im Kino

In den Tarifverhandlungen mit der Kino-Kette UCI (United Cinemas International GmbH) wurde am 19. Februar 2024 ein Tarifergebnis erzielt, das an vielen Stellen die ver.di-Forderungen erreicht, so auch den Einstiegslohn von 14 Euro. In der anschließenden Befragung der Mitglieder bis zum 4. März gab es keinerlei Ablehnung. Somit beschloss auch die ver.di-Tarifkommission einstimmig die Annahme des Tarifergebnisses.
mehr »

Einschüchterungsversuche der Hohenzollern

Eine Studie der Universität Leipzig hat am Beispiel der deutschen Adelsfamilie Hohenzollern untersucht, wie kritische Berichterstattung und Forschung durch gezielte Anwaltsstrategien beeinflusst oder behindert werden sollen. Die Kommunikationswissenschaftler*innen haben dabei die Wirkung von SLAPPs (Strategic Lawsuits Against Public Participation) aus Sicht der Betroffenen nachvollzogen. Verunsicherung und Einschränkung der Arbeitsfähigkeit sind direkte Folgen bei ihnen.
mehr »