Boulevard-Agentur gescheitert

Zukünftig nur noch journalistische Dienstleistungsbeziehungen

„Ohne jede Häme“ stellen die Betriebsräte von „Hamburger Morgenpost“ und „Berliner Kurier“ fest, dass sich die von ihnen artikulierten Bedenken gegen eine Redaktionsgemeinschaft dreier Zeitungen als berechtigt erwiesen. Nun besteht nach Auffassung der Betriebsräte die Sorge, dass durch das Scheitern des Modells „wieder Entscheidungen zu Lasten der Beschäftigten“ getroffen werden.

Neue Wege wollte man gehen: Im Frühjahr des vergangenen Jahres sollte durch die Gründung einer Redaktionsgemeinschaft (M berichtete) zwischen den Boulevardblättern „Hamburger Morgenpost“, „Berliner Kurier“ und „Kölner Express“ mit Sitz in Berlin die Zusammenarbeit verstärkt werden. Nun wird die als „Boulevardagentur“ bekannt gewordene Gemeinschaftsredaktion zum 29. Februar des Jahres ihre Arbeit in der bisherigen Form einstellen, wie Mitte Februar bekannt wurde. Dennoch soll die „redaktionelle Zusammenarbeit“ zwischen den drei Blättern „in veränderter Form“ weitergeführt werden, wie die beteiligten Verlage Gruner + Jahr, DuMont Schauberg und Morgenpost-Verlag mitteilten.

„Morgenpost“-Geschäftsführer Marcus Ippisch sagte, man halte an der „Grundidee einer Redaktionsgemeinschaft“ fest. Derzeit werde geprüft, wie das mittelfristig möglich ist. Dass man mit der Agentur gescheitert ist, wollte Ippisch so nicht stehen lassen und sagte, es habe lediglich Anlaufschwierigkeiten gegeben. Die Erklärung der Verlage liest sich indes anders: „Die Dienstleistungsbeziehung zwischen Redaktionsgemeinschaft und dem Verlag DuMont werde einvernehmlich aufgehoben“ und auf einen weiteren Ausbau der Agentur werde verzichtet, heißt es da. An anderer Stelle wird dann betont, dass eine „intensive journalistische Zusammenarbeit, die auf Dienstleistungsbeziehungen beruht“, vereinbart wurde. Dies könne durch den Austausch von „guten Geschichten und Serviceseiten“ der Fall sein, so Ippisch. Mit den betroffenen 21 Beschäftigten in Berlin führe man Gespräche. Einige sollen wieder an ihre alten Redaktionsplätze zurückkehren und zudem werde sichergestellt, dass die politischen Korrespondenten weiterhin in „einer Art Hauptstadtbüro“ in Berlin bleiben werden.

Die Gründung der Agentur war für den Verlag Gruner + Jahr der letzte Versuch, die defizitäre „Morgenpost“ in ruhigeres Fahrwasser zu bringen. Das Gemeinschaftsbüro sollte Beiträge von überregionaler Bedeutung für die drei Zeitungen liefern. Zudem erhoffte man sich in Bezug auf gemeinsame Serviceseiten für Bereiche wie Sport, Fernsehen, Reise und Auto/Motor sowie Vermischtes Geld zu sparen. Doch aufgrund der unterschiedlichen Zeitungsformate ist dieses Vorhaben nie so recht gelungen. Die Betriebsräte machen dafür die „Inkompatibilität der Redaktionssysteme bis hin zur Unvereinbarkeit“ verantwortlich. Nachdem die „Morgenpost“ im Herbst letzten Jahres an den Versandhauserben Frank Otto und den Kunstsammler Hans Barlach verkauft wurde, drosselte DuMont die Zusammenarbeit, um sich jetzt ganz zurück zu ziehen.

Die „Morgenpost“ kämpft ums Überleben

Unterdessen kämpft die „Morgenpost“ unter Otto und Barlach weiter ums Überleben. Wurde zum Zeitpunkt des Verkaufs die täglich verkaufte Auflage noch mit etwa 140.000 Exemplaren angegeben, ist jetzt in der IVW-Statistik nachzulesen, dass im 4. Quartal 1999 im Durchschnitt 130.442 Exemplare ihre Käuferinnen und Käufer fanden. Zudem haben ein gutes Dutzend Kolleginnen und Kollegen die „Morgenpost“ inzwischen verlassen, ohne dass es zu Neueinstellungen kam. Der neue Chefredakteur Josef Depenbrock – zuvor bei „Bild- Zeitung“ und „Berliner Kurier“ – wird seine Tätigkeit zum 1. März 2000 beginnen. Redaktionsdirektor Wieland Sandmann – von dem der Betriebsrat sagt, mit ihm solle „ein Mann von gestern eine Boulevardzeitung von morgen machen“ – hat seine Arbeit bereits aufgenommen.

Weitere aktuelle Beiträge

Proteste bei TiKTok in Berlin

Rund 150 Beschäftigten der Trust and Safety-Abteilung (Content-Moderation) von TiKTok und einem Teil der Beschäftigten aus dem Bereich TikTok-Live (rund 15 Beschäftigte) in Berlin droht die Kündigung. Das  chinesische Unternehmen plant die Content-Moderation künftig verstärkt durch Large-Language-Models (Künstliche Intelligenz) ausführen zu lassen und die Arbeit an andere Dienstleister auszulagern. Dagegen protestierten heute vor der TikTok-Zentrale in Berlin Beschäftigte und Unterstützer*innen.
mehr »

Für ein digitales Ökosystem

Markus Beckedahl, Journalist und Gründer des Online-Portals www.netzpolitik.org, erkennt  im System des öffentlich-rechtlichen Rundfunk den Ort, wo alternative digitale Infrastrukturen gut entwickelt werden können. Ungarn und Polen haben es vor Jahren gezeigt, die USA erleben es gerade aktuell und die Welt scheint dabei zuzuschauen: Die Aushebelung demokratischer Strukturen durch gewählte Regierungen.
mehr »

Rechte Influencerinnen im Netz

Rechtextremismus und rechte Parolen verbinden viele Menschen automatisch mit testosterongesteuerten weißen Männern. Diese Zielgruppe füttert AfD-Politiker Maximilian Krah mit simplen Parolen wie: „Echte Männer sind rechts.“ Das kommt an bei Menschen, die im Laufe der Zeit irgendwann beim „Gestern“ stecken geblieben sind. Inzwischen verfangen solche rechten Klischees auch bei Frauen. Vor allem im Internet.
mehr »

KI macht Druck auf Suchmaschinen

Die Künstliche Intelligenz frisst den Traffic: Das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) meldet massive Einbrüche bei der Suchmaschinen-Nutzung aufgrund von Chatbots bei Google oder ChatGBT. Weil viele Nutzer*innen sich mit den Zusammenfassungen von KI zufrieden geben, klicken sie nicht mehr weiter zu den Websites, von denen die Informationen bezogen werden.
mehr »