Das Wahlalter, die Reife und die Medien

Die Diskutanten auf dem Podium vor Beginn des Berliner Mediensalons am 24. August: Doris Achelwilm, Susanne Lang, Christian Goiny, Thorsten Faas und Johann Stephanowitz (v.l.n.r.) Foto: Henrik Andree/meko factory

Wählen mit 16? Diese Möglichkeit stand im Mittelpunkt des Berliner Mediensalons, nach dem Corona-Lockdown nun wieder vor einem kleinen Publikum im taz-Café und  parallel im Netz zu verfolgen. Im Jahr vor der Bundestags- und sechs Landtagswahlen eine aktuelle Frage, die auf dem Podium überwiegend positiv beantwortet wurde. Eine angeblich unterschiedliche Mediennutzung zwischen den Jahrgängen ist jedenfalls kein Argument für ein Wahlalter von 18 Jahren, zeigt eine aktuelle Studie der Otto-Brenner-Stiftung.

Thorsten Faas und Arndt Leininger vom Otto-Suhr-Institut der FU Berlin haben im Juli eine empirische Jugendwahlstudie vorgelegt, die auf einem Vergleich der Landtagswahlen 2019 in Brandenburg (Wahlalter 16 Jahre) und Sachsen (18 Jahre) beruht. Wie Faas im Mediensalon erläuterte, haben sie rund 6600 junge Menschen zu Informationsverhalten, politischen Grundeinstellungen und ihrer Präferenz zum Wahlalter befragt. Dabei zeigten sich weniger Informationsunterschiede, die in dem Abstand von zwei Jahren zutage träten, sondern eher Ärger und Frust bei jenen jungen Menschen, die nicht die gleichen Wahlrechte haben wie ihre Altersgenoss*innen jenseits der Landesgrenze. Dass dies Langzeitfolgen haben könnte in Richtung Politikverdrossenheit, gab der Politikwissenschaftler zu bedenken.

Die unterschiedliche Handhabung bei Landtags- und Kommunalwahlen zeigt sich im ganzen „föderalen Flickenteppich“, so Faas, und lasse sich mit dem Contra-Argument der „mangelnden Reife“ empirisch nicht belegen. Die heutige Diskussion wiederhole ziemlich genau die Auseinandersetzungen, die es schon 1972 bei der Absenkung des aktiven Wahlrechts von 21 auf 18 Jahre in der Bundesrepublik gegeben habe, erklärte Faas. „Letztlich ist es eine politische Entscheidung, die getroffen werden muss“, so Faas, der sich auf hartnäckiges Nachfragen der Moderatorin Susanne Lang als Befürworter einer Absenkung zu erkennen gab.

In der DDR galt das aktive Wahlrecht für 18Jährige bereits seit 1950. Das passive Wahlrecht sank in der DDR 1974 auf 18 Jahre, in der BRD 1975. Das passive Wahlrecht – neben der vermeintlich mangelnden Reife – war für den medienpolitischen Sprecher der CDU im Berliner Abgeordnetenhaus, den Juristen Christian Goiny, das wesentliche Argument, eine generelle Absenkung auf 16 Jahre abzulehnen. Das habe nichts zu tun mit einer größeren Präferenz junger Menschen für andere Parteien wie etwa die Grünen, behauptete Goiny, der ein Kommunalwahlrecht ab 16 Jahren durchaus akzeptabel findet. 16jährige Abgeordnete auf höherer Ebene mochte er sich aber nicht vorstellen. Bei einem Wahlalter von 16 Jahren müsse wieder über eine Trennung von aktivem und passivem Wahlrecht nachgedacht werden. Und außerdem: „Begründen muss der, der ändern will.“ Und das sind, wie Moderatorin Lang unterstrich, Linke, Grüne und die SPD.

Die Bremerin Doris Achelwilm, Kulturjournalistin und medienpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, findet, das Wahlrecht ab 16 Jahren habe in Bremen die politische Diskussion um einiges lebhafter werden lassen. Da junge Menschen mit 14 Jahren ihre Religionszugehörigkeit regeln könnten und mit 17 Jahren zur Bundeswehr gehen, sieht sie keine rationale Begründung für ein Festhalten am Wahlalter von 18 Jahren. Sollte es Informationsdefizite geben, dann müssten diese, vor allem in sozial benachteiligten Stadtvierteln, in Schulen, Jugendclubs und anderen Einrichtungen angepackt werden,

Der Student und junge Journalist Johann Stephanowitz ist Jugendvertreter im Bundesvorstand der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di und Mitglied im Vorstand der Jungen Presse Berlin.
Foto: Henrik Andree/meko factory

Es gebe derzeit eine „total überalterte Wählerschaft“, deshalb müsse das Wahlalter sinken, damit Jugendliche eine Chance hätten, ihre Interessen selbst zu vertreten, meinte Johann Stephanowitz. Wegen des demographischen Faktors befürworte er sogar ein Familienwahlrecht, bei dem Eltern auch für ihre unmündigen Kinder wählen könnten. Der Student und junge Journalist, Jahrgang 1998, ist Jugendvertreter im Bundesvorstand der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di und Mitglied im Vorstand der Jungen Presse Berlin. Den Standpunkt der Jungen musste er auf dem Podium allein vertreten, denn die eingeladene 19jährige Influencerin und SPD-Nachwuchspolitikerin Lilly Blaudszun war nicht da. Die Jurastudentin, die auch in den „Social Media“-Teams von Ministerpräsident Dietmar Woidke (Brandenburg) und Manuela Schwesig (Mecklenburg-Vorpommern) aktiv ist, geriet kürzlich wegen eines Werbe-Postings für einen preiswerten Laptop auf Instagram in einen Shitstorm.

„Wir haben allgemein im Parlament Nachholbedarf, auf Umbrüche zu reagieren“, gab Achelwilm zu, beispielsweise auf die in der Arbeitswelt. „Das sind Fragen, auf die junge Leute eine Antwort haben wollen.“ Jugend dürfe nicht weiter von der Politik benachteiligt werden, griff sie das Anliegen von Stephanowitz auf.

Treffen denn seriöse Medien den Nerv der jungen Leute, wollte die Moderatorin vom Jugendvertreter wissen. Viele Tageszeitungen haben bei jungen Menschen ein Problem, erklärte Stephanowitz. Er kenne kaum welche mit einem Print-Abo. Sie nutzen eher YouTube oder Online-Angebote. Da gebe es durchaus welche, die in der Altersklasse gut ankämen wie der Instagram-Auftritt der „Tagesschau“. Gelacht werde über Medien, die von „Berufsjugendlichen“ gemacht werden wie bei der jetzt eingestellten Zeitschrift „Bento“. Um Jugendliche zu erreichen, müssten seriöse Medien auf fünf bis acht Plattformen gleichzeitig unterwegs sein, jeweils in der richtigen Sprache, „damit es nicht peinlich wird“, meinte Faas.

Im Rückblick auf frühere Debatten resümierte Stephanowitz im Fall eines erfolgreichen Absenkens des Wahlalters: „In 20 bis 30 Jahren wird man über unsere heutige Debatte lachen.“ „Es gibt eben Dinge, die sich verändern“, stimmte Goiny eher allgemein zu. Altersgrenzen seien eine gesellschaftliche Einigung.


Dieser Berliner Mediensalon wurde in Kooperation von Jugendpresse Deutschland und meko factory – Werkstatt für Medienkompetenz gGmbH veranstaltet,  gefördert von der Landeszentrale für politische Bildung Berlin  und unterstützt von der Otto-Brenner-Stiftung. #Mediensalon ist eine Kooperation von Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di, Deutscher Journalistenverband DJV Berlin – JVBB e.V.  und #mekolab.

 

 

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Gutes Ergebnis für die VG Wort

Im Jahr 2024 hat die VG Wort 165,64 Millionen Euro aus Urheberrechten eingenommen. Im Vorjahr waren es 166,88 Millionen Euro. Aus dem Geschäftsbericht der VG Wort geht hervor, dass weiterhin die Geräte-, und Speichermedienvergütung der wichtigste Einnahmebereich ist. Die Vergütung für Vervielfältigung von Textwerken (Kopiergerätevergütung) ist aber von 72,62 Millionen Euro im Jahr 2023 auf nun 65,38 Millionen Euro gesunken. Die Kopier-Betreibervergütung sank von 4,35 auf 3,78 Millionen Euro.
mehr »

dju: Mehr Schutz für Journalist*innen

Anlässlich des Internationalen Tages der Pressefreiheit am 3. Mai fordert die Deutsche Journalistinnen und Journalisten Union (dju) in ver.di von Arbeitgeber*innen und Auftraggeber*innen in Rundfunk und Verlagen, den Schutz angestellter und freier Medienschaffender zu verbessern.
mehr »

ROG: Rangliste der Pressefreiheit 2025

Es ist ein Historischer Tiefstand. Die neue Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen (RSF) zeigt: Nur in sieben Ländern ist die Lage "gut", alle liegen in Europa. Deutschland rutscht auf Platz 11 ab. Neben einer fragilen Sicherheitslage und zunehmendem Autoritarismus macht vor allem der ökonomische Druck den Medien weltweit zu schaffen.
mehr »

Studie: Soziale Folgen von KI in den Medien

Soziale Ungleichheiten, Diskriminierungen und undemokratische Machtstrukturen: Eine neue Studie der Otto-Brenner-Stiftung untersucht, wie soziale Folgen von KI in den Medien verhandelt werden. Warum dies generell eher oberflächlich und stichwortartig geschieht, hängt auch damit zusammen, dass die Berichterstattung bei KI-Themen von Ereignissen und Akteuren aus Technologie-Unternehmen dominiert wird.
mehr »