Der vor drei Jahren während der Berlinale gegründete Hauptverband Cinephelie (HvC) kämpft um die Aufwertung der Filmkultur in Deutschland. Wegen der geschlossenen Kinos in Zeiten der Pandemie droht ihr ein weiterer Bedeutungsverlust. Die AG Filmbildung im HvC fordert von der Politik grundsätzlich eine strukturelle Verankerung der Kunstform Film in Bildung und Kultur. Die Reflexion gesellschaftspolitischer Themen findet hingegen in der nicht-gewerblichen Filmarbeit schon seit Jahrzehnten statt.
Dem cinematographischen Laien fällt bei dem Begriff Filmbildung vermutlich zuerst die Schule ein. An Literaturverfilmungen im Deutschunterreicht führt kein Weg vorbei und zusätzlich dienen Filme wie etwa Volker Schlöndorffs „Die Blechtrommel“ bis heute dazu, den Schüler*innen historische Themen nahe zu bringen, in diesem Fall den Opportunismus der Deutschen in der Nazizeit. In der DDR war es etwa gängig, den Geist der wilhelminischen Ära anhand eines kollektiven Kinobesuchs in Wolfgang Staudtes „Der Untertan“ zu vermitteln. Die Betrachtung der Werke in ihrer Erzählweise und Ästhetik finden jedoch bis heute in den Schulen kaum statt. Warum? Der Film wird in Deutschland im Gegensatz zu Ländern wie Frankreich und Großbritannien immer noch nicht als eigene Kunstform wahrgenommen und hierzulande im Vergleich etwa zu den Theatern nur finanzarm gefördert.
Filme machen mit vier Jahren
Die AG Filmbildung im HvC möchte den Missstand an seinen Wurzeln packen. Nach ihrem jüngst veröffentlichten Positionspapier ist die Vermittlung von filmkulturellen und filmpraktischen Wissen „eine zentrale kulturpolitische Aufgabe von stetig zunehmender Dringlichkeit“. Dies soll schon in der Kita beginnen. Vorbild ist die frühkindliche Filmbildung des Deutschen Filminstitut Filmmuseum (DFF) in Frankfurt. In deren „MiniFilmclub“ erkunden Kinder von vier bis sechs Jahren die Dauerausstellung im Museum und sehen im Kino danach kurze Experimentalfilme aus der eigens entwickelten Edition. Danach können die Kinder dort auch ihren ersten Trickfilm durch Malen auf einem Filmstreifen herstellen. Das Konzept ist nachhaltig, denn die Edition geht danach in die Kita und die DVDs finden dort neben den Bilderbüchern ihren gleichberechtigten Platz.
SchulKinoWochen „extrem wichtig“
Lehrkräfte in den Schulen bauten bislang vor allem auf die einmal im Jahr stattfindenden SchulKinowochen von „Vision Kino“, einer gGmbH zur Förderung der Film- und Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen. Jährlich können Schulklassen so Kinovorstellungen zu vergünstigten und einheitlichen Sonderpreisen in einem Kino in ihrer Nähe besuchen. Die SchulKinoWochen stehen jedoch schon lange in der Kritik, denn es wurden bislang bevorzugt kommerziell erfolgreiche deutsche Filme gezeigt. Das soll sich mit dem neuen Geschäftsführer Leopold Grün nun ändern. „Gerade für deutsche und europäische Kinderfilme unabhängiger Verleiher sind SchulKinoWochen extrem wichtig, denn hier finden sie – ob populär oder nicht – ein Publikum, das sie im regulären Kinobetrieb oft nicht mehr erreichen.“ Es sei aber klar, dass die SchulKinoWochen mit ihrem Fokus auf dem Kinobesuch nicht alle Facetten schulischer Filmbildungsarbeit abdecken könnten. „Mein Wunsch ist es, das pädagogische Begleitangebot zu den SchulKinoWochen deutlich zu erweitern“, sagt Grün und ergänzt: „Dank der SchulKinoWochen auf Länderebene sind sehr stabile Netzwerke entstanden, die der Filmbildung allgemein einen erheblichen Schub gegeben haben.“
Dazu gehören die SchulKinoWochen in Hessen, die in Kooperation mit dem dortigen „Film- und Kinobüro“ vom DFF durchgeführt werden. „Wir starten nicht einmal im Jahr einen Ballon, sondern bieten über unser breites Netzwerk Partnern in ganz Hessen ganzjährig pädagogisch begleitete Programme an“, berichtet Christine Kopf, Leiterin der Filmbildung im DFF. „Uns geht es um Nachhaltigkeit. Deshalb bieten wir fortlaufend Fortbildungen für die Lehrkräfte an, die mit den Schülern das Kino aufsuchen“, betont Kopf. Sie hat die AG Filmbildung mitbegründet und an dem Positionspapier des HvC mitgearbeitet.
Filmkunst als Schulfach?
Nur wie soll das Wissen über die Geschichte des Films, seine Formen und Ästhetiken in der Schule jenseits der Kinowochen vermittelt werden? Im HvC wurde bereits darüber nachgedacht, ein eigenes Schulfach zu fordern. Dies dürfte sich in dem hiesigen föderalen Bildungssystem schwierig gestalten. Oder sollte das Filmwissen in den Kunstunterricht integriert werden? Der Bundesverband Jugend und Film (BJF) verleiht mit seiner Clubfilmothek verschiedene Formate für die nicht gewerbliche Kinder- und Jugendfilmarbeit auch an Schulen. „Wir werden zuallererst gefragt, mit welchen Lehrkräften und in welchen Unterrichtsfächern man die Filme einsetzen kann“, sagt Reinhold T. Schöffel, Geschäftsführer des BJF. „Wenn da nur der Kunstunterricht bliebe, würden wir einen Großteil des Potenzials verlieren, Filme an Schulen zu bringen.“ Die Filmbildung des BJF verfolgt eher eine inhaltliche Linie. „Unser erster Schritt ist es, den Kindern und Jugendlichen Wirklichkeiten zu vermitteln.“ Die Jugendlichen könnten sich, so Schöffel, mit den Filmen besser in Menschen aus anderen Kulturen und mit anderen Sichtweisen hineinversetzen.“ Es ginge dem BJF zuerst um die emotionale Beziehung des Publikums zum Gezeigten. Dies seien die besten Voraussetzungen, um danach über Filmsprache und deren Ästhetik zu diskutieren.
Bildung durch Film
Der BJF ist 1970 wie die Kommunalen Kinos aus der westdeutschen Filmclubbewegung der 1950er bis 1960er Jahre hervorgegangen. In den urbanen Clubs bot sich nach der Vorstellung die Gelegenheit, auch über künstlerische Aspekte des gezeigten Films zu diskutieren. Nur wie war es damals in der kinoarmen Provinz? Im Westen konnten sich Einrichtungen für ihre nicht-gewerbliche Bildungsarbeit in den Kreisbildstellen ratternde 16mmm-Projektoren ausleihen. In deren Katalogen fanden sich in den 1970er Jahren auch internationale Filmklassiker, sogar Alain Resnais‘ Essay „Nacht und Nebel“. Im Osten vermittelten die mitunter cinephilen Kulturverantwortlichen der Kombinate den Kolleg*innen Filmwerke aus dem prallen Katalog des Monopol-Verleihs „Progress“. Es darf jedoch bezweifelt werden, dass das Publikum – ob Ost oder West – nach der Vorstellung Gelegenheit bekam, über die Ästhetik des gezeigten Films zu diskutieren.
Das ist heute auf dem Land kaum anders. Dort fragen Gemeindehäuser und Jugendzentren der Kommunen und Kirchen sowie Vereine Filme für ihre Bildungsarbeit an. Sie beziehen die Filme vor allem aus den vielfältig aufgestellten Katalogen des BJF sowie der evangelischen und katholischen Medienzentralen. Die Veranstalter orientieren sich inhaltlich. „Jetzt gibt es wieder ein starkes Interesse an Umwelt und Klima“, sagt Schöffel, „uns geht es mit unseren Filmen aber auch um soziale Gerechtigkeit, nicht nur hier – weltweit. Der Kampf gegen den Klimawandel findet ohne Gerechtigkeit nicht statt!“