Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk soll die Basis entzogen werden

Das Rezept der Politik: „Vermarktung“ statt Strukturreform

Die jüngsten Äußerungen des MDR-Intendanten und amtierenden ARD-Vorsitzenden, Prof. Dr. Udo Reiter, zur Fusion von öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten werfen erneut ein Schlaglicht auf die von der Politik verordnete Rundfunkstrukturreform, die in der Konsequenz auf ein Zerschlagen des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems in der Bundesrepublik hinauslaufen. Seine Vorschläge zur Bildung von nur noch sechs Rundfunkanstalten vor dem Hintergrund der Abschaffung des Gebührenfinanzausgleichs stellen langfristig nicht nur die Existenz des föderalen, demokratisch strukturierten öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems in Frage, sondern sind in dieser Form auch eine unerlaubte Einmischung in die Eigenständigkeit von einzelnen Sendern. Solche rundfunkfremde Konzepte laufen darauf hinaus, die programmliche Vielfalt im öffentlich-rechtlichen Rundfunk abzuschaffen.

Offensichtlich verwechselt Herr Reiter die ARD mit einem straff zu führenden marktwirtschaftlich operierenden Konzern. Anstatt Schaden von der ARD und der ihr angeschlossenen Anstalten abzuwenden, gießt er Wasser auf die Mühlen derjenigen, nach deren Ansicht der öffentlich-rechtliche Rundfunk „zurechtgestutzt“ gehört, um dem Markt weiter die Tore zu öffnen.

Wenige Tage nach seinen Aussagen zur Fusion einzelner Sender in der ARD – die er danach entschieden dementierte: „Es stimmt nicht“, so Reiter am 12. 2. 1997 wörtlich, „daß ich die Existenz irgendeines Senders der ARD in Frage gestellt habe“ -, sorgte der Chef der Dreiländeranstalt MDR erneut für Schlagzeilen in der gleichen Sache. Diesmal schwebt ihm ein „Berlin-Modell“ vor, dem der SFB zum Opfer fallen soll. Die ARD insgesamt soll die Berichterstattung aus und für Berlin organisieren, alle Anstalten sollen das Hauptstadtbüro und den SFB gleich mit betreiben. Reiter sagt: „Strukturreform“ und meint: „unfreundliche Übernahme“! Damit mißbraucht er nach Ansicht der IG Medien seine Funktion als ARD-Vorsitzender, um gemeinsam mit Biedenkopf und Stoiber den Finanzausgleich und die föderale Struktur der ARD zur Disposition zu stellen. „Wer der ARD Zentralismus statt
föderaler Vielfalt verordnen will, stellt aber nicht Überlegungen für den Ernstfall an, sondern redet ihn herbei“, heißt es in einer Presseinformation des Hauptvorstandes der IG Medien hierzu. Die IG Medien fordert die übrigen Intendanten auf, ein eindeutiges Bekenntnis zur föderalen Struktur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks abzugeben.

In der Tat zeigen Entwicklungen der letzten Monate, daß sich immer mehr Verantwortliche in den Rundfunkanstalten den konservativ-liberalen Vorgaben und dem Finanzdruck der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) beugen. Um nur einige Beispiele zu benennen:

  • Beim MDR wird die komplette Eigenproduktion am Standort Erfurt auf ein privates Tochterunternehmen ausgelagert.
  • Auch beim SFB verfolgt der Intendant eine knallharte Outsourcingpolitik.
  • Im Hause RB können
    sich Programmverantwortliche auch einen privatisierten Sender mit zentralen Aufgaben für die ARD vorstellen.
  • Im Südwesten der Bundesrepublik mühen sich Intendanten, Gewerkschaften und Gremienvertreter der Politikvorgabe zur Fusion von Südwestfunk (SWF) und Süddeutschem Rundfunk (gerecht zu werden).
  • Beim Bayerischen Rundfunk (BR) ist die Auslagerung des Zeitungsarchivs eingeleitet.

Strukturveränderungen und Reformbedarf

Mit den Strukturveränderungen in der Medienlandschaft und dem damit zusammenhängenden Reformbedarf befaßt sich auch ein Beitrag von Peter Völker, dem Sekretär der Fachgruppe Rundfunk/Film/AV-Medien, für ein in Kürze erscheinendes Buch Multimedia II, der „M“ vorab zur Verfügung gestellt wurde.

Angriff auf die Beschäftigten und den Programmauftrag

In Deutschland kündigt sich das Informationszeitalter nach seiner Ansicht keineswegs mit Produkt- und Informationsvielfalt an, sondern mit einem Marktangriff auf die Beschäftigten und den Programmauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Die medienpolitische Geheimformel derjenigen, denen der öffentlich-rechtliche Rundfunk ein Dorn im Auge der Eroberung des Informationsmarktes ist, laute: „Der Markt wird’s schon richten.“ Die „Vermarktung“ eines der demokratisch strukturiertesten Mediensysteme der Welt habe vier Dimensionen:

  1. In Europa macht EU-Kommissar Martin Bangemann dem privaten Telekommunikations- und Medienkapital im Rahmen der Gesetzgebung zur Informationsgesellschaft die Tore auf. Die audiovisuellen Medien werden entsprechend der europäischen Integrationsphilosophie und mangels Kompetenz in kulturellen Fragen nur aus der Brille des Wirtschaftsrechts gesehen. Demokratische Gestaltungsansätze, wie sie von großen Teilen vom europäischen Parlament im Zusammenhang mit der Debatte über den Rundfunkbegriff in der EU-Fernsehrichtlinie eingefordert wurden, fallen über den europäischen Tellerrand. Der ungebremste europäische Medienmarkt wird somit zur „tödlichen Umarmung“ für alle nichtkommerziellen Medien.
  2. Auch in Deutschland findet diese Politik bei den Arbeiten zur neuen Multimediagesetzgebung ihre Entsprechung. Bonn will die medienpolitische Kompetenz der Länder hierüber aushöhlen. Multimediaprodukte sollen sich ausschließlich ohne demokratische „Zwangsregulierung“ am Markt entfalten können. Im Umkehrschluß soll der öffentlich-rechtliche von diesen Zukunftsentwicklungen (z.B. Pay-TV, Spartenprogramme) abgeschnitten werden, wie dies konservativ-liberale Mitglieder der Enquete-Kommission bei der Vorlage ihre ersten Zwischenberichte kundtaten. Am deutlichsten drückt dies der Bertelsmann-Konzern in einem Positionspapier „Kommunikationsordnung 2000“ aus: „Angesichts der globalen Märkte ist die Rundfunkkontrolle durch Medienanstalten der Bundesländer keine tragfähige Lösung … Um den Wettbewerb zu stärken, muß sich die Kommunikationsordnung der Zukunft in die Wirtschaftsordnung einfügen“ und etwas später: „In der neuen medialen Umwelt hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk kein Monopol für die Grundversorgung.“ Anders ausgedrückt: Markt geht vor Demokratie; oder Demokratie ist Markt. Die zahnlosen Antikonzentrationsregeln im neuen Rundfunkstaatsvertrag bewirken ihr übriges. Die Entmachtung der föderalen mediendemokratischen Kompetenz scheint eingeleitet.
  3. Schließlich wird dem öf-fentlich-rechtlichen Rundfunk durch die Länder über die Gebührenpolitik die Finanzschraube angesetzt und eine Fusions- und Kooperations-debatte aufgezwungen, die auf ein Aushebeln der föderalen Rundfunkordnung abzielt. Reformieren durch (Tot-)Sparen heißt das Schlagwort. Über die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Landesrundfunkanstalten (KEF) wird ihm vor allem Stellen- und Sozialabbau sowie Tarifflucht durch Outsourcing als Prinzip empfohlen, ohne auf den demokratischen Grundauftrag zu reflektieren.
  4. Auch in den Anstalten dominieren zunehmend programmfremde Rationalisierungsüberlegungen die Reformdebatte. Abgesehen von Stellen- und Sozialabbaukonzepten steht dabei vor allem eine schlankere ARD durch Fusion von öffentlich-rechtlichen Sendern und eine groß-angelegte Privatisierung der öffentlich-rechtlichen Produktion zur Diskussion. Der seit Januar 1997 amtierende ARD-Vorsitzende, der Intendant des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR), Prof. Udo Reiter, spielt dabei eine Vorreiterrolle. Seine Zielvorstellungen sind: Nur noch sechs ARD-Anstalten, Abbau des Finanzausgleichs, Kooperation und Privatisierung der öffentlich-rechtlichen Produktion. Kommt es dazu, steht nicht nur die Existenz einzelner Sender sondern das föderale Prinzip insgesamt auf dem Spiel.

Zerstörerischer Zentralismus

Was bietet sich angesichts nicht zu überhörender Kritik an den zu offensichtlich von kommerziellen Interessen gelenkten konservativ-liberalen Zerschlagungskonzepten der ARD besser an, als den öffentlich-rechtlichen Rundfunk klammheimlich seiner Basis – der Eigenproduktionsfähigkeit – zu berauben?, fragt Völker. „Anders gesagt: Wer dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Produktionsbasis entzieht, schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe: Der politische Einfluß auf den verbleibenden Rumpfapparat Programm bleibt erhalten und gleichzeitig werden Einflußsphären und neue Marktchancen durch die Auslagerung der Produktion für die Privatwirtschaft eröffnet, weitghend sozial ungeschützt, versteht sich“.

Auch die ARD insgesamt verfolge diese Ziele unter Vorsitz des aus Bayern stammenden MDR-Intendanten Reiter, der als ausgewiesener Vertreter des Prinzips der „schlanken Anstalt“ gilt. Die ARD plane, bundesweite SAP-Standards und ein Kostenrechnungs-Kompetenzzentrum sowie gemeinsame EDV-Einrichtungen zu schaffen. Positiver Nebeneffekt eines solchen zentralistischen Vorgehens: Die Rechte der Personalräte an Planung und Einführung würden mangels Konzernmitbestimmung im Personalvertretungsrecht ad absurdum geführt.

Nach Völker bleibt zu hoffen, daß besonnene Intendanten solch gutgemeinten Ratschlägen aus vielen Gründen nicht folgen. Selbst Industrieunternehmen, die sich in den letzten Jahren zu starkem Outsourcing bekannten, hätten die Gefahr erkannt: Mit jeder ausgelagerten Einheit geht dem Unternehmen Know-how verloren. Völker formuliert zu dieser Entwicklung: „Ist es nicht für ein demokratisches Medium wie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, das einen der Gesellschaft verpflichteten Programmauftrag zu erfüllen hat, noch gefährlicher, seine Unabhängigkeit und sein Wissen zu verlieren? Zeichnet nicht gerade die Einheit von kritischem, unterhaltendem und kulturellen Programm und hochwertiger Produktqualität den öffentlich-rechtlichen Rundfunk aus? Sind nicht die hochqualifizierten Programm- und Produktemacher das ,Kapital‘ in der harten Konkurrenz auf dem Medienmarkt der Zukunft?“

Schlüsselaufgabe: Sicherung der Eigenproduktion

Ohne Zweifel müsse sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk den neuen Rahmenbedingungen in der Medienlandschaft stellen. Notwendig sei deshalb eine echte innere Reform, „die spart, gleichzeitig die Qualifikation der Beschäftigten nutzt und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in der Waagschale der Demokratie beläßt.“ Ziel dieser Überlegungen dürfe nicht die schlanke Anstalt als Prinzip sein, sondern die Optimierung des Programmauftrages. Die Verteidigung der Eigenproduktionsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks werde dabei zu einer Schlüsselaufgabe.

In der öffentlichen Diskussion werde oft suggeriert, daß der öffentlich-rechtliche Rundfunk umfassend selbst produziert. Dabei werde völlig verschwiegen, daß die Anstalten von Anfang an und erst recht in den letzten Jahren als „pulsierendes Unternehmen“ organisiert wurden. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk werde technisch heute bis auf wichtige Kernaufgaben, die oft am Markt gar nicht angeboten werden, in Zusammenarbeit zwischen Programm, Produktion und Technik einerseits und zwischen angestellten Medienschaffenden und vielen freien Mitarbeitern sowie Auftragsproduzenten andererseits hergestellt.

Outsourcing gefährdet Unabhängigkeit, Arbeitsplätze und Qualität

Gerade dieses gesunde Wechselspiel zwischen Eigenproduktion und freier Produzententätigkeit hat, so Völker weiter, das öffentlich-rechtliche Programm bisher ausgezeichnet und profiliert es im Wettbewerb. Hinzu komme die für Tausende von Künstlerinnen und Künstlern existentielle Förderung von Kunst und Kultur im Programm, auch wenn Sparzwänge dies immer mehr einschränken. Der Grad der Fremdvergabe sei von Sender zu Sender unterschiedlich weit ausgeprägt. Fest stehe aber, daß die Auslagerung von Produktionen in den letzten Jahren schon sprunghaft angestiegen ist. Weiteres Outsourcing würde seine Existenz und seine Unabhängigkeit gefährden. Eigenproduktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks könne aber kein Selbstzweck sein, sondern sie sei eine der Garanten der politischen, ökonomischen und publizistischen Unabhängigkeit dieses Systems. Outsourcing-Politik im öffentlich-rechtlichen Rundfunk führe auch dazu, daß hierzu nicht nur hochwertige Ausbildungs- und Arbeitsplätze im Rundfunk verlorengehen, sondern alle
Erfahrungen zeigten, daß es zu einer Verlagerung der Produktion in tariflich völlig ungeschützte Bereiche kommt; mit allen negativen Folgen für die Beschäftigten.

Auch die vereinzelt vorgetragenen Argumente, ein dosiertes Outsourcing im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ergäben im Umfeld der Anstalten neue Beschäftigungschancen, greifen nach Völker ins Leere. Die Entwicklungschancen für kleinere und mittlere Unternehmen (KMU), ließen sich nicht durch „Kaputtschrumpfen“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, sondern nur durch konsequente Sicherstellung von Anbietervielfalt verwirklichen. Medienkonzentration, wie sie heute zu beobachten ist, vernichtet Arbeitsplätze und Marktchancen auch dieser kleinen und mittleren Anbieter.

IG Medien muß Gestaltungskompetenz gewinnen

Die IG Medien habe den Verantwortlichen in den Rundfunkanstalten bezüglich des Erhalts der Eigenproduktion im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Alternativen zu den rundfunkfremden Rationalisierungsvorgaben der Politik aufgezeigt. Im Rahmen einer Gestaltungspartnerschaft zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaft sollten unter Beteiligung der Beschäftigten neue Formen der Arbeit im Rundfunk entwickelt werden. Ziel sei es, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk für seine neuen Aufgaben zukunftsfähig zu machen. Dazu bedarf es einer beschäftigungswirksamen und programmorientierten Tarif- und Betriebspolitik im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Diese Reformfähigkeit hat, so Andreas Reichstein vom Verband der IG Medien im Norddeutschen Rundfunk (NDR), die IG Medien in der laufenden Tarifrunde bewiesen (vgl. „M“ 3/97). In einem Gesamtpaket wurde ein tarifliches Reformpaket für „Arbeit und Programm“ mit den Elementen „Zeit statt Geld“ neue Technik, Zeitkonto, Umweltticket, Ausbildungsplätze und Altersversorgung verabschiedet. Auch beim Hessischen Rundfunk (HR), beim BR und beim Saarländischen Rundfunk (SR) wird in diese Richtung gedacht.

 

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