Der Berliner „Tagesspiegel“ geht nach Hamburg

Die defizitäre „Hamburger Rundschau“ soll Beilage werden, auch die Verleger der „Hamburger Morgenpost“ mischen mit

Sie war eine der letzten von Großverlagen unabhängige Wochenzeitung: „Die HAMBURGER RUNDSCHAU wurde 1981 von der Hamburger Initiative für Pressevielfalt mit Hilfe von 3.500 Bürgerinnen und Bürgern gegründet.“ So steht es Mitte März immer noch im Impressum. Eben so findet man dort noch die Namen der sechsköpfigen Redaktion, der bereits Ende Januar gekündigt wurde. Jetzt droht der HR kurz vor dem 20. Geburtstag die Abwicklung.

„Konstruktiv und erfolgsversprechend“ seien Gespräche mit dem Geschäftsführer des „Tagesspiegels“ (Berlin), Joachim Meinhold, verlaufen, sagte HR-Miteigentümer Josef Depenbrock zu Plänen des Berliner Blattes, das Wochenblatt den Käufern des „Tagesspiegels“ in Hamburg beizulegen. In dieser als „Rettungsversuch“ getarnten Übernahme der HR sieht man beim „Tagesspiegel“ – er gehört zur Stuttgarter Holtzbrinck-Gruppe – eine Möglichkeit, die Präsenz in der Hansestadt zu erhöhen. Bis jetzt werden in der Hansestadt durchschnittlich 224 Exemplare des Tagesspiegels abgesetzt – so steht es in der zuletzt erhobenen IVW-Verbreitungsanalyse.

Unterdessen fordern IG Medien und DJV, die HR an die Belegschaft zu übergeben. Dem Blatt, das vor fast 20 Jahren als „kritisches Lokalzeitungsprojekt“ begann, drohe nun die „stillschweigende Abwicklung“. Deshalb begrüßten IG Medien und DJV den Versuch der HR-Beschäftigten, ihr Blatt zu retten. „Der Markt für eine unabhängige, kritische lokale Wochenzeitung ist in Hamburg vorhanden, meinen Gewerkschaften und Belegschaft. „Aus Sorge um die Arbeitsplätze wie auch um die Zukunft des Titels“ hat sich eine „Interessengemeinschaft zur Übernahme der HR“ der gekündigten Redaktion gebildet, die den Verlegern eine Übernahme der Zeitung in Eigenverantwortung angeboten hat. Der langjähriger HR-Redakteur Uwe Driest sagt, es sei genügend Kapital vorhanden. „Die von uns erstellte Budgetierung versetzt uns in die Lage, die auch von Ihnen für den glücklichen Start einer neuen Kooperation angestrebte Kostenneutralität zu erzielen“, heißt es in einem Brief an die Verleger. Doch blieb der Vorschlag bisher unbeantwortet.

Als „pikant“ werten IG Medien und DJV, dass der HR-Verleger Hans Barlach – als Partner von Frank Otto – seit Herbst des vergangenen Jahres auch Verleger der „Hamburger Morgenpost“ ist und Depenbrock seit dem 1. März des Jahres Chefredakteur des Boulevardblattes („M“ berichtete).

In ihren besseren Tagen hatte die HR eine Auflage von 16.000 Exemplaren. Als die Auflage Ende der Achtziger Jahre unter 10.000 fiel, war das Genossenschaftsmodell am Ende. Die damaligen Bundestagsabgeordneten Matthias Ginsberg (FDP) und Jo Müller (Grüne) kauften die Zeitung und wollten zeigen, dass sich politisches Engagement und Wirtschaftlichkeit vereinbaren lässt. Während dieser Ära stieg Barlach mit einem 25-Prozent-Anteil in das Projekt ein. Doch mit der HR ging es stetig bergab. Die Politiker warfen 1998 das Handtuch und Barlach übernahm alleine das Ruder. Was nicht viel nützte, nach Mitarbeiterangaben fiel die Auflage unter 7000 Exemplare. Kurzzeitig mischte auch Depenbrock mit, verabschiedete sich aber bald und wurde Anfang Februar des Jahres von Barlach mit der Geschäftsführung betraut. Zurzeit werden im Kioskverkauf etwa 2000 und im Abonnement 1700 Zeitungen abgesetzt.

Neben dem Kultur- und Politikteil ist der Veranstaltungsteil „up to dates“ das Herzstück des Blatts und wohl auch Objekt der Begierde des „Tagesspiegels“, um den Fuß fester in die Hamburger Tür zu bekommen. Der redaktionelle Mantel soll von Berlin nach Hamburg geliefert werden. Ob das Blatt als eigenständiges Produkt an den Kiosken erhältlich ist, ist Depenbrock zufolge unwahrscheinlich: „Wenn man für den Tagesspiegelpreis zusätzlich die HR bekommt, warum dann die HR separat kaufen?“, fragt er nicht nur rhetorisch.

Weitere aktuelle Beiträge

Was tun gegen defekte Debatten

Das Land steckt in der Krise und mit ihm die Diskussionskultur. Themen wie Krieg und Pandemie, Migration und Rechtsextremismus polarisieren die politische Öffentlichkeit. In ihrem Buch „Defekte Debatten: Warum wir als Gesellschaft besser streiten müssen“ suchen Julia Reuschenbach, Politikwissenschaftlerin an der FU Berlin und Korbinian Frenzel, Journalist und Redaktionsleiter Prime Time bei Deutschlandfunk Kultur, nach Auswegen aus der diskursiven Sackgasse.
mehr »

Breiter Protest gegen Radiokürzungen

Als die Bundesländer im vergangenen September Reformvorschläge für ARD, ZDF und Deutschlandfunk vorgelegt haben, war klar: Diese beinhalten starke Kürzungen. Die ARD-Häuser müssen im Auftrag der Politik über die Verringerung von Radiowellen entscheiden. Die Anzahl der regionalen Hörfunkprogramme in der ARD soll demnach von rund 70 Wellen auf 53 sinken. Dagegen regt sich breiter Protest.
mehr »

Kriminalität nicht mit Migration verknüpfen

Kriminelle Migranten bedrohen die Sicherheit in Deutschland“ – dieses alte rechte Narrativ wird von der AfD neu belebt und verfestigt sich in der Mitte von Gesellschaft und Politik. Medien, die diese realitätsverzerrende Erzählung bedienen, weil sie meinen, die laute Minderheit repräsentiere ein öffentliches Interesse, spielen mit dem Feuer.
mehr »

Mit BigTech gegen Pressefreiheit

Der Vogel ist frei“ twitterte der US-Milliardär und Big Tech-Unternehmer Elon Musk am 28. Oktober 2022, dem Tag seiner Übernahme des Kurznachrichtendienstes Twitter, der damals noch den blauen Vogel als Logo hatte. Der reichste Mann der Welt wollte nach eigener Aussage den Dienst zu einer Plattform der absoluten Redefreiheit machen: „Freie Meinungsäußerung ist die Grundlage einer funktionierenden Demokratie, und Twitter ist der digitale Marktplatz, auf dem die für die Zukunft der Menschheit wichtigen Themen diskutiert werden“, hatte er zuvor erklärt.
mehr »