Digital ist top

Baden-Württemberg startet in ein neues Radiozeitalter

Seit einigen Monaten läuft der entscheidende Countdown für deutsche Radiosender: Entweder sie schaffen auf eigenem Sendernetz den Sprung aus der analogen in die digitale Welt, oder sie müssen sich für die künftige Verbreitung mit einer Gastrolle bei anderen Digital-Übertragungswegen begnügen. Denn: Nach dem jahrzehntelangen Scheitern von DAB gibt’s nun mit DAB+ die letzte Chance. In Baden-Württemberg startet das Digitalradio neu durch.

Erst ein Bericht zum Baustammziehen, dann Jennifer Rush mit „Flames of Paradise“ und schließlich ein Gewinnspiel. Der selbsternannte Feriensender „Schwarzwald Radio“ aus dem Kinzigtal ist eines der ungewöhnlichsten Lokalradiokonzepte der Republik – und seit einigen Wochen zum Landessender aufgestiegen. Bislang konnten nur Einheimische und Touristen die Welle hören, auf UKW 93,0. Jetzt ist die Welle in weiten Teilen Südwestdeutschlands empfangbar – per DAB+. In Baden-Württemberg, traf sich Radio-Schwarzwald-Chef Markus Knoll zum Start im Mai mit Kollegen aus dem ganzen Bundesland auf dem Stuttgarter Fernsehturm. Digital ist top, das war die Botschaft. Oder wie der SWR-Hörfunkdirektor Bernhard Hermann an dem Tag kommentierte: „Mit dem Digitalradio starten wir in ein neues Radiozeitalter mit einem großem Schub bei Qualität und Bedienkomfort. „ Große Worte – man könnte beinahe vergessen, dass es bereits der zweite Versuch ist, ein neues digitales Radiozeitalter zu beginnen.

Der erste Versuch, der nur DAB hieß – ohne das Plus –, ist in den vergangenen Jahren grandios gescheitert. Es gab kaum Sender. Die Geräte waren weit teurer als analoge UKW-Radios, nur einige hunderttausend verkauften sich in Deutschland. Wer sich dennoch eine digitale Kiste anschaffte, der hatte oft keinen Empfang aufgrund des schwachen Signals, das von wenigen Masten abstrahlte. All das soll nun behoben sein. Technisch hat sich zwar nicht besonders viel getan; vor allem die sogenannte Codierung des Tonmaterials ist noch sparsamer geworden. Deutschlandradiochef Willi Steil jubelt dennoch über das neue Digitalradio: „Es ist energieschonender und es ist für uns kostengünstiger.“ Und DAB+ sei auch störungsfreier als die Vorgängerversion. Knoll mit seinem „Schwarzwald Radio“ kennt wie alle Radiomacher die Kritik am alten DAB-Standard, er glaubt dennoch an einen Erfolg bei der Neuauflage: „Es gibt bereits mehr Auswahl bei den Endgeräten.“ Tatsächlich kann der Kunde etwa beim Technikversender Conrad zwischen einigen Dutzend verschiedenen Digitalradios wählen. Zudem säßen nun private und öffentlich-rechtliche Sender an einem Tisch, um über Marketingarbeit zu sprechen, sagt Knoll.

Diese Runde ist die Folge einer interessanten Zwangslage und Interessenkonstellation: Die KEF, die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten, hatte das Projekt DAB vor einigen Jahren für gescheitert erklärt: „Die Kommission kommt zu dem Schluss, dass eine Fortführung der DAB-Finanzierung nicht in Frage kommt“, hieß es in einem Bericht zur Verwendung der GEZ-Gelder. Die Rundfunk-Schatzmeister verwiesen darauf, dass mittlerweile Internetradios, Satellitenradios, MP3-Player und Podcasts die Audio-Welt verändert hätten. Geld gebe es nur noch, wenn sich Öffentlich-rechtliche, private Hörfunksender und der Netzbetreiber Media Broadcast über gemeinsame Ausstrahlungen einigen könnten. Doch Media Broadcast und die Privatradios stritten ohne Ergebnis über die Finanzierung. Ausgerechnet ein Technologieunternehmen – „Frontier Silicon“ aus London, eigenen Angaben zufolge führend bei Chips für Digitalradios – musste in Deutschland in die Bresche springen. Der Deal: Vier Jahre lang machen die Radios Werbung für Frontier. Der Chiphersteller finanziert im Gegenzug die Verbreitungstechnik in Deutschland mit. Und rettet damit den Neustart von Digitalradio. Auch die KEF gab nach der Einigung Gelder im zweistelligen Millionenbereich frei.

Umstiegswillige Hörer gesucht

Seitdem forcieren viele Hörfunkveranstalter das Digitale, obwohl UKW mit 250 Millionen Geräten sehr gut verbreitet ist. Für Knoll und sein Funkhaus hat der neue Digitalstandard den Vorteil: Der Radiomacher kann auf einen Schlag mehr Menschen erreichen, zumindest theoretisch. Bei „Schwarzwald Radio“ ist auch der Tourismusverband engagiert; der Sender soll Werbung für den Standort machen. Und dafür fallen im Moment beim neuen Verbreitungsweg vergleichsweise überschaubare Einspeisungsgebühren an: Etwa 60.000 Euro kostet das Versenden über DAB+ im Südwesten. Für das Übertragen eines Radiosignals über analoges UKW muss Knoll dagegen 300.000 Euro überweisen – nur um die Menschen im Landkreis zu erreichen.
Ab 2014 sollen die Werbeeinnahmen die Einspeisegebühr und den Moderator finanzieren, hofft er. Auf den „Handel“ komme es dabei an, der müsse den Verkauf mit günstigen Geräten noch mehr pushen. Dort allerdings argumentiert man andersherum: DAB+Geräte seien „flächendeckend“ verfügbar, heißt es von der gemeinsamen Pressestelle der Elektronikketten Media Markt und Saturn. Mit dem Kundenzuspruch ist man allerdings nur „zufrieden“. Aus Sicht des Konzerns ist klar, woran die ausbaufähige Begeisterung liegt: „Das Senderangebot auf DAB+ ist noch relativ überschaubar.“ Vor allem fehlen aber umstiegswillige Hörer und damit Reichweite.

 

Infokasten:

Gemeinsam on Air

Mit sechs Programmen des Südwestrundfunks und drei privaten Hörfunkprogrammen startet das Digitalradio in Baden-Württemberg neu durch. Mit weiteren 13 nationalen Angeboten, die seit vergangenem Herbst ausgestrahlt werden, können jetzt mehr als 20 digitale Radiosender im Land empfangen werden.
Empfangskarten, Programme und mehr: www.digitalradio.de

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Eine Medienplattform für Europa

Für ARD und ZDF war es eine richtungsweisende Entscheidung, als sie vor einem Jahr mitteilten, ihre Mediathek-Software gemeinsam entwickeln zu wollen. Mit im Boot ist inzwischen auch das Deutschlandradio. Unter dem Projektnamen „Streaming OS“ laufen die Arbeiten. OS steht für „Operating System“, aber auch für „Open Source“. Die öffentlich-rechtlichen Sender wollen wichtige technische Bausteine für ihre Streaming-Aktivitäten auch anderen Anbietern und Organisationen frei zugänglich machen. Eine europäische Ausrichtung haben sie ebenso im Blick.
mehr »

AfD-Einstufung zwingt Rundfunkgremien zum Handeln

Das zunächst unter Verschluss gehaltene Gutachten des Verfassungsschutzes, welches zur Einstufung der Partei Alternative für Deutschland (AfD) als „gesichert rechtsextremistische Partei“ führte, wurde nunmehr durch Medien veröffentlicht. Innenminister Dobrindt ließ zunächst offen, inwiefern juristische Schritte gegen die Veröffentlichung geplant seien. Christoph Schmitz-Dethlefsen, für Medien zuständiges Mitglied im Bundesvorstand von ver.di, begrüßt, dass nun öffentlich über das Zustandekommen der Einstufung diskutiert werden kann.
mehr »

RBB: Nach- und Neubesetzungen

Beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) wird es voraussichtlich im Herbst eine neue Leitung der Programmdirektion geben. Es gehe darum, dann die Neubesetzung mit dem eingeleiteten Konsolidierungs- und Reorganisationsprozess aufeinander abzustimmen, erklärte der RBB auf Anfrage. Damit wird es keine schnelle Nachbesetzung der Programmdirektorenstelle geben.
mehr »

Vernetzte Frauen im Journalismus

Sich als Frau in einer Branche behaupten müssen, in der Durchsetzungskraft und Selbstbewusstsein entscheidende Faktoren sind: Für Generationen von Journalistinnen eine zusätzliche Belastung im ohnehin schon von Konkurrenz und Wettbewerb geprägten Beruf. Angesichts dieser Herausforderung sind Netzwerke und solidarische Bündnisse von großer Bedeutung. Der Journalistinnenbund (JB) hatte hierbei seit seiner Gründung im Jahr 1987 eine Vorreiterrolle inne. Sein Anliegen: Geschlechtergleichstellung in den Medien erreichen.
mehr »