Ein großer Pool Kreativer

Filmstandorte in Deutschland – eine Wachstumsbranche

Film und Fernsehen sind sexy. Sie sind so unglaublich „erotisch“, dass es mittlerweile kaum mehr eine Region in Deutschland gibt, die sich nicht darum bemüht ein Filmstandort zu sein oder zu werden. Neben dem Effekt eine Industrie anzusiedeln, die den Menschen ihre Bedürfnisse nach Träumen erfüllt und daher einen hohen öffentlichen Stellenwert besitzt, sind Film und Fernsehen Wachstumsindustrien, die einen Gutteil der verschwindenden Industriearbeitsplätze ersetzen.

14,1 Milliarden Euro setzte die Film- und Fernsehbranche 2005 in Deutschland um. Davon bezahlt der Endverbraucher gern und ohne großes Murren laut einer Berechnung des Beratungsunternehmens PriceWaterhouseCoopers in diesem Jahr etwas über 6,5 Mrd. Euro, rechnet man wie PWC die Nettowerbeerlöse mit, die der Verbraucher letztendlich indirekt mitbezahlt, sind es sogar 4 Mrd. Euro mehr. Ein weiterer Teil der Gelder stammt aus Förderungen, die teils über Steuern, teils über andere Abgaben aufgebracht werden. Nur ein Bruchteil sind Eigenmittel der Produzenten oder Investitionen Dritter. Die Gesamteinnahmen betrugen laut PWC im letzten Jahr 57,4 Mrd. Euro und werden bis 2010 auf 70,3 Mrd. Euro wachsen.

Viele Freiberufler

Zum Vergleich: die deutsche Automobilindustrie, der drittwichtigste Wirtschaftszweig des Landes, hat laut Angaben ihres Verbandes 2005 einen Inlandsumsatz von 95,3 Mrd. Euro erwirtschaftet. Der Auslandsumsatz betrug 141 Mrd. Euro, was insgesamt zu 766.350 sozialversicherten Beschäftigten führte. In der Film- und Fernsehbranche sind es 2005 hingegen nur 96.494 gewesen (Stichtag: 30.6.). So wirklich exakt bezifferbar ist die Zahl Jener, die versuchen von Film und Fernsehen leben zu können, jedoch nicht. Dafür gibt es zu viele Freiberufler wie Drehbuchautoren, Regisseure oder Kameraleute und unstetig Beschäftigte, die am Stichtag gerade arbeitslos waren.
Bei solchen Zahlen wird schnell klar, warum die im steten Wachstum befindliche Medienwirtschaft die verloren gegangenen Industriearbeitsplätze ersetzen muss. Im Film- und Fernsehbereich konzentrieren sich 55 Prozent der Mitarbeiter und 44 Prozent der Unternehmen auf vier Standorte: München, Berlin, Köln und Hamburg. Das Rhein-Main-Gebiet und der Raum Leipzig / Halle haben sich ebenfalls eine gewisse Bedeutung erarbeitet. Versuche in der Film- und Fernsehbranche Fuß zu fassen unternehmen auch Hannover mit der Ansiedlung von Animationsfirmen für Film und Computerspiele (Games), Erfurt mit der Schaffung eines Kindermedienzentrums und Baden-Württemberg, hier allgemeinerer Art.
Unter den vier großen Standorten bildet Hamburg das Schlusslicht während die drei anderen kräftig miteinander konkurrieren. Wichtig in diesem Wettbewerb ist die Existenz starker Fernsehsender am Standort, die einerseits Aufträge am Ort vergeben, andererseits direkt Arbeitsplätze schaffen. München hat neben dem Bayerischen Rundfunk und ProSieben eine große Anzahl kleinerer Sender und auch den Abonnementkanal Premiere. Köln hat den WDR und RTL. Berlin hat als großen Sender nur Sat.1. Der RBB ist finanziell nicht stark genug und MTV Networks als Kette für Spartenkanäle gehört auch nur zu den kleineren Auftraggebern. Ebenfalls nicht unwichtig ist die Ausbildungssituation am Standort. Hier wartet Berlin-Brandenburg mit drei Schulen, Köln mit zwei, München, Hamburg und Ludwigsburg bei Stuttgart mit je einer großen Ausbildungsstätte auf. Kleinere Angebote privater Anbieter, die nicht gerade knapp sind, kommen noch oben drauf.
Während eine aktuelle Studie des Beratungsunternehmens Ernst & Young ein Kopf an Kopf-Rennen zwischen Köln, Berlin und München mit Vorteil Köln und München sieht und perspektivisch gar einen Rutschbahneffekt von Hamburg nach Berlin, so gilt dies bei genauerem Hinsehen nur für das Gesamtbild, da jeder Standort versucht, seine Stärken heraus zu stellen und auszubauen. In diesem Bemühen dürfte Berlin immer mehr gewinnen, denn trotz des Mangels an starken Sendern strahlt die Stadt eine große Attraktivität im kreativen Bereich aus, gepaart mit einem geringeren Honorarniveau in der zweiten Reihe und einem großen Pool an (jungen) Kreativen, die auf ihre Chance warten. Nicht von ungefähr gehen fast alle neuen Impulse im Kinobereich von Berlin aus und gehört Berlin als einzige deutsche Stadt zu den „kreativen Zentren“, der neuen treibenden Kraft der globalen Wirtschaft.

Günstige Rahmenbedingungen

Doch zu einem attraktiven Standort gehören günstige Rahmenbedingungen, politische und wirtschaftliche Unterstützung, ein guter persönlicher Kontakt zu den am Ort befindlichen Auftraggebern, Förderinstitutionen und Dienstleistern, aber auch ein attraktives Umfeld für die Freizeitgestaltung. Insgesamt ist die Standortzufriedenheit gut, dennoch ergeben sich beim direkten Vergleich in der Ernst Young Studie von Anfang des Jahres Unterschiede. Am schlechtesten schneidet Leipzig mit 3,06 Punkten sehr gut ab, während München mit 3,87 von maximal 4 Punkten nicht nur das Ranking anführt, sondern sogar um 0,04 Punkte zulegte. Die Zufriedenheit mit Köln ging um hohe 0,52 Punkte auf 3,39 zurück, während Hamburg und Berlin nur moderate 0,01 respektive 0,1 Punkte Zufriedenheitsverlust hinnehmen mussten. Die Unzufriedenheit der Kölner korreliert mit einer Abnahme des Images des Standortes, während sich die drei anderen Standorte eine gutes bis sehr gutes Image bescheinigen. Vielleicht hat das etwas damit zu tun, dass Köln als Produktionsort von Fernsehmassenware betrachtet wird, die eher mit dem von Harald Schmidt kolportierten „Unterschichtenfernsehen“ in Verbindung gebracht wird.

Regionale Wirtschaft und Medien

Berlin dagegen steht als kreativer und preisverwöhnter Neuerer des deutschen Kinos und Produktionsort vieler Fiktionproduktionen und München als Zentrum klarer Geschäftsmodelle und erfolgreicher Kinofilme. Von den zwölf deutschen Filmen, die es bis Mitte November unter die Top 50 des laufenden Jahres geschafft haben, wurden siebeneinhalb in Bayern konzeptioniert, vier davon schafften es mit einem Mindesteinspiel von 10 Mio. Euro unter die Top 20 („Das Parfüm“, „Das Leben der Anderen“, „Hui Buh“, „Die wilden Kerle 3“). Die Produzenten der beiden anderen, die es in die Top 20 schafften, kommen aus Köln („Deutschland ein Sommermärchen“) sowie Berlin und Hamburg („7 Zwerge – Der Wald ist nicht genug“).
Die regionale Wirtschaft geht mit den vier großen Medienstandorten ganz unterschiedlich um und lässt daraus Rückschlüsse auf ihre Wertigkeit im Vergleich zu anderen Industriezweigen zu. Für die Erstellung der Statistiken sind die Handelskammern zuständig, für die Selbstdarstellung die Förderer. Geht man nach den abrufbaren Informationen ist Berlin der geschäftigste Standort. Über die IHK erhält man detailliertes Zahlenmaterial zur Berliner Kulturwirtschaft, der Branchenzusammenschluss media.net berlinbrandenburg veröffentlicht gemeinsam mit dem Förderer Medienboard Berlin-Brandenburg das medien.barometer. Auch die Handelskammer Hamburg veröffentlicht Zahlen zu ihren Medienunternehmen, wenn auch keine sehr umfangreichen. In Köln erhält man Material nur auf Anfrage und in München existiert die Film- und Fernsehwirtschaft in der Stichwortsuche der IHK schlicht nicht. Von dort sind auch auf Anfrage keine Zahlen zu erhalten.
Dies heißt, dass gerade die Stadtstaaten mit ihren schwindenden Industriearbeitsplätzen dringend auf Ersatz angewiesen sind und diese Suche auch aktiv betreiben, während Flächenstaaten andere Möglichkeiten der Kompensation haben. In Berlin ist nicht nur der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit dafür bekannt, dass der Ausbau des Medienstandorts bei ihm Priorität hat. Die IHK Berlin hat diesen Sommer eine Strategie verabschiedet wie Berlin bis 2010 zum Medienstandort Nr. 1 ausgebaut werden kann. Das ist kein Bau eines Luftschlosses. Die Umsatzentwicklung der regionalen Branche (Berlin und Brandenburg) ist laut des Förderers Medienboard die Beste aller Standorte und schon 2003 gingen nach Angaben von Ernst & Young 59 Prozent der befragten Unternehmen davon aus, dass die Bedeutung des Standorts Berlin zunehmen wird. Werte, die für Hamburg (11 Prozent), Köln (24 Prozent) und München (18 Prozent) längst nicht erreicht wurden. Und in der Einschätzung der Zukunftsperspektiven schneidet Berlin vor München, Hamburg und Köln am Besten ab.
Aus Beschäftigten- und Gewerkschaftssicht ist die Film- und Fernsehbranche kein idealer Arbeitgeber, auch wenn zumindest in dieser Branche die Geschlechterquote ausgeglichen ist. Die meisten Beschäftigten sind nur für die Laufzeit eines Projekts tätig. In der seriellen Produktion können das Jahre sein, bei 90-Minütern, die einen Bedarf von 80 bis 180 Mitarbeitern haben, aber nur 21 Arbeitstage. Die Arbeitszeiten richten sich nach den Erfordernissen der Produktion und man ist strikt weisungsgebunden. Die Film- und Fernseharbeit ist zwar Teamarbeit, aber streng arbeitsteilig und hierarchisch mit großen persönlichen Arbeitsbelastungen. Sie ist hochgradig menschenorientiert und wer gut mit anderen kann, wird gerne für ein Anschlussprojekt angestellt.

Dumpingwettbewerb

An allen Standorten gibt es einen großen Pool an qualifizierten, motivierten Mitarbeitern, was auf die Honorare drückt. Gerade die Fernsehsender drücken Einsparungen gnadenlos durch und beschäftigen den günstigsten Anbieter, der wiederum nach unten weiter geben muss. Lohn- und Dienstleistungskosten werden somit zu immer wichtigeren Entscheidungspunkten. Dadurch entsteht – zusätzlich zum regionalen Fördereffekt – aus zwei Gründen ein Wanderzirkus: je nach Vernetzung werden Mitarbeiter zu einem Projekt dazu geholt oder aber je nach günstigstem Angebot. „Es ist nicht erfreulich, wenn Leute von einem anderen Standort geholt werden, nur weil sie günstiger sind“, sagt Olaf Hofmann von connexx.av: „Wir können das zwar nicht verhindern, appellieren aber an die Produktionen, ein Stammpersonal am Standort aufzubauen und zu nutzen. Einen Dumpingwettbewerb lehnen wir strikt ab.“
So stellt sich die Verdienstsituation für die Meisten in der Film- und Fernsehproduktion eher schlecht dar. Zwischen den Aufträgen gibt es kein Arbeitslosengeld, wenn man in zwei Jahren im Schnitt weniger als ein Jahr gearbeitet hat. Erleichterung bringt zumindest der von ver.di neu ausgehandelte Tarifvertrag, der Mindesthonorare und ein Arbeitszeitkonto vorsieht, damit Überstunden in der Anerkennung der Arbeitstage nicht verloren gehen.

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