Ein Hoch auf die Flachware

Ausstellung im Mainzer Gutenberg-Museum würdigt 400 Jahre Zeitung

Es lebe die Zeitung. Jedes Kind weiß, dass mit ihr der Tag beginnt. Egal, ob in guten oder schlechten Zeiten. Ob in Moskau, Buenos Aires, Tokio oder in Mainz. Aber nehmen wir ruhig Mainz. Da wird in diesen Tagen eifrig an einer Ausstellung gewerkelt, die die Geschichte eben dieses Mediums nachvollzieht. Die Zeitung wird 400 Jahre alt.

Das ist ein Grund zur Rückschau. Und ein Grund zu Optimismus. Denn die Zeitung ist jung wie eh und je und von Niedergangsprognosen im elektronischen Zeitalter kaum wirklich bedroht. Nicht nur, weil man mit Computern keine feuchten Schuhe ausstopfen kann.

Zeitung ist ein Produkt menschlicher Neugier und der ersten Medienrevolution. Denn ohne Gutenberg und seine beweglichen Lettern gäbe es auch keine „Flachware“, wie Zeitungen im Druckerjargon im Unterschied zu Büchern bezeichnet wurden. Das Interesse an den „Einkommenden Zeitungen“, so der Titel des ersten ab 1650 in Leipzig täglich erscheinenden Blattes, wuchs allgemein. Die Zeitung als Produkt technischen Fortschritts bestimmte künftig selbst die Entwicklung von Kultur, Kommunikation und Druckgewerbe mit. Und dokumentierte sie permanent. Zeitung ist ideelles und materielles Produkt. Verbunden mit Alphabetisierung, Erweiterung des Weltbildes, Post und Verkehr, immer auch Politik, geistiger Auseinandersetzung und – quasi von Beginn an – Streit um die Pressefreiheit. Dass Zeitung eine Sache von Öffentlichkeit ist, liegt in ihrer Natur. Schnell wurde sie eine von Zensur und Obrigkeitsentscheidungen, später eine von Urheberrecht und Kodizes. Zeitung ist immer Instrument in den Händen derer, die sie besitzen. Presse ist käuflich, als Ware gewinnträchtig. Sie ist millionenfach verbreiteter Denkanstoß. Oder das Gegenteil. Sie transportierte Ideen der Aufklärung und beförderte Revolutionen, war jedoch ebenso Manipulationsmittel von Diktatoren und Werkzeug zur Gleichschaltung.

Für die, denen sie zum Broterwerb dient, ist Zeitung ein hierarchischer Organismus, der Arbeitsteilung verlangt. Und Berufsethos. Zwiefache Gratwanderung.

Nichts ist bekanntlich so alt wie die Zeitung von gestern. So schafft sie ein permanentes Recyclingproblem, wenn auch ein umweltverträgliches. In Sachen Tempo ist die gute alte Zeitung überholt, seit es Rundfunk gibt. Altmodisch ist sie deshalb nicht. Relaunch gehört zum Geschäft wie neuerdings Vierfarbendruck und Online-Ausgaben. Selbst wenn die Morgenzeitung heute Nachrichten vermittelt, die anderswo schneller zu haben sind, so tut sie es doch auf eigene, unverwechselbare Weise. Ein gedrucktes Blatt kann getrost nach Hause getragen, in der U-Bahn oder auf dem stillen Örtchen gelesen und in Grundsteine gemauert werden.

Geburtsurkunde präsentiert

Die Zeitung hat Höhen und Tiefen erlebt, Krisen überstanden und die moderne Gesellschaft mit begründet. Von all dem berichtet die Ausstellung „Schwarz auf Weiß. 400 Jahre Zeitung 1605 bis 2005“, die am 9. Juli im Mainzer Gutenberg-Museum eröffnet und bis zum Jahresende gezeigt wird. Kurator ist der Zeitungswissenschaftler Dr. Martin Welke, dem es 1987 gelang, das Geburtsjahr der Zeitung vier Jahre nach vorn zu rücken. Er fand im Straßburger Stadtarchiv das Schreiben eines Johann Carolus, der 1605 beim „Rat der Einundzwanzig“ Schutz gegen den widerrechtlichen Nachdruck seiner wöchentlich erscheinenden Nachrichtenblätter erbat – erfolglos. Das Gesuch im Original wird als Geburtsurkunde der Zeitung im Mainzer Museum präsentiert werden. Pläne, die Jubiläums-Zeitungsschau in eine enzyklopädisch angelegte Dauerausstellung umzuwandeln, sind noch vage, könnten aber von Erfolg gekrönt sein, wenn Finanziers und Besucherscharen nachhelfen. Denn ein Blick zurück schärft den Blick nach vorn: Lang lebe die Zeitung!


Informationen unter: www.gutenberg.de/museum.htm

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