Erste Empfehlungen der Internet-Enquete für das Urheberrecht
Die Enquete-Kommission des Bundestages „Internet und digitale Gesellschaft“ polarisiert. Für die einen ist sie eine kleine Revolution. Endlich werden Internetthemen nicht nur von der Piratenpartei oder der Webgemeinde diskutiert, sondern auch von Politikern aller Couleur. Für die Kritiker hingegen sind die bisherigen Ergebnisse der Enquete-Kommission enttäuschend.
Über ein Jahr gibt es sie jetzt – die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“. Beschlossen vom Bundestag im März 2010, nahm sie zwei Monate später, am 5. Mai, ihre Arbeit auf. Ihr Auftrag: Sie soll eine Expertise erstellen und sich darüber verständigen, nach welchen Regeln wir in der digitalen Welt leben wollen. Denn Netzpolitik steht in Deutschland noch am Anfang.
Die Einsetzung der Kommission kam nicht von ungefähr. Der Erfolg der Piratenpartei bei der letzten Bundestagswahl, aber auch die Proteste der Netz-Community in Sachen Netzsperren und Vorratsdatenspeicherung hatten der Politik gezeigt, dass sie das Thema Internet ernst nehmen muss. Spätestens im Sommer 2012 soll die Enquete-Kommission Handlungsempfehlungen abgeben zu Netzthemen wie Urheberrecht, Datenschutz, Netzneutralität, digitale Bürgerbeteiligung, Wirtschaft und Arbeit.
Zu Beginn der parlamentarischen Sommerpause Anfang Juli dieses Jahres sollte Halbzeitbilanz gezogen werden, so war es zumindest geplant. Vorgesehen waren Berichte zu Medienkompetenz, Urheberrecht, Datenschutz und Netzneutralität. Kein einfaches Vorhaben, wie sich zeigte. Aufgrund von Unstimmigkeiten konnte nur ein Teil der Zwischenberichte verabschiedet werden. Diese kulminierten in der letzten Kommissionssitzung am 4. Juli. Kritische und enttäuschte Stimmen zur Arbeitsweise der Kommission waren allerdings schon lange vorher von Mitgliedern und Journalisten laut geworden. Seitdem steht die Frage im Raum: Kann die Enquete-Kommission wirklich halten, was sich viele von ihr versprochen haben? Oder scheitert sie an parteipolitischem Gerangel?
Dabei hatte der Kommissionsvorsitzende Axel E. Fischer, CDU, anfänglich große Hoffnungen geweckt. „Eine Enquete-Kommission ist im Wesentlichen darauf angelegt, dass man miteinander spricht und versucht, gemeinsame Lösungen zu entwickeln“, erklärte Fischer im März vergangenen Jahres. „Es wird also meine Aufgabe sein, dafür zu sorgen, dass Kompromisse gefunden werden, bei denen möglichst alle mitgehen können.“
Dass dies nicht einfach sein dürfte, war von Anfang an klar. Allein die Zusammensetzung der Kommission – siebzehn Bundestagsabgeordnete und siebzehn Sachverständige – versprach Zündstoff. Schließlich repräsentieren die Mitglieder, wie in derartigen Gremien üblich, das gesamte, eigentlich kaum vereinbare, politische Spektrum. Hinzu kam das ambitionierte Vorhaben, die Bevölkerung als so genannten achtzehnten Sachverständigen per Internet an Debatten zu beteiligen – ein Novum in der Geschichte der Enquete-Kommissionen. Allein die Frage, wie das praktisch vonstatten gehen soll, sorgte für jede Menge Streit, der sich über ein Jahr hinzog. „Sicherlich hätte vieles geschmeidiger am Anfang laufen können“, räumt Konstantin von Notz ein, als Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen in der Kommission.
Plattform für die Bürger
Zunächst gab es ein Diskussionsforum und ein Blog, auf der Interessierte ihre Meinung darlegen konnten. Gerade mal rund 70 User waren hier aktiv. Erst nach mühevollem Ringen innerhalb der Kommission und mit der Bundestagsverwaltung, gelang es, die Plattform „Adhocracy“ zu installieren. „Es gab die Sorge von Leuten, da bestimmen irgendwelche anonymen Menschen im Internet, was wir hier machen müssen“, erklärt von Notz den Widerstand. Rund 1.600 Personen haben sich inzwischen auf der neuen Plattform registriert. Die Software erleichtert es, Bürger direkt in den Meinungsbildungsprozess einzubeziehen. Dokumente können damit kooperativ erstellt und bewertet werden.
Auch wenn dies spät kommt und sich erst herausstellen muss, wie produktiv die Zusammenarbeit mit dem Bürger tatsächlich sein wird – FDP-Mann Jimmy Schulz ist stolz darauf, wie transparent die Kommission arbeitet. „Dieser Ausschuss ist der erste des Deutschen Bundestages, der grundsätzlich öffentlich tagt. Wir veröffentlichen alle Dokumente. Und wir haben mit dem Tool Adhocracy einen Dialog geschaffen – auch das gibt es in keinem anderen Ausschuss des Deutschen Bundestages. Das ist ein Experiment, wie Demokratie in der Zukunft aussehen kann.“
Koalitionszwang
Darüber hinaus macht die Enquete-Kommission bislang allerdings keinen experimentellen Eindruck. Vom Anspruch „gemeinsame Lösungen zu entwickeln“, wie von Axel E. Fischer angekündigt, scheint nicht viel geblieben zu sein. Das Problem: Mehrere Themen, über die sich die Kommission eine Meinung bilden will, stehen auch im Kabinett auf der Tagesordnung. Es geht also um parteipolitische Interessen und das führt dazu, dass weder unbefangen diskutiert, noch unabhängig abgestimmt wird. Eine „Schmierenkomödie“, so die Einschätzung von Markus Beckedahl, Sachverständiger in der Enquete-Kommission. „In der Werbebroschüre zu einer Enquete steht drin, dass alles fraktionsunabhängig diskutiert werden soll. Dass die Experten unabhängig sind und ihre freie Meinung einbringen können. Das hat uns sehr ernüchtert, dass sehr schnell alles in den parlamentarischen Alltag überläuft, der sich in Fraktionen abbildet“, kritisiert Beckedahl.
Beispiel: Netzneutralität. Hier geht es darum, wie in Zukunft Datenpakete – also Mails, Filme, Musikstücke oder Telefonieprogramme – im Internet transportiert werden sollen. Müssen alle Inhalte gleichberechtigt durchgeleitet werden, wie es Grüne, SPD und Linke fordern? Oder dürfen die Provider in den Datenverkehr eingreifen und selbst bestimmen, was in welcher Geschwindigkeit durchs Netz darf, wie es Teile der Regierungskoalition wünschen – nach dem Motto: Wer mehr zahlt, hat Vorrang? Derzeit arbeitet das Kabinett an einem entsprechenden Gesetzentwurf. Das hat die Enquete-Kommission zu spüren bekommen. Dort blockierten die Vertreter der schwarz-gelben Koalition die eigentlich geplante Verabschiedung einer Handlungsempfehlung zur Netzneutralität. „Das ist besonders bedauerlich, weil Sachverständige und Abgeordnete fraktionsübergreifend unter Vorsitz des CDU-Abgeordneten Peter Tauber ein durchaus vertretbares Konsenspapier entwickelt haben, dass sich grundsätzlich für Netzneutralität und gegen Netzsperren ausspricht“, sagt Annette Mühlberg, Sachverständige in der Enquete und bei ver.di zuständig für das Thema E-Government. Und sie warnt: „Die Enquete-Kommission darf nicht durch parteipolitische Spielchen entwertet werden. Die Wichtigkeit der Themen ist viel zu groß.“
Immerhin: Zwei Zwischenberichte konnte die Enquete-Kommission planmäßig vor der Sommerpause verabschieden. Fertig gestellt und dann auch nachzulesen sind diese Dokumente allerdings erst im September, wenn alle Änderungen und Argumente in die Papiere eingearbeitet worden sind, heißt es aus dem Sekretariat der Kommission.
Einigung beim Urheberrecht
Soviel ist jedoch klar: Einig wurde man sich beim Thema Medienkompetenz und im Urheberrecht. Auch bei Letzterem galt es, ein breites Spektrum an Positionen unter einen Hut zu bekommen – von Dieter Gorny, dem Cheflobbyisten der Musikindustrie bis hin zu Netzaktivisten, die eine komplette Reform des Urheberrechts fordern.
Markus Beckedahl zeigt sich positiv überrascht von den verabschiedeten Handlungsempfehlungen. „Dazu zählt das Recht, dass man immateriell erworbene Güter auch weiterverkaufen darf“, erklärt Beckedahl. „Es versteht ja kein Verbraucher, warum ich ein Buch oder eine CD kaufen und die weiterverkaufen und verleihen kann, aber online zum selben Preis mit einem E-Book das nicht machen darf.“
Mehrheiten gab es in der Enquete-Kommission auch gegen das so genannte „Three-Strikes“-Prinzip, das unter anderem in Frankreich angewendet wird. Danach wird Usern der Internet-Zugang gekappt, wenn sie sich zwei oder drei Mal beim illegalen Herunterladen von Filmen oder Musik erwischen lassen – etwa in Tauschbörsen. „Bezüglich der Rechtsdurchsetzung in diesem Bereich hat sich die Kommission sehr bedeckt gehalten, indem sie gesagt hat, einerseits muss das Urheberrecht durchsetzungsstark sein. Andererseits wollen wir keine Eingriffe in die Informationsfreiheit im Internet. Das heißt, keine Änderung an den Zugriffstechniken im Internet und keine Sperren und Zugangskontrolle“, erklärt der ver.di-Urheberrechtler Wolfgang Schimmel. „Dieser Kompromiss kann nicht glücklich machen. Die Nutzer von Filesharing-Systemen werden in Zukunft weiterhin Abmahnungen bekommen. Und die Urheberseite wird weiterhin mit illegalen Kopien leben müssen, weil sich nicht alles unterbinden lässt“, kritisiert Schimmel, der als Sachverständiger zu einer Kommissions-Sitzung geladen war.
Aus Sicht von Markus Beckedahl dürfte dieses Problem durch eine andere Handlungsempfehlung im Zwischenbericht zum Urheberrecht zu lösen sein. „Überraschenderweise gab es eine Mehrheit für den Vorschlag, Downloads unter die Privatkopie-Schranke zu stellen und gleichzeitig die Urheber über ein Pauschalabgabensystem zu beteiligen“, so der Netzaktivist. „Dieser Vorschlag hat’s vor allem deshalb geschafft, weil man nicht explizit drauf geschrieben hat, dass dahinter das Konzept der Kulturflatrate steht.“ Damit könne man die „ganze Repression gegen Internetnutzer, die Urheberrechtsverletzungen begehen, beenden.“
Wolfgang Schimmel hat seine Zweifel an dieser Idee. Nicht nur ließe sich schwer vermitteln, dass jeder Besitzer eines Computers eine Kulturflatrate zahlen muss – auch wenn er nicht illegal downloaden will. „Ich halte die Grundlinie, die sich durch die ganzen Handlungsempfehlungen zieht, für problematisch. Dahinter steht der Gedanke, dass sich die bestehenden Modelle, urheberrechtlich geschützte Werke zu verwerten, durch das Internet praktisch überholt haben. Das halte ich für eine falsche Position.“
Aus der Nische geholt
Mit solcherart Dissens – sei es über Inhalte, aber auch über Verfahrensfragen – wird die Enquete-Kommission auch weiterhin leben müssen. Jimmy Schulz, für die FDP Mitglied des Gremiums, ist trotzdem zufrieden mit der Arbeit der Kommission, selbst mit Blick auf den Streitpunkt Netzneutralität. „Das war ja vor zwei Jahren noch ein richtiges Feinschmeckerthema. Damit kannten sich vielleicht fünf Leute aus in Deutschland“, sagt Schulz. „Ich wüsste nicht, dass vor zwei Jahren in den Parteiprogrammen, egal welcher Fraktion, eine klare Haltung zur Netzneutralität gestanden hätte. Auch die Parteien mussten erstmal eine Haltung dazu entwickeln. Und dieser Prozess, dass sich die Politik mit diesem Thema auseinandersetzt, das ist ja schon allein für sich ein Wert.“
Das dürfte dann auch die wichtigste Leistung der Internet-Enquete sein: Dass sie netzpolitische Themen aus der Nische in die mediale Öffentlichkeit holt. Auch wenn man zu keiner Einigung käme, sei doch wichtig, so der Grüne Konstantin von Notz, „dass eben diese Konflikte klar werden, dass aus dem bisherigen Nebel der Netzpolitik klare Linien zutage treten. Dann ist da auch schon viel gewonnen.“ Nach der parlamentarischen Sommerpause im September wird die Kommission ihre Arbeit fortsetzen. Acht weitere Projektgruppen stehen noch aus. Gerade einmal ein Drittel des Pensums, das die Kommission sich vorgenommen hat, wurde zur Halbzeit abgearbeitet. „Wir haben das Thema in seiner Fülle total unterschätzt“, sagt der Vorsitzende Axel E. Fischer. Ob man bis zum Sommer nächsten Jahres den Plan erfüllt haben wird, ist offen.