Keine Handlungsempfehlung der Internet-Enquete zur Netzneutralität
Der Termin war mit Spannung erwartet worden. Für den 17. Oktober 2011, der ersten Sitzung nach der Sommerpause, stand erneut die Abstimmung über den Streitpunkt Netzneutralität auf der Tagesordnung der Enquete-Kommission des Bundestages „Internet und digitale Gesellschaft“. Eigentlich hatte zunächst im Juni und dann im zweiten Versuch im Juli dieses Jahres das Thema verabschiedet werden sollen. Damals jedoch blockierten Vertreter der schwarz-gelben Koalition den Beschluss über eine Handlungsempfehlung zur Netzneutralität. Deshalb also ein dritter Anlauf: Würde es diesmal klappen?
Immerhin: Ein Ergebnis lag am Ende der Zusammenkunft vor. Ein Ergebnis, das allerdings nur bedingt zufrieden stellen kann. Denn auf eine gemeinsame Handlungsempfehlung haben sich die Kommissionsmitglieder in ihrem Zwischenbericht nicht geeinigt. Auch wenn alle, wie es heißt, Netzneutralität als „ein hohes Gut“ erachten, gehen die Meinungen darüber auseinander, wie sich diese gewährleisten lässt. Während die zuständige Kommissions-Projektgruppe der Auffassung ist, dass für die Absicherung der Netzneutralität keine neuen gesetzlichen Regelungen nötig sind, weil der Markt das selbst regelt, fordert ein von Oppositionsvertretern in der Enquete formulierter Alternativtext genau das Gegenteil. Anders als CDU und FDP wollen Grüne, Linke und SPD Netzneutralität per Gesetz schützen lassen. Der Bundesnetzagentur sollten zudem mehr Kompetenzen zugeteilt werden, um gesetzliche Vorgaben dann auch durchzusetzen. Beide Positionen fanden keine Mehrheit, sondern erhielten jeweils 17 Ja- und 17 Nein-Stimmen. Deshalb gingen die jeweiligen Textfassungen nur als Sondervoten in das Beschlusspapier ein. Annette Mühlberg, Sachverständige in der Enquete und bei ver.di zuständig für das Thema E-Government, kann diesem Ergebnis allerdings auch Positives abgewinnen. Immerhin habe es keine Mehrheit für die Koalitionsvertreter gegeben. „Die Projektgruppe als solche hat eine gute Arbeit gemacht“, sagt Mühlberg. „Auch die Vertreter der CDU sind über ihren Schatten gesprungen. Zum Beispiel bei den Netzsperren war man sich einig, dass man das nicht will.“ Das Thema Netzneutralität müsse auf Bundesebene und international weiter diskutiert werden.
Zweifel an Unabhängigkeit
Den Vertretern der Regierungskoalition dürfte der verabschiedete Bericht jedoch alle mal gelegener kommen, als eine Annäherung der verschiedenen Positionen. Denn: Parallel hat der Bundestag den Kabinettsentwurf für eine Novelle des Telekommunikationsgesetzes diskutiert, die Ende Oktober verabschiedet wurde und noch den Bundesrat passieren muss. Netzneutralität explizit sicherzustellen, ist darin nicht vorgesehen. Eine anderslautende Empfehlung der Enquete-Kommission hätte sicher für Unruhe in den Koalitionsreihen gesorgt während der Debatte über den Gesetzentwurf, wenn nicht gar die Verabschiedung gefährdet.
Auf die Arbeit der Internet-Enquete hingegen wirft dieses parteitaktische Gerangel einen Schatten. Zwar kann das Gremium sich zugute halten, endlich Netzthemen in den breiten öffentlichen Diskurs befördert zu haben. Irgendwann jedoch dürfte dieser Bonus aufgebraucht sein. Die Unterwerfung einer Enquete-Kommission unter die Mechanismen der parlamentarischen Alltagspolitik steht ihrer eigentlichen Aufgabe genau entgegen und macht sie früher oder später unglaubwürdig. Eigentlich soll darin parteiunabhängig diskutiert und abgestimmt werden. Das ist jedoch oft nicht gewährleistet. Schon seit einiger Zeit mehren sich denn auch die Stimmen, die ihre Zweifel an der Enquete äußern oder sie sogar für gescheitert halten. Hinzu kommt die Sorge, dass auch in Zukunft Debatten über besonders strittige Punkte beliebig werden könnten, da es den Vertretern der Regierungsparteien möglich ist, Abstimmungen mit ihrer Mehrheit jederzeit zu dominieren.
Auch wenn die Debatte über Netzneutralität in der Internet-Enquete (vorerst) abgeschlossen ist: Das Thema bleibt weiter auf der politischen Tagesordnung. Zu essentiell ist es für die Zukunft eines demokratischen, offenen Internets. Grundsätzlich bedeutet Netzneutralität, dass alle Daten durch die Internetprovider gleichwertig behandelt, also durchgeleitet werden müssen. Damit soll eine demokratische Teilhabe am Internet für alle sichergestellt werden, unabhängig von wirtschaftlichen oder politischen Interessen sowie von den finanziellen Möglichkeiten des Einzelnen. Zudem gilt dies als Voraussetzung für die Entstehung innovativer Geschäftsmodelle. Nur wer ungehindert Daten senden und empfangen kann, ist in der Lage, Neues auszuprobieren.
Bei genauerem Hinschauen ist Netzneutralität jedoch ein nicht genau definierter Begriff. Vertreter der Netz-Community wie etwa Markus Beckedahl verstehen darunter ein „echtes Netz“, in dem nicht nur alle Bits gleich behandelt werden, sondern die User auch frei wählen können, welche Hard- und Software sie nutzen. Jede Form von Diskriminierung wird abgelehnt.
Auch ver.di tritt für ein offenes und funktionsfähiges Internet ein, das Inhalte nicht diskriminiert und innovative Geschäftsmodelle nicht behindert. Allerdings plädiert man für eine „differenzierte Netzneutralität“, vor allem mit Blick auf die Zukunft, wenn immer mehr Dienstleistungen komplett ins Netz verlagert werden. Dies wird damit verbunden sein, große Datenmassen zu bewegen, etwa wenn es um Fernsehen oder Printangebote geht. Die Frage stellt sich, wie Gleichberechtigung von Inhalten dann konkret aussehen soll. „Hier muss man genau hinschauen, wo Versorgungs- und Zugangsunterschiede entstehen könnten und damit auch Machtstrukturen“, erklärt ver.di-Expertin Annette Mühlberg. Wie genau gesetzliche Rahmenbedingungen der Netzneutralität aussehen können, darüber muss die Diskussion jedoch auch in ver.di noch fortgesetzt werden.