Fernsehen wann und wo man will

Streit um Digitaloffensive von ARD / ZDF auf dem Medienforum und zur IFA

Als die öffentlich-rechtlichen Anstalten im Frühsommer ihre Digitalstrategie präsentierten, hagelte es heftige Reaktionen von Seite der Privatsender und der Verleger: „Enteignung der Verlage“, „rechtswidriges Vorgehen“ sind nur einige der Vorwürfe, mit denen die Kritiker die Pläne von ARD und ZDF überzogen und nach wie vor überziehen. Auf dem Medienforum im Rahmen der Internationalen Medienwoche Berlin-Brandenburg prallten die Kontrahenten in unversöhnlicher Weise aufeinander. Kein Wunder, schließlich wird jetzt in Umrissen erkennbar, wie die Öffentlich-Rechtlichen sich in der digitalen Welt positionieren wollen. Und mit den punktgenau zur Internationalen Funkausstellung vorgestellten „Mediatheken“ von ZDF und ARD gibt es Prototypen der geplanten „Digitaloffensive“.

60 Prozent aller Deutschen ab 14 Jahren sind heute bereits online – Tendenz: weiter steigend. Das Mediennutzungsverhalten der Bevölkerung, zumal der jugendlichen Nutzer, verändert sich dramatisch. Die klassischen Leitmedien Print und Fernsehen verlieren an Boden. Zugleich deutet sich für die Zukunft eine Vernetzung von Hörfunk, Fernsehen und Online zu einem digitalen Medienverbund an. Die Bedeutung des Internet als On-Demand und Download-Plattform für Hörfunk- und TV-Programme steigt. Die Jungen stillen ihr Informations- und Unterhaltungsbedürfnis zunehmend im Internet, vorzugsweise über Portale wie YouTube, MySpace oder StudiVZ.
Auch ARD und ZDF mussten auf diese Entwicklung reagieren, wollten sie nicht bei der nachwachsenden Generation ins Abseits geraten, was über kurz oder lang Fragen nach der Legitimation einer allgemeinen Rundfunkgebühr aufgeworfen hätte. Das ZDF hatte beim internen Wettstreit der Öffentlich-Rechtlichen die Nase vorn. Die zur IFA gestartete „Mediathek“ ermöglicht den Zuschauern, fern zu sehen, wann und wo er will. Künftig sind sie nicht mehr abhängig von „unflexiblen“ Sendezeiten, die nach Meinung vieler Propagandisten der digitalen Revolution nicht mehr ins mobile Zeitalter passen. Internetnutzer können in der „Mediathek“, bei der es sich im Grunde um eine umfangreiche Video-Datenbank handelt, durch das ZDF-Programm der abgelaufenen Woche klicken und gezielt bestimmte Sendungen ansteuern, die sie möglicherweise verpasst haben oder nochmal sehen wollen. Die Verantwortlichen begeistern sich für die Vision vom unabhängigen zeitsouveränen Zuschauer, der seine Mediennutzung den persönlichen Bedürfnissen anpasst, „nach eigenem Rhythmus, zu Hause oder mobil“, wie beispielsweise ZDF-Intendant Markus Schächter schwärmt.

Mediatheken präsentiert

Die ARD, diesmal ausnahmsweise in der zweiten Reihe, präsentierte auf der IFA gleichfalls ihr neu gestaltetes Video- und Audioportal, aus ZDF-Sicht unschönerweise unter dem identischen Titel „Mediathek“. Künftig sollen über die Internetseiten DasErste.de und ARD.de Fernseh- und Radioinhalte einer Programmwoche abrufbar sein. Die Verzögerung verdankt sich den immer noch umständlichen Koordinierungserfordernissen im Senderverbund der neun Landesrundfunkanstalten. Gleichzeitig forciert das Erste die Verbreitung von Kerninhalten auch über Mobilfunk: Die „100-Sekunden-Tagesschau“ entwickelt sich dem Vernehmen nach zum echten Vertriebsrenner.
Lobbyisten wie den Verband Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT) sowie Zeitungen- und Zeitschriftenverleger ist diese Entwicklung ein Dorn im Auge. Sie sehen ihre eigenen geschäftlichen Interessen bedroht. Hinter der Kampfansage an die „illegale Digitaloffensive“ von ARD und ZDF“ verbirgt sich die Furcht, ihre eigenen – in der Regel auf Entgeltpflicht basierenden – Geschäftsmodelle nicht realisieren zu können.
VPRT-Präsident Jürge Doetz bringt es auf den Punkt: „Was sich als Problem nicht zuletzt für alle Pay-TV-Anbieter abzeichnet, sind die vermeintlich kostenlosen Downloads. Wie will man da als privates Unternehmen gegenhalten?“ Für Doetz ist das Verhalten von ARD und ZDF ein klarer Fall von unlauterem Wettbewerb. Kostenlose Online-Portale und Mobilfunk-Services gehören für ihn nicht zum Grundversorgungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Gegen „echten“ Wettbewerb hätte er nach eigenem Bekunden nichts einzuwenden. „Würden solche neuen Angebote gegen Entgelt verbreitet, bestünde auch die Möglichkeit, bei der nächsten Gebührenrunde auf zusätzliche Einnahmen zu verweisen und damit vielleicht auch mal die Gebühren zu senken“.
Diese Vorstellung wiederum passt begreiflicherweise den Öffentlich-Rechtlichen kaum ins Konzept. Die „Tagesschau in 100 Sekunden“ ein „neues Angebot“? Für den ARD-Vorsitzenden Fritz Raff schlägt allein diese Sichtweise „dem Fass den Boden aus“. Bei diesem Service handle es sich um einen „Mehrwert für unser Publikum praktisch ohne Mehraufwand“. Diese belege schon der dafür veranschlagte vergleichsweise geringe Etat von 4,6 Millionen Euro jährlich.

Gang nach Brüssel angedroht

Die Definition dessen, was als „neues Angebot“ zu gelten habe, könnte demnächst auch wieder die EU-Kommission beschäftigen. VPRT-Chef Doetz droht unverhohlen mit einem weiteren Gang nach Brüssel, falls die Öffentlich-Rechtlichen ihre „gesetzwidrige Expansion“ fortsetzten. Die Vorgaben der EU, festgehalten in einem Kompromisspapier vom vergangenen April, sind freilich interpretationsfähig. Tatsächlich billigt die EU-Kommission ARD und ZDF jeweils drei digitale TV-Kanäle für Kultur, Bildung und Information zu. Dabei dürfe es sich allerdings nicht um Spartenkanäle handeln.
Alle neuen Dienste müssen demnach einen dreistufigen Public-Value-Test durchlaufen, an dessen Ende eine Prüfung durch die Rechtsaufsicht der Länder steht. „Wirklich neue Angebote müssten selbstverständlich einem Public-Value-Test unterzogen werden“, versichert ARD-Chef Raff. Für die aktuellen Online-Projekte sieht er diese Notwendigkeit nicht. Ebenso wenig hält er von der Idee eines „ökonomischen Wettbewerbs“ zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Veranstaltern. Von daher kommt vorerst auch ein entgeltpflichtiges Online-Angebot der ARD für ihn nicht in Frage. Schon gar nicht für Inhalte, für die die Bürger mit der Rundfunkgebühr schon bezahlt hätten.

Vermittlungsversuch

Spätestens bei den Beratungen der Ministerpräsidenten über den 11. Rundfunkänderungsstaatsvertrag könnten die Auseinandersetzungen zwischen den beteiligten Parteien weiter an Schärfe gewinnen. In einem Vermittlungsversuch hat die Rundfunkkommission der Länder den öffentlich-rechtlichen Anstalten empfohlen, die EU-Vorgaben schon vor Verabschiedung des neuen Staatsvertrags (im Frühjahr 2009) im Sinne einer freiwilligen Selbstverpflichtung zu befolgen. Dabei, so die Erwartung, könnten erste Erfahrungen etwa mit dem Zulassungsverfahren für neue digitale Projekte gesammelt werden. Die Reaktion von ARD und ZDF auf diesen Vorschlag fiel bislang eher zögerlich aus. Natürlich werde man sich an den Brüsseler Vorgaben orientieren, versicherte ARD-Chef Raff. Und, an die Kritiker von VPRT bis BDZV gerichtet: „Sie werden uns nicht dabei ertappen, dass wir Rechtbruch begegnen.“

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