Filmkultur 2.0

Auswirkungen der Digitalisierung auf filmkulturelle Einrichtungen in NRW.

In einem Gutachten im Auftrag des Netzwerks Filmkultur NRW wurde untersucht, inwieweit Einrichtungen der Filmkultur auf die im Filmbereich vollzogene Digitalisierung eingestellt sind. Das Ergebnis offenbart nicht nur erhebliche strukturelle Herausforderungen, sondern auch Konsequenzen bezüglich einer veränderten Arbeitswelt. Eine Zusammenfassung.

Foto: Filmfest Hamburg / Cordula Kropke

Auch die Initiativen der Filmkultur müssen sich an die aktuellen Entwicklungen infolge der Digitalisierung anpassen. Aus diesem Grund hat das Netzwerk Filmkultur NRW ein vom Land Nordrhein-Westfalen unterstütztes Arbeitspapier beauftragt, um Veränderungen und Herausforderungen zusammenzutragen, denen sich seine Mitglieder gegenüber sehen. Das Netzwerk ist eine Interessengemeinschaft aus Institutionen und Initiativen aus Nordrhein-Westfalen, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven der filmkulturellen Arbeit widmen. Gemeint ist politisch und wirtschaftlich unabhängige Filmarbeit, die das Medium ausschließlich künstlerisch und ohne kommerzielle Interessen ausschöpft. Vertreten sind hier vor allem Filmfestivals, Filmwerkstätten und Filmhäuser des Landes, Projekte aus dem Bereich der Medienkunst, sowie weitere filmkulturelle Initiativen, die durch Aktivitäten wie Tagungen und Symposien zielgerichtet unterschiedliche Publika erreichen.
Das Engagement der einzelnen Mitglieder bezieht sich in differierenden Schwerpunkten auf die Bereiche Produktion, Abspiel und Archivierung, die unterschiedlich stark und unterschiedlich früh vom digitalen Wandel betroffen wurden. Doch welchen Bereich eine filmkulturelle Initiative auch bedient: Sie alle mussten bzw. müssen auf medienumspannende, nicht beeinflussbare Vorgänge reagieren, auf Kollateraleffekte gewissermaßen, denen ihre Angebote ausgesetzt sind. Als einer der zentralen Bereiche für filmkulturelle Arbeit gilt freilich das Filmabspiel, das im Folgenden als nur ein Aspekt aus dem Gutachten stellvertretend für die vielschichtige Arbeit der Institutionen im Mittelpunkt steht.
Viele filmkulturelle Initiativen verfügen über keinen eigenen Ort des Abspiels. Filmfestivals etwa sind auf die Kooperation mit spezifischen Veranstaltungsorten, in erster Linie natürlich Kinos, angewiesen. Damit kann jedes Festival seitens der Projektionsqualität nur so gut sein, wie es das Kino zulässt, in dem es beheimatet ist. Mit der eigentlichen Kinodigitalisierung also haben die Filmfestivals erst einmal nicht viel zu tun gehabt: Sie war Sache der Kinobetreiber.

Demokratisierung der Filmherstellung.

Doch stellen wir den Aspekt des Ortes hinten an und wenden uns zunächst dem Eigentlichen zu: den Filmen. Eine der erheblichsten Änderungen, die von der Digitalisierung ausging, hat mit ihrer demokratisierenden Eigenschaft zu tun. Die Filmherstellung ist durch sie nicht mehr nur einer Elite vorbehalten, die sich die hohen Kosten von Material, Verarbeitung und Vervielfältigung leisten kann. Filmproduktion ist heute für jedermann erschwinglich, mit jedem Smartphone können Filme produziert und durch einfachen Upload ins Internet publiziert bzw. vertrieben werden.
Der Effekt auf Filmfestivals ist umfassend. Mal ganz abgesehen davon, dass ihr kuratorisches Wirken in einer Welt des Bildüberflusses mehr denn je gefragt ist, ergeben sich dadurch in erster Linie erhebliche technische Herausforderungen. Ein normales Kino, das seine Filme von Verleihfirmen bezieht, braucht im Grunde heute nur noch die Möglichkeit, DCPs (Digital Cinema Package) abzuspielen, da dies der Standard ist, auf den sich die Kinowirtschaft geeinigt hat. Ein Festival der Filmkultur aber lebt ja in der Regel gerade davon, nicht ausschließlich Filme zu zeigen, die bereits über einen Vertrieb in Deutschland oder anderswo verfügen. Sie kuratieren ihr Programm nach künstlerischen, nicht nach Marktkriterien. Das bedeutet, dass sie insbesondere auch an unabhängig produzierten Filmen interessiert sind. Diese unabhängigen Filmemacher realisieren ihre Arbeiten in allen denkbaren digitalen Formaten und Videocodes – je nach Vorlieben, Verfügbarkeit und Höhe des Budgets. Das wiederum bedeutet, dass Festivals mit den unterschiedlichsten Dateiformaten konfrontiert sind, die so für sich genommen in den Kinos erst einmal nicht oder nur bedingt abspielbar sind.
Die Qualität der Projektion ist eines der wichtigsten Aushängeschilder eines Festivals. Um einen perfekten Ablauf der Programme und eine hohe Qualität der Projektion zu garantieren, ist es im Grunde unerlässlich, einen Standard zu definieren, in dem alle digitalen Filme gezeigt werden. Dieser Standard sollte wegen der hohen Zuverlässigkeit und wegen der vorhandenen Normierung eigentlich DCP sein. Das Problem dabei allerdings besteht vor allem darin, dass der Aufwand für die benötigten Umwandlungsarbeiten hoch ist und dass auch eine enorme Rechner- und Serverleistung benötigt wird. Den Festivals zeigt sich hier die Schattenseite der beschriebenen Demokratisierung: Wurde früher jeder Film im Kopierwerk gemastert, das heißt seitens Licht, Farbe, Ton und Format zu einer idealen und kompakten Einheit gebracht, die sich beliebig kongruent kopieren ließ, so ist das in der digitalen Welt längst keine Selbstverständlichkeit mehr. Als Konsequenz bedeutet das für die Festivals, dass sie mehr und mehr Aufgaben eines Kopierwerks übernehmen müssen, um die qualitativ wertigste Form für die Projektion zu finden. Sie übernehmen damit Kosten der Filmherstellung, die im analogen System ureigentlich die Produzenten zu tragen hatten.

DCP als Festival-Standard.

Daraus ließe sich nun schließen, bei der Filmeinreichung künftig ausschließlich Filme als DCP zuzulassen, damit wären die Festivals einen Großteil des Aufwandes und der damit verbundenen Kosten wieder los. Ganz so einfach allerdings können sich Filmfestivals des Problems nicht entledigen. Denn sie sind national und natürlich auch international einer enorm großen Konkurrenz ausgesetzt. Wollen sie bestimmte Filme spielen oder Regisseure vor Ort haben, so müssen sie auch Überzeugungsarbeit leisten. Allein in Deutschland finden jede Woche im Durchschnitt ein bis zwei Filmfestivals statt – auf internationalem Gebiet dürfte sich die Konkurrenz locker verdreifachen. Möchte man unter den Filmfestivals wettbewerbsfähig bleiben, so ist eine hohe Vorführqualität erste Voraussetzung. Würde man Filmemachern oder Weltvertrieben nun das Format vorschreiben, würden einzelne Titel mit Sicherheit nicht zu bekommen sein. Und das nicht nur aus Verhandlungsgründen: Ein Festival wie die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen etwa hat im Jahr 2013 Arbeiten aus rund 60 Nationen ausgewählt, das Internationale Frauenfilmfestival im Langfilmbereich zeigte Filme aus 24 Ländern. Möchte man eine solche Breite der Filmkultur präsentieren, kann man von Kreativen aller Nationen weltweit nicht automatisch verlangen, sich an die Standards eines der am weitest entwickelten Länder der westlichen Welt anzupassen.
Die beschriebene Lösung, mit dem besten Digitalstandard DCP zu arbeiten, wird zur Zeit allerdings noch erst recht unerschwinglich, wenn Festivals nicht ausschließlich in bereits volldigitalisierten Kinos spielen, sondern zu deren Konzept es gehört, auch alternative Orte als Projektionsräume einzuschließen – Nicht-Kino-Orte mit mobilen Einheiten DCP-fähig zu machen ist für einzelne Festivals kaum leisten.

Filmkulturelle Vielfalt bedroht.

Der gelungene digitale Rollout und die damit einhergehende Einführung des DCP-Standards impliziert zwar einen potenziell enormen Qualitätsgewinn, aber gleichsam auch eine Gefahr, erheblich an filmkultureller Vielfalt zu verlieren. Für die meisten Kinos nämlich geht mit der Einrichtung der digitalen Vorführtechnik einher, das 35mm-Equipment komplett aus dem Projektionsraum zu verbannen, denn will man die alte Technik behalten, so muss sie jemand auch bedienen können. Für den digitalen Betrieb aber werden keine klassischen Filmvorführer mehr beschäftigt (s.S. 8/9).
Filmfestivals hingegen werden noch auf lange Sicht analoge Filme in speziell kuratierten Programmen oder Retrospektiven einsetzen, und auch im Bereich der Medienkunst werden 8-, 16- und 35mm-Analogfilm weiterhin beliebte Produktions- und Vorführformate bleiben. Schon aus finanziellen Gründen wird es voraussichtlich Jahrzehnte dauern, bis zumindest ein erweiterter Kanon der Filmgeschichte auf DCP vorliegt.
Dazu kommt, dass im Sinne des Filmbildungsauftrags Vertretern der Filmkultur auch eine gewisse Verpflichtung zukommen wird, generell eine Technikkultur mit abzubilden. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Digitalisierung für Einrichtungen der Filmkultur, ganz besonders aber für Filmfestivals als ungemein problematisch. Filmfestivals sind darauf angewiesen, für ihre zeitlich pro Jahr begrenzte Veranstaltung bestehende Orte anzumieten. Wenn dort aber zum Beispiel die analoge Vorführtechnik nicht mehr zur Verfügung steht, bedeutet dies für die filmkulturelle Arbeit massive qualitätsmindernde Konsequenzen. Viele der renommierten Filmfestivals in Deutschland zumindest haben das Problem im Zusammenspiel ihrer mit langjährigen Partnerkinos äußerst positiv lösen können und anstehende Modernisierungen gemeinsam geplant. Analoge Projektionstechnik etwa ist zurzeit noch sehr günstig zu haben – schon in ein paar Jahren wird das ganz anders aussehen.

Orte der Filmkultur.

So sehr bewegte Bilder auch alle digitalen Medien erobert haben, so mobil unsere Endgeräte auch werden, auf denen wir Filme schauen können – bei der Pflege von Filmkultur geht es nicht um Bilderkonsum allein. Filmkultur öffnet soziale Räume ebenso wie kreative, sie fordert Auseinandersetzung und Hinterfragen. Und für diese Art des Schauens braucht es eigene Orte der Inspiration und Konvergenz. Es besteht die Gefahr, dass im Zuge der Digitalisierung Orte wie diese in Städten und Kommunen verloren gehen oder nicht mitgedacht werden.
Die dem Gutachten zugrunde liegende Evaluation der filmkulturellen Angebote in Nordrhein-Westfalen vor dem Hintergrund fortschreitender Digitalisierung hat vor allem eines ergeben: Die Dynamik der Veränderungen zwingt die Filmfestivals, Filmhäuser und -werkstätten sowie weiteren Initiativen dazu, so schnell wie möglich bestimmte Details ihrer Arbeit durch gezielte Investitionen anzupassen. Den zahlreichen Programmkinos des Landes, die unter einem ähnlichen Innovationsdruck standen, sprangen Förderprogramme von Europa, Bund, Ländern und Kommunen zur Seite, während den filmkulturellen Institutionen solche Instrumentarien praktisch nicht zur Verfügung stehen. Damit bedarf es, so der Schluss des Gutachtens, in gewissem Sinne einer »Exzellenzinitiative für die Filmkultur«, um den Bestand ihrer Einrichtungen auch im digitalen Zeitalter auf hohem Niveau zu sichern. In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel wird die kritische Situation der Filmkultur sehr ernst genommen, so hat das NRW-Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport umgehend mit ersten Maßnahmen reagiert.

Weiterführende Informationen:

Das vollständige Gutachten von Oliver Baumgarten und Volker Köster ist als Download auf den Webseiten der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen oder dem Internationalen Frauenfilmfestival Dortmund|Köln erhältlich.

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