Formatierte falsche Fröhlichkeit

Kritische Beobachtungen für ein besseres kreatives Radio

Hörer sollen doch bitteschön kritisch gegenüber Ereignissen und Entwicklungen sein und bleiben. Das fordern viele Radiomacher tagtäglich. Kritisieren allerdings Radiomacher die Kolleginnen und Kollegen wird das als „Nestbeschmutzung“ angesehen. Es spielt keine Rolle, dass viele mit dieser Kritik ja eigentlich das Medium Radio voran bringen wollen.

Eigentlich sollte doch mal wieder intensiv darüber nachdacht und diskutiert werden, was viele ganz freiwillig, aber oft auch auf Druck anderer tagtäglich tun oder tun müssen. Drastisch beschreibt Oliver Kalkofe die Lage der deutschen Radios auf Radioszene.de: Man müsse dem Hörer „nur solange mit formatierter falscher Fröhlichkeit auf die Eier gehen, bis seine letzten noch aktiven Denkzellen in der Rübe freiwillig den Löffel abgeben. In der Praxis funktioniert das folgendermaßen: erstens Reduktion des Moderatoren-Wortschatzes auf den mäßig begabten Dreijährigen, zweitens das unverschämt dreiste Abnudeln einer sich niemals ändernden Musikauslegeware und drittens die so penetrant häufig in den Äther geblähte Behauptung, einfach der megageilste Mörderlullen-Schuppen aller Zeiten zu sein, bis sich keiner mehr zu widersprechen traut!
Das Endziel ist es schon längst nicht mehr, seine Konsumenten zu unterhalten, sondern vielmehr das so lange gnadenlose Einpeitschen der jeweiligen selbstreferentiellen Werbesprüche, bis auch der letzte Trottel fehlerfrei im Delirium aufsagen kann, welche Superhits aus welchem Jahrzehnt bei welchen Temperaturen auf welchem Sender laufen, und ob er dabei viel Spaß, gute Fahrt oder mehr Abwechslung versprochen bekommt!
Akzeptieren wir die Realität: Das kreative Radio von einst befindet sich in der Gewalt von Machern, die für dieses Medium und sein Publikum nur noch eine Mischung aus Gleichgültigkeit, Hass und Verachtung empfinden. Aber bevor es ihnen nicht gelungen ist, dass jeder Tag klingt wie seine eigene Wiederholung, und wir bereit sind, das ewige Rauschen der Leere zwischen ihren Ohren für einen Superhit zu halten, werden sie ihre Geisel nicht freigeben. …“ Ähnlichkeiten mit der privaten wie der öffentlich-rechtlichen Radio-Realität sind leider kein Zufall. Seit vielen Jahren gibt es tatsächlich so etwas wie ein Radio- (Morse)-Sende-Alphabet: Kurz, Kurz, Lang, Lang, Kurz,… dazwischen kurz (Verkehrshinweis), kurz (das Wetter), noch kürzer (das Stationsjingle) und dann wieder lang (Musik). Ist es wirklich das, was unsere Hörer im Jahre 8 des 2. Jahrtausends von uns Radiomachern ständig hören wollen? Sind Stations- und Sendungs-Branding, Kürze der Information und Länge der Musik – so macht man Quote – wichtiger als das, was wir Radio-Journalisten neben der schnellen kurzen Nachricht in einer komplizierten, globalen Welt liefern sollten, nämlich ausführliche und gut recherchierte Hintergrundinformationen?
Müssen wir nicht wieder lernen, persönliche Meinungen und Fakten streng voneinander zu trennen? Was wir als Redakteure und Moderatoren persönlich zu bestimmten Ereignissen meinen, interessiert die Hörer recht wenig. Für viele Moderatoren in den noch verbliebenen Info-Sparten der Formatradios aber ist das gerade das Nonplusultra. Emotionen und persönliche Ansprache sollen die Hörer an das Radio binden. Ist es aber wirklich Aufgabe eines Moderators, bereits vor einem Beitrag dem Hörer mitzuteilen, dass er eine Berliner Politik-Entscheidung verheerend findet, über die dann anschließend berichtet wird?
Sollten wir nicht mit unserer Arbeit insgesamt ehrlicher umgehen? Sollten wir nicht den Hörern das Gefühl geben, dass wir sie ernst nehmen? Sollten Gewinnspiele nicht Hörer wirklich gewinnen lassen, anstatt vor allem als Push für die Medien-Analyse zu dienen? Sollten wir nicht unsere Kunden, die Hörer, darüber informieren, was wir wie und wieso tun? Sollten wir ihnen nicht erklären, warum wir „Medienpartnerschaften“ eingehen und so eher zu Werbern als Journalisten werden? Durchaus positive Beispiele in deutschen Radios zeigen, dass der Anspruch ehrlich zu sein, durchaus umsetzbar ist. So sagt SWR1 Baden-Württemberg mittlerweile den Hörern ohne Umschweife, wenn ganze Sendestrecken – bis zu 2. Stunden – voraufgezeichnet worden sind. Zu „Quoteneinbrüchen“ kam es deshalb nicht.
Kein Zweifel, das sogenannte Formatradio hat durch seine digitalen Abläufe die Sendungs-Inhalte komplett verändert. Was früher drei machten, erledigt einer. Der technische Sendeablauf – auf bis zu 6 Bildschirmen – und dessen Koordination diktieren den Ablauf einer Sendung. Man will es auch als Hörer kaum glauben: Den Inhalt eines Beitrages erfahren viele Moderatoren erst in und während der Sendung. Der Schreck des Moderators über ein unerwartetes Beitragsende, z.B. durch ungewöhnliche digitale Schnitttechniken der Senderedaktion, ist immer wieder live hörbar. Wenn es denn wirklich live ist! Oft wird Live-Berichterstattung nur vorgetäuscht. Radikalschnitte in Interviews machen die Aufzeichnung gut hörbar.
Da deutsche Radiobosse immer wieder die britische BBC loben, hätte ich nicht nur für sie einen Hörtipp parat! Wer jemals das seit gut sieben Jahren erfolgreichste britische BBC Radio 2 gehört hat (on FM, online and digital…..so die Eigenwerbung), wüsste, wie man auch hierzulande Radio wieder interessanter machen könnte. Deutsche Radiomacher können sich heute kaum mehr vorstellen, zwischen 12 und 14 Uhr in einem erfolgreichen und quoteorientierten Radioprogramm eine bewusst wortlastige Tagespolitik – Hintergrundsendung mit ständiger Hörerbeteiligung einzuplanen. Wer mal in Britannien unterwegs ist, sollte sich deshalb die Jeremy Vine Show nicht entgehen lassen. Spätestens dann wird hoffentlich vielen wieder bewusst, wie spannend ein intensives und lockeres Wortradio mit Musik – das in anderen Radio 2 Sendungen wieder ein rockiges Musikradio mit Wort ist – sein kann.


Udo Seiwert-Fauti
ist freier Europakorrespondent in Straßburg
und Mitbegründer der Initiative Fair Radio
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