Für mehr Mitsprache im WDR eintreten

Rundfunkratsmitglied warnt: Geschmack nicht mit Qualität verwechseln

Peter Freitag, Vertreter der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union in ver.di (dju) im WDR-Rundfunkrat, freut sich über die Stärkung von Mitspracherechten der Aufsichtsgremien durch den Dritten Medienänderungsstaatsvertrag. Er warnt aber davor, die redaktionelle Freiheit einzuschränken und Geschmack mit Qualität zu verwechseln, wenn es um Entscheidungen über Programmangebote geht.

Am 25. Mai beschloss der NRW-Landtag mit der Ratifizierung des Vertrags auch Folgeanpassungen im WDR-Gesetz. Zu den Aufgaben des Rundfunkrats gehört demnach Beratung und Beschluss über die Qualitätsrichtlinien für die Anstalt. Diese umfassen für den Programmauftrag und die flexibilisierte Angebotsgestaltung “inhaltliche und formale Qualitätsstandards sowie standardisierte Prozesse zu deren Überprüfung“. Zurzeit lässt die Gremienvorsitzenden-Konferenz der ARD Vorschläge für gemeinsame Qualitätskriterien entwickeln, um mehr Einheitlichkeit und Vergleichbarkeit zu gewährleisten. Nach Auskunft von Freitag gibt es aber noch keine handhabbaren Expertisen, denn sie seien bisher noch „sehr wissenschaftlich geprägt“.

Peter Freitag arbeitet als Redakteur bei der Rheinischen Redaktionsgemeinschaft. In ver.di ist er stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) und stellvertretender Vorsitzender der Bundesfachgruppe Medien, Journalismus und Film. Foto: Stephanie von Becker

Im Gespräch mit M berichtet er, stärkere Mitspracherechte erhalten die Gremien, wenn darüber entschieden wird, welche Programme, die nicht ausdrücklich zum öffentlich-rechtlichen Auftrag gehören, künftig noch bestehen bleiben sollen. Die Entscheidungen seien schwierig – etwa wenn es darum geht, ob Unterhaltungssendungen wie die Florian-Silbereisen-Shows „einem öffentlich-rechtlichen Profil entsprechen“: „Ist das noch Kunst oder kann das weg?“ Sendungen wie die Seifenoper „Rote Rosen“ brauche er persönlich auch nicht, aber die Zielgruppe schaue die Serie nicht nur im analogen Programm, sondern auch die Abrufe in der Mediathek seien gut. Oder welchen Nutzwert hat es, Fußball-Länderspiele im Öffentlichen-Rechtlichen zu zeigen? Es gehe darum, mit nachvollziehbaren Qualitätsstandards zu argumentieren.

Bei der Kosten-Nutzen-Abwägung hatte der WDR-Rundfunkrat bisher auch schon ein Mitbestimmungsrecht, wenn die Produktionskosten zwei Millionen Euro übertrafen – etwa bei einigen Tatort-Folgen. Schwieriger sei es bei bestimmten Sportverträgen, bei denen aus Wettbewerbsgründen nur der Verwaltungsrat die genauen Bietersummen, etwa für Olympia-Übertragungen, kennt. In solchen Fällen müsse man der Expertise von Verwaltungsrat und Fachausschüssen vertrauen, so Freitag. Er selbst frage sich bei der Verteilung der Beitragseinnahmen allerdings auch, „ob wir männerbündischen und intransparenten Organisationen wie FIFA und IOC so viel Geld zuschustern müssen“.

Diskussionsfreudig und kritisch

Kritik am Rundfunkrat als „Abnick-Gremium“ teile er nicht, da die inhaltliche Arbeit vor allem in den drei Fachausschüssen laufe und das Plenum unter Zeitdruck eher geräuschlos arbeite. Die vielen neuen engagierten Kolleg*innen im aktuellen Rundfunkrat mit 55 Mitgliedern seien diskussionsfreudig und kritisch. Sie gehörten vor allem zur großen Gruppe der 42 „Grauen“, die nicht vom Landtag entsandt wurden. Sie wollen sich stärker einbringen und organisieren den Austausch untereinander. Damit „greifen sie dem neuen Gesetz vor“, das mit der Kompetenzausweitung auch höhere Anforderungen an die Gremien stellt und ihre Mitglieder stärker zu Fortbildungen verpflichtet – etwa in Workshops zur Arbeit der KEF, die den Finanzbedarf der Rundfunkanstalten ermittelt und durch Teilnahme an Kongressen wie re:publica oder den Medientagen Mitteldeutschland, die er selbst kürzlich besuchte.

Auf die Frage nach der Repräsentanz gesellschaftlich relevanter Gruppen im Rundfunkrat verweist Peter Freitag auf die vorgeschriebene Geschlechterparität, die Entsendeorganisationen könnten durch Benennung ihrer Vertretungen aber zu noch mehr Diversität beitragen. Wer einen Sitz im Rundfunkrat erhält, wird im WDR-Gesetz festgelegt. Der Gewerkschafter bedauert, dass bei der Änderung 2021 der Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS) in ver.di gestrichen wurde.

Die aktuelle Diskussion, Rundfunkratsmitglieder in einer basisdemokratischen Wahl zu bestimmen, findet Freitag allerdings „schwierig“. Auch netzpolitik.net-Chefredakteur Helmut Hartung hält das Grundprinzip, den staatsfernen, gebührenfinanzierten Rundfunk durch ehrenamtliche Gremien zu beaufsichtigen, „weiterhin für richtig und verfassungsgemäß. Zuschauerräte oder Bürgerräte, wie von manchem stattdessen gefordert, würden weder höhere Kompetenz noch mehr Unabhängigkeit bedeuten.“ Wichtig für die ehrenamtlichen Rundfunkrät*innen, die wie Redakteur Peter Freitag erwerbstätig sind, ist die Unterstützung durch das Gremienbüro. „Wir haben dort gute Referent*innen, aber die arbeiten bis zum Anschlag. Deshalb brauchen wir für eine bessere Zuarbeit einen Stellenzuwachs“, meint er.

Luft nach oben für Transparenz

In Sachen Transparenz gehörte der WDR-Rundfunkrat bereits nach einem DGB-Gutachten von 2019 zu den Vorreitern. Doch Freitag sieht da noch Luft nach oben. So ist es für ihn unverständlich, dass stellvertretende Rundfunkratsmitglieder nicht als Gäste an den Sitzungen der Fachausschüsse teilnehmen können. Auch wünscht er sich, dass mehr Bürger*innen die Möglichkeit nutzen, öffentliche Rundfunkratssitzungen zu besuchen. Leider kämen nur wenige Menschen – vor allem Gruppen aus Unis, Journalist*innen und stellvertretende Rundfunkratsmitglieder. Freitag meint, vielleicht sei man zu Köln-zentriert und dürfe Kosten und Organisationsaufwand nicht scheuen, auch mal in anderen Städten zu tagen.

In der Öffentlichkeit gebe es allerdings „falsche Vorstellungen über die Programmaufsichtsfunktion des Rundfunkrats“. „Wir üben eine nachgelagerte Kontrolle aus und fragen, ob die Programm- bzw. Qualitätsrichtlinien eingehalten wurden“, so Freitag. Als Journalist findet er eine Mitsprache im Vorfeld gefährlich: „Ich möchte keiner Redaktion Vorschriften machen!“ Von Führungskräften erwarte er als Gewerkschafter, dass sie sich hinter ihre Mitarbeitenden stellen und nicht voreilig mit Entschuldigungen auf Programmbeschwerden reagieren. Wahl und Abberufung des Top-Personals bleibe das „schärfste Schwert“ des Rundfunkrats.

Peter Freitag arbeitet als Redakteur bei der Rheinischen Redaktionsgemeinschaft. In ver.di ist er stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) und stellvertretender Vorsitzender der Bundesfachgruppe Medien, Journalismus und Film.

 

 

 

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