Rechtsextreme Websites: Sperren oder entlarven?
Sind sie ein Angriff auf die demokratische Struktur des Internets oder notwendig, um vor allem Kinder und Jugendliche zu schützen? Internetfilter gegen rechtsextreme Seiten werden heiß diskutiert. In NRW sind betroffene Provider vors Gericht gezogen, bisher ohne Erfolg.
Rechtsextreme Seiten im Internet sind ein Ärgernis. Doch wie damit umgehen? An dieser Frage scheiden sich die Geister. Der Düsseldorfer Regierungspräsident Jürgen Büssow hatte bereits vor drei Jahren 76 Web-Provider – Unternehmen, die für Nutzer Zugang zum Netz bieten – angewiesen, zwei neonazistische Internetseiten aus den USA zu sperren, darunter ›stormfront.org‹, ein bei Rechtsextremen beliebtes Forum. Büssow war damals zuständig für die Regulierung des Internets in ganz Nordrhein-Westfalen.
60 Provider folgten der Anweisung, 16 allerdings reichten Klage vor Verwaltungsgerichten ein. Vor zwei Jahren ging mit Inkrafttreten des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages die Zuständigkeit zur Überwachung rechtsextremer Internetangebote auf die Landesmedienanstalten über. Die ersten drei Verfahren im Dezember 2004 und im März 2005, nun gegen die Landesanstalt für Medien in Nordrhein-Westfalen, gingen für die ausschließlich regional agierenden Zugangs-Anbieter verloren. Die Gerichte beschlossen, es handele sich um Internet-Seiten, bei denen die „redaktionelle Gestaltung zur Meinungsbildung“ im Vordergrund steht. Folglich würden sie unter den Mediendienststaatsvertrag fallen. Und da sie strafrechtlich zu beanstanden seien, unter anderem durch die Darstellung von Hakenkreuzen, müssten die Provider den Zugang zu den Seiten sperren.
Die klagenden Provider hielten dagegen, dass die Seiten sich nur mit Aufwand und Kosten sperren ließen, und dann auch nur ohne Garantie, dass sie tatsächlich nicht mehr aufgerufen werden können. Aus ihrer Sicht liegt ein Eingriff in die Gewerbefreiheit vor, wohl auch deshalb, weil die große Konkurrenz – T-Online und AOL beispielsweise – nichts sperrt.
Rechtsextreme Seiten können von überall auf der Welt gehostet – also ins Netz gebracht – werden. In den meisten Staaten ist das nicht strafbar. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) verabschiedete zwar vor vier Jahren mit der Cyber-Crime-Konvention einen völkerrechtlich bindenden Vertrag, der eine jeweils nationale Strafrechtsgesetzgebung gegen Datennetzkriminalität anstrebt. Doch das Zusatzprotokoll – das den Kampf gegen rassistisches und antisemitisches Gedankengut in den Mittelpunkt stellt – ist erst von 23 europäischen Staaten unterzeichnet. Die USA streuben sich bis heute, weil ein Verbot rechtsextremer Seiten nicht mit dem Recht auf Meinungsfreiheit vereinbar sei.
So werden viele rechtsextreme Seiten in Deutschland produziert und dann über einen Hosting-Provider in den USA ins Netz gespielt. Zählten Verfassungsschützer 1998 ganze 156 Homepages, die von deutschen Rechtsextremen betrieben wurden, explodierte die Zahl in den folgenden Jahren: Zur Zeit sind es rund 1.000. Das Simon-Wiesenthal-Center sieht circa 4.000 sogenannte Hate-Pages weltweit online. Experten sind sich einig, dass es ein Internet ohne rechtsextreme Seiten nicht geben wird. Dies liegt an dessen netzartiger Grundstruktur. Für die großen Internetanbieter seien Sperrungen auf Grund ihrer globalen Struktur technisch schwieriger umzusetzen, weiß Alvar Freude von Odem.org, einer Internetplattform für Menschen- und Bürgerrechte im digitalen Zeitalter. „Mit viel Geld ginge aber auch das“, ist er sich sicher. Doch dann sei „das Netz nicht mehr zu gebrauchen“.
Wer von sperren spricht, meint auch Filter. Die sollen den Zugriff auf Webseiten und Newsgroups verhindern. Netzseiten, deren Web-Adresse in einer Datenbank hinterlegt ist, sind dann nicht mehr erreichbar. Staatliche Stellen oder Privatfirmen legen Negativ-Listen an, die Provider sorgen dann für die Sperrung der Seiten. Der Nutzer wird entweder auf eine andere Seite umgeleitet oder er sieht eine Fehleranzeige, beispielsweise „404 error“. Eine zweite Filtermethode arbeitet mit Schlüsselwörtern. Sind diese in der beim Provider angelegten Datenbank enthalten, bleibt die Seite unaufrufbar, weil sie während des Ladevorgangs analysiert und gesperrt wird.
Eine dritte Möglichkeit sind sogenannte White-Lists, die schärfste Form des Filterns: Dann sind nur noch die Netzseiten aufrufbar, die explizit als korrekt gekennzeichnet wurden. Dies geschieht beispielsweise im Privatbereich, wenn Eltern mittels entsprechender Software ihren Kindern nur einige von ihnen ausgewählte Seiten zur Verfügung stellen.
Die Anbieter von Filtern kämpfen mit enormen technischen Problemen. Web-Adressen können sich schnell ändern, Schlüsselwörter und Texte in Dokumenten sind nicht immer eindeutig: So wurde im vergangenen Jahr eine NPD-Seite zum damals angestrebten NPD-Verbotsverfahren von dem Filter, der in Schulen Baden-Württembergs eingesetzt wird, als Bildung eingestuft und folglich freigegeben. Hinzu kommt, dass viele Seiten auch über Links zu erreichen sind. Ist erst einmal eine Naziseite gefunden, lassen sich über diesen Weg andere erreichen.
Die Frontlinie der Befürworter und Gegner geht dabei quer durch die politischen Parteien: Während in Baden-Württemberg nach einem Erlass der CDU/FDP- Regierung in Schulen Filter eingesetzt werden können, scheiterte in Berlin im vergangenen Jahr ein Versuch der CDU-Fraktion an den Stimmen von SPD, PDS und Grünen, für dortige Schulen ein umfassendes Filtersystem aufzubauen. Aber auch innerhalb der SPD und der Gewerkschaften finden sich beide Position wieder.
Es sind jedoch nicht allein technische Schwierigkeiten, die den Einsatz von Filtertechniken umstritten machen. Für Alvar Freude von Odem.org geht es um nichts Geringeres als die Zukunft eines freien Kommunikationsnetzes. Für ihn sind Filter der Anfang vom Ende: Ein Blick nach China oder Saudi-Arabien genüge, um zu sehen, wie ein kontrolliertes Netz aussieht. Er kämpft für den freien Rezipienten, der selbst entscheidet, zu welchen Inhalten der Weg im Internet führt. Providerseitige Filtersysteme seien „unangemessene Eingriffe in das Grundrecht auf Informationsfreiheit“. Nach Artikel 5 des Grundgesetzes habe jeder das Recht, sich „aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten“. Seien hierzulande erst einmal die ersten Sperrungen durchgesetzt, würden weitere Interessengruppen folgen, sagt Freude und denkt dabei auch an das Caroline-Urteil des europäischen Gerichtshofs. Er vergleicht Internetfilter mit einem „Feindsenderverbot“ und spricht davon, dass Filter auch die Arbeit von Journalisten behindern.
Medienkompetenz vermitteln
Werner Schattert, Mitarbeiter im Projekt Rechtsextremismus bei Jugendschutz. net, spricht sich nicht grundsätzlich gegen den Einsatz von Filtern aus. Er weiß aber um deren Fehleranfälligkeit. Jugenschutz. net durchwühlt im Auftrag der Bundesländer das Netz unter anderem auf rechtsextreme Seiten hin. Die Organisation setzt dabei auf eine Zwei-Säulen-Strategie: Zum einen den Zugang zu gefährdenden Inhalten zu erschweren und zum anderen auf die Vermittlung von Medienkompetenz bei den Seiten, „die nicht geschlossen werden können“, sagt Schattert. Wobei Jugendschutz.net durchaus erfolgreich ist: Allein 2004 wurden auf Betreiben des Projekts über 200 rechtsextreme Angebote im In- und Ausland dichtgemacht.
Nicht Filter sondern Medienkompetenz ist für Monika Witsch von der Universität Bielefeld das Zauberwort. Sie beschäftigt sich seit Jahren mit rechtsextremen Inhalten im Netz. Für Witsch sind Filtersysteme Ausdruck eines Erziehungsideals, welches auf Überwachung und Kontrolle setzt, auf Tabuisierung statt Bildung: „Es entsteht die Suggestion, in einer sauberen, virtuellen Welt zu sein“. Doch die rechtsextremen Seiten – und mithin auch die Rechtsextremen – existieren weiter. Jugendliche sollten sich bewusst mit den Seiten auseinander setzen. Sie sollen geschult werden, die Seiten zu dekodieren, sagt sie. Der Einsatz von Filtersoftware könne den Rechtsextremismus nicht effektiv bekämpfen, stattdessen sei er ein Kampf gegen das Internet und seine demokratische Struktur.