Gegen verkürzte Tagesschichten

Norddeutscher Rundfunk: Mehreinnahmen zum Auffüllen der Honorartöpfe nutzen

„Meinen Kindern kann ich nur davon abraten, den Beruf des Journalisten zu ergreifen“, stellt Thomas Martin nüchtern fest. Der ver.di-Vorsitzende beim Norddeutschen Rundfunk (NDR) weiß von verdienten Wirtschaftsschreibern zu berichten, die im Sender einen Volontariatsvertrag unterzeichnen, nur um zwei Jahre später wieder als Freie auf dem Markt zu landen. Und der ist hart umkämpft.


„Der NDR zahlt immer seltener den hart errungenen Stücklohn, holt die Freien zu Stundenlöhnen von 20 Euro in den Innendienst“, sagt Martin. Künftig will der Sender sie nicht mehr für ganze Tagesschichten buchen, sondern nach oft nur drei bis vier Stunden Arbeit mit 60 bis 80 Euro Gesamtverdienst nach Hause schicken. Auf Stundenbasis kosten freie Mitarbeiter ohnehin nur halb so viel wie Festangestellte mit durchschnittlich 5.000 Euro monatlich plus Sozialversicherung.
Die Gewerkschafter beim Rundfunk wollen dagegenhalten – ein schwieriges Unterfangen angesichts der riesigen Konkurrenz unter den Kollegen. Druck ausüben können vor allem die angestellten Journalisten, mit denen Thomas Martin vor einem Jahr auf der ARD-Intendantenklausur in Berlin gemeinsam protestiert hat. ver.di verlangt gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Und wer in den Sender geholt wird, soll weiterhin für einen vollen Tag bezahlt werden.
Einen kleinen Erfolg konnten zum Jahreswechsel die niedersächsischen Freien vermelden. Das Landesfunkhaus in Hannover wollte die Tagesschichten von acht auf sechs Stunden reduzieren und den Verdienst um ein Viertel kürzen, doch die Kollegen machten nicht mit. Dass die Redaktionen Listen auslegen, in die sich Freie zum Innendienst eintragen können, kann ver.di-Mann Martin keinem verdenken, denn das Personal wird knapp. Rund 800 feste Stellen wurden nach seinen Angaben in den letzten zehn Jahren im NDR abgebaut, einer Rundfunkanstalt, deren Gebiet „von der polnischen über die dänische bis an die niederländische Grenze reicht“. Im Januar kamen schließlich über 50 NDR-Freie zu einer ver.di-Versammlung in Hamburg zusammen und debattierten über die vom Sender geplanten Tarifänderungen. In einer Resolution forderten sie den NDR-Intendanten und ARD-Vorsitzenden Lutz Marmor sowie die verantwortlichen Landespolitiker auf, mit den Mehreinnahmen aus dem Rundfunkbeitrag die Töpfe für freie Mitarbeiter aufzufüllen. Diese Forderung wird inzwischen von der Tarifkommission aller ver.di-Betriebsgruppen im öffentlichen Rundfunk mitgetragen. Eine Veränderung des Tarifvertrags hin zu reinen Stundenlöhnen lehnen die Freien ab. Gleichzeitig wehren sich die Festangestellten gegen die Forderung der Öffentlichen, Betriebsrenten künftig nur noch um ein Prozent jährlich zu steigern und nicht entsprechend der Gehalts- und Honorarerhöhungen. Nun steht die Frage im Raum: War das dreiprozentige Plus von Gehalt, Honorar und Rente im Jahr 2013 etwa der Anfang vom Ende?
Erfahrungsgemäß hängt der Ausgang des Streits von der Mobilisierung der Mitglieder ab. Es geht aber nicht um eine der üblichen und eingeübten Tarifbewegungen. Genau genommen eskaliert der Konflikt außerhalb des tariflichen Rahmens. Wie viel eine Nachricht, eine Moderation, ein Teaser kosten, ist genauestens festgelegt und wird zwischen Sender und Gewerkschaft immer wieder neu verhandelt. Innendienste, die den Job eines Redakteurs ersetzen, sind vertraglich bis heute noch gar nicht geregelt. Weil feste Stellen schwinden, werden solche Dienste immer häufiger vergeben und die Freien sind auf das zusätzliche Einkommen angewiesen. Der NDR begründet seine Forderung nach Stundensätzen damit, dass es besonders im Hörfunk keine festgelegte Schichtdauer gebe. Die Etats für Außeneinsätze steigen dagegen seit Jahren nicht mehr, selbst Tariferhöhungen werden nicht berücksichtigt. Das bedeutet weniger Reporter und weniger Programm, weniger Eigenbeiträge mit guter Bezahlung und mehr Agenturmaterial.
Die große Lösung – höhere Budgets für freie Mitarbeit – ist allerdings noch weit entfernt. Also will sich ver.di den Realitäten stellen und Tagesschichten womöglich doch vertraglich regeln. Dann aber mit 7,7 Stunden und nicht weniger, dann auch zu den Kosten für einen Festangestellten, die Thomas Martin auf 35 Euro pro Stunde plus 30 Prozent Sozialabgaben beziffert. Eher entmutigend ist dabei, was der NDR Mitte Mai bekannt gab: der Norddeutsche Rundfunk müsse 2015 und 2016 rund 37 Millionen Euro aus seinem Etat streichen. Grund dafür sei, dass die Mehreinnahmen aus dem neuen Rundfunkbeitrag erst 2016 ausgegeben werden dürften. Zudem habe die Finanzkommission KEF weniger Mittel für die ARD-Anstalten freigegeben als beantragt wurden. Man werde den Personalabbau bis 2016 zwar nicht verschärfen, aber unbeirrt fortsetzen. Verwaltungsratschef Ulf Birch: „Die Finanzlage des NDR bleibt schwierig.“ Nach mehr Geld für die Freien klingt das nicht.

 

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