Gespür für guten Dokfilm-Stoff

Neuer Besucherrekord beim Internationalen DOK-Festival in Leipzig

Die Bilanz des 54. Internationalen Leipziger Festivals für Dokumentar- und Animationsfilm (DOK) kann sich sehen lassen: 37.000 Besucher strömten vom 17. bis 23. Oktober in die Festivalkinos – das ist ein erneuter Rekord bei den seit sieben Jahren kontinuierlich ansteigenden Zuschauerzahlen. Hohe Programmqualität, produktive Branchenangebote, innovative Veranstaltungsformate, die erfolgreiche Einführung einer Training-Plattform und über 1.400 akkreditierte Fachbesucher machten die 54. Auflage zum bisher erfolgreichsten Jahrgang des ältesten Dokumentarfilm-Festivals der Welt.


Am Puls der Zeit, politisch und kritisch zu sein, ist der Anspruch des Festivals. Dies spiegelte sich in allen Programmen wider. So wurden z.B. im Rahmen des Arabischen Fokus im Internationalen Programm gerade fertig gestellte Filme aus Ägypten und Tunesien gezeigt. Im Internationalen Wettbewerb wurden u.a. die unmenschlichen Arbeitsbedingungen in China, der Krieg in Gaza oder der Alltag in einem Abschiebegefängnis in Genf thematisiert. Hochbrisant auch der deutsche Wettbewerbsbeitrag „Work hard – play hard“, der später u.a. mit dem „Healthy Workplaces Award“ ausgezeichnet wurde: Carmen Lossmann zeigt in eiskalt arrangierten Kameraeinstellungen, wie alles Menschliche aus heutigen Arbeitswelten verbannt und das Leistungsvermögen der „Human Ressources“ per Architektur, Management und Manipulation „optimiert“ wird, wie aus „Talenteinschätzungen“ und persönlichsten Informationen „Beschäftigtenprofile“ in den Computern von Firmen entstehen und gespeichert werden. Ein entlarvender, wichtiger Film, der sicher in den nächsten Monaten in deutschen Kinos zu sehen sein wird.

ver.di-Preisträger doppelt gekrönt

Dennoch war sich die ver.di-Jury bei der Wahl ihres Preisträgerfilms aus den 12 Beiträgen des Internationalen Wettbewerbs in diesem Jahr schnell einig: Der Debütfilm der mexikanisch-salvadorianischen Regisseurin Tatiana Huezo „El lugar más pequeno/the tiniest place“ („Der winzigste Ort“) war für sie der eindrücklichste. Der Film porträtiert Einwohner von Cinquera in El Salvador. Das kleine Dorf war während des Bürgerkrieges von 1979 bis 1992 dem Erdboden gleich gemacht worden, weil es als Guerilla-Hochburg im Kampf gegen das Militärregime galt. Der Film zeigt, wie die zurückgekehrten Überlebenden versuchen, aus dem Nichts ein neues Leben aufzubauen. Parallel zu atemberaubenden Kamerabildern, die vor allem die idyllische Natur und den Alltag der Dorfbewohner zeigen, läuft eine separate Tonspur mit Interviews, in denen die Protagonisten sich an die schrecklichen Ereignisse erinnern. Eine Technik, die im ersten Drittel des Films für Irritation sorgt, um dann den Zuschauer umso stärker zu treffen. Die kurze Begründung der Jury bei der Verleihung des mit 2.500 Euro dotierten ver.di-Preises: „Dieser Film entwickelt sich behutsam, aber mit emotionaler Wucht. Er entfaltet sich zu einem leisen Requiem, in dem sich die Helden des Filmes mit Trauer, aber ohne jede Aggression, erinnern – und leidenschaftliche Freude am Leben ausstrahlen. Unbeschreibliches wird durch kluges Verweben von Bild und Ton erfahrbar gemacht.“
Der Beweis für das untrügliche Gespür der ver.di-Jury für guten DOK-Stoff: Tatiana Huezos Film wurde auch mit dem Hauptpreis der DOK Leipzig, der Goldenen Taube, ausgezeichnet.
Die 55. Ausgabe von DOK Leipzig findet vom 29. Oktober bis 4. November 2012 statt. Der Länderschwerpunkt wird sich mit Filmen aus Lateinamerika beschäftigen; in der Retrospektive sollen 23 Dokumentar- und 13 Animationsfilme des deutsch-russischen Filmstudios „Meschrabpom“, die zwischen 1922 und 1936 entstandenen sind, präsentiert werden.

Bela

Die wichtigsten Preisträger

Goldene Taube der Internationalen Jury: „El lugar más pequeno“ (The Tiniest Place) von Tatiana Huezo (Mexiko); Silberne Taube der Internationalen Jury: „Argentynska lekcja“ (Argentinean Lesson) von Wojciech Staron (Polen);
Goldene Taube der Deutschen Jury: „Louisa“ von Katharina Pethke (Deutschland); Talent-Taube der Internationalen Jury: „Hatzalmania“ (Life in Stills) von Tamar Tal (Israel);
Goldene Taube der Internationalen Jury für Animationsfilm: „The Making of Longbird“ von Will Anderson (Großbritannien); Silberne Taube der Internationalen Jury für Animationsfilm: „Blue Red“ von Daniela Krajcová (Slowakei);
Preis Leipziger Ring der Stiftung Friedliche Revolution: „Fragments of a Revolution“ von anonymus (Frankreich); Healthy Workplaces Film Award: „Work Hard – Play Hard“ von Carmen Losmann (Deutschland); Stipendium der DEFA-Stiftung: „Generation Kunduz – Der Krieg der Anderen“ von Martin Gerner (Deutschland); Filmpreis des MDR für den besten osteuropäischen Film: „Ja zabudu etot den’“ (I Will Forget This Day) von Alina Rudnickaja (Russische Föderation).

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »

KI beinflusst Vielfalt in den Medien

Künstliche Intelligenz kann journalistische Texte in verschiedene Sprachen übersetzen und damit viel mehr Nutzer*innen ansprechen. Gleichzeitig kann sie aber auch Stereotype, die in diesen Texten enthalten sind, verfestigen. Gefahren und Chancen von KI-Anwendungen im Journalismus standen im Fokus der diesjährigen NxMedienkonferenz der Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM), die sich für mehr Vielfalt in den Medien einsetzen.
mehr »

ARD & ZDF legen Verfassungsbeschwerde ein

Nachdem die Ministerpräsident*innen auf ihrer Jahreskonferenz Ende Oktober keinen Beschluss zur Anpassung des Rundfunkbeitrags ab 2025 fassten, haben heute ARD und ZDF Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingelegt. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di begrüßt die Initiative.
mehr »

AfD als Social Media Partei überschätzt

Eng vernetzt mit dem extrem- und neurechten Vorfeld und gezielt provozierend mit rassistischem Content: Die Landtagswahlkämpfe der AfD in Sachsen, Thüringen und Brandenburg waren von einer hohen Mobilisierung geprägt, auch über die sozialen Medien. Eine aktuelle Studie der Otto Brenner Stiftung (OBS) in Frankfurt am Main zeigt nun aber: die Auftritte der AfD auf Social Media sind weit weniger professionell als zuletzt häufig kolportiert und es gibt deutliche regionale Unterschiede.
mehr »