Heimat und Brauchtum

Die Presse der Vertriebenenverbände

Es weht ein wenig der Hauch des Alten und Überkommenen, wenn in diesem Jahr zahlreiche Publikationen der Vertriebenenverbände ihren fünfzigsten Geburtstag feiern. Unweigerlich denkt man an Trachten oder Heimatbräuche, während eine gesellschaftlich weit reichende Relevanz dieser Medien unvorstellbar scheint. Mit den Presseerzeugnissen der Vertriebenenverbände verknüpft man ein Bild, das Heinz Halbach in seiner in den sechziger Jahren an der Fakultät für Journalistik der Universität Leipzig eingereichten Dissertation über die Vertriebenenpresse als „stupide Eintönigkeit des Inhalts“ beschrieben hat. Ein solcher Eindruck mag bei kritisch eingestellten Menschen durchaus bei der Lektüre einiger der Vertriebenenpublikationen entstehen. Doch diese eher abschätzige Wertung verkennt die Wirkungsmächtigkeit des als stupid ausgemachten Inhalts. Sie verkennt die Bedeutung der, wie der Soziologe Lutz Hoffmann es nennt, „völkischen Droge“.

Vom Kleinstauflagen- Heimatblatt…

Es gibt im wesentlichen zwei Varianten von Vertriebenenpublikationen. Diese Unterscheidung geht auf die Geschichte der Vertriebenenverbände zurück, bei der zwei verschiedene Organisationsformen in einem gemeinsamen Dachverband zusammengefasst wurden:

einerseits die sozialpolitisch-integrativ ausgerichteten Landesverbände, andererseits die landsmannschaftlichen Gruppen mit explizit außenpolitischer Ausrichtung. Der heutige Gesamtdachverband, der Bund der Vertriebenen (BdV), führt seine zweigliedrige Verbandsstruktur auch auf der einen Seite auf die „landsmannschaftliche Verwurzelung in einem bestimmten Vertreibungsgebiet“ und auf der anderen Seite auf den „Wohnort im Aufnahmegebiet“ zurück. Die Verbindung „zwischen herkunftsbezogener und aufenthaltsbezogener Organisationsform“ prägt das Bild des Verbandes auf allen Ebenen. So auch bei den Publikationserzeugnissen.

Die Grundlage für die rege Publizistik der Vertriebenenverbände bildeten die nach Ende des Zweiten Weltkrieges verbreiteten Rundschreiben, die hauptsächlich Anschriftenverzeichnisse enthielten. Aus ihnen entwickelten sich die Blätter der Heimatkreisgemeinschaften. Diese bilden neben den regionalen BdV-Gruppen bis heute die Basis der Vertriebenenverbände. Und während die regelmäßigen Schriften der so genannten aufenthaltsbezogenen Organisationsformen des BdV (die der Landes- oder Kreisverbände) vor allem organisationsspezifische, ökonomische und juristische Themen aufgreifen, setzen sich die Publikationserzeugnisse der herkunftsbezogenen Heimatkreisgemeinschaften verstärkt mit Fragen des Volks- und Brauchtums auseinander. Gegenwärtig erscheinen regelmäßig Hunderte von Heimatbriefen, Heimatblättern, Heimatzeitungen und sonstigen Heimatschriften, die nach den Regionen der ehemaligen Wohnorte strukturiert sind. Die Aufgabe dieser jeweils mit Kleinstauflagen verbreiteten Zeitungen besteht darin, die Heimatideologie der Vertriebenenverbände zu begründen, zu rechtfertigen und gleichzeitig zu verklären.

…bis zur auflagengeprüften Wochenzeitung

Neben diesen basisnahen Heimatblättern existieren die Publikationen der Landsmannschaften und die der Landesverbände. Da die thematische Differenzierung zwischen aufenthalts- und herkunftsbezogenen Verbänden analog zur Basis der Vertriebenenverbände auch auf dieser Ebene gilt, stellt sich hier eine andere Frage: die nach dem gesellschaftlichen Einfluss der Vertriebenenverbände.

Als einzige der zahlreichen Publikationen hat das „Ostpreußenblatt“ den Sprung von einem reinen Vertriebenenblatt zu einer Zeitung mit allgemeinpolitischem Anspruch geschafft. Und das bei einer nach wie vor für eine Publikation aus diesem Spektrum ho-hen Auflage (über 40.000 wöchentlich; IVW geprüft). Im Unterschied zum „Ostpreußenblatt“ bleibt die Berichterstattung der „Sudetendeutschen Zeitung“ (etwa 10.000 wöchentlich) oder die der „Schlesischen Nachrichten“ (etwa 6.000 zweiwöchentlich) – der zwei anderen bedeutenden Blätter – im Wesentlichen auf Verbandsarbeit und Stellungnahmen zu konkreten, ihre Organisationen betreffenden Fragen beschränkt.

Schritt ins Internet

Das „Ostpreußenblatt“ ist bereits Ende 1997 einen wichtigen Schritt im Hinblick auf eine Erweiterung seines Interessentenkreises gegangen. Durch die Inbetriebnahme einer eigenen Homepage im Internet wird die Wochenzeitung einem größeren Publikum vorgestellt und kann damit breitere Marktsegmente erschließen als zuvor. Den Anspruch auf eine Vorreiterrolle der Zeitung im Vertriebenenspektrum unterstrich man im November 1997 dadurch, dass das „Ostpreußenblatt“ mit dem Aufbau eines „Preußischen Mediendienstes“ begann, dessen Betreuung der rechte Verlag Siegfried Bublies übernahm. Der Mediendienst soll für die Wochenzeitung Literatur und Videos zu Politik, Geschichte und Kultur vertreiben. Er dient dabei nicht nur als zusätzliche Einnahmequelle, sondern ermöglicht es den Leserinnen und Lesern auch, Literaturtipps wie dazugehörende Literatur aus ein und der selben Quelle beziehen zu können und somit vom „Ostpreußenblatt“ gleich auf zwei Weisen mit den erwünschten Informationen versorgt zu werden.

Inhaltlich geht das „bedeutendste publizistische Organ der Vertriebenen in der Bundesrepublik Deutschland“, wie der konservative Politiker Alfred Dregger es einmal bezeichnete, weit über die Vertriebenenthematik hinaus. Denn in den letzten Jahren hat das Blatt die Berichterstattung über allgemeinpolitische Fragen immens ausgeweitet und gleichzeitig das Gewicht der reinen Heimatseiten verringert. Diese Veränderung fand aber nicht nur im politischen Bereich statt, sondern auch im kulturellen, denn seit Mitte 1997 existiert in der Zeitung auch ein Feuilleton mit überregionalem Anspruch. Deshalb kann das „Ostpreußenblatt“ inzwischen auch mit anderen allgemeinpolitisch orientierten Blättern der rechten Szene konkurrieren. Etwa mit der rechtsextremen Wochenzeitung Junge Freiheit, von der im Laufe der letzten Jahre auch einige Mitarbeiter zum „Ostpreußenblatt“ wechselten. Was das Autorenspektrum angeht, so kommen im „Ostpreußenblatt“ regelmäßig Vertreter des politischen Spektrums zwischen Konservatismus, Nationalliberalismus und intellektuellem Rechtsextremismus zu Wort.

Ob diese Entwicklungen bereits Garant für steigenden gesellschaftlichen Einfluss der Vertriebenenpublikationen sind, ist noch offen. Die Veränderungen beim „Ostpreußenblatt“ deuten aber auf die Bestrebung der Vertriebenenverbände hin, ihre Partikularinteressen den allgemeinpolitischen und gesellschaftlichen Vorstellungen – zumindest in konservativen bis rechtsextremen Kreisen – weiter anzupassen. Und das wäre der zentrale Angelpunkt, analysierte Hans-Jürgen Gaida bereits vor mehr als zwanzig Jahren in seiner politikwissenschaftlichen Studie über die Vertriebenenpresse, der die gesellschaftliche Resonanz auf die völkische Ideologie der Vertriebenenverbände erhöhen könnte.


  • Samuel Salzborn ist freier Journalist und Autor von:
    Grenzenlose Heimat.
    Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Vertriebenenverbände,

    Elefanten Press Verlag,
    Berlin 2000,
    222 Seiten, 29,90 Mark.
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