Im Schatten großer Männer

Weltweite Medienbeobachtung 2010: Frauen in den Nachrichten – Bescheidene Fortschritte / Backlash in Deutschland

„Obwohl Frauen wie Angela Merkel in Deutschland, Michelle Bachelet in Chile oder Cristina Fernandez in Argentinien politische Spitzenämter errungen haben, werden sie in den Medien immer noch im Schatten ,großer Männer’ präsentiert.“ Das sind ernüchternde Erkenntnisse aus dem Abschlussbericht des Global-Media-Monitoring-Projects GMMP, der am 29. September in Toronto vorgelegt wurde.

Diese einzige weltweite Medienbeobachtungs- und Lobbying-Initiative, die 1995 nach der Pekinger Weltfrauenkonferenz entstand, liefert im Fünfjahresrhythmus harte Daten zu Frauen in den Nachrichten und leuchtet das Zahlenwerk intensiv aus. Am Stichtag 10. November 2009 ermittelten Freiwilligengruppen in 108 Ländern zum vierten Mal, wie häufig die beiden Geschlechter in Presse, Radio, Fernsehen und Internet vorkommen, wie sie dargestellt werden und wer diese Bilder produziert. Ergebnis: Nur 24 Prozent der Menschen in den Nachrichten sind weiblich. Gegenüber 1995, als Frauen nur auf 17 Prozent kamen, seien das „bescheidene Fortschritte“, so die Koordinatorinnen des Medienbeobachtungsprojekts.
Die Ergebnisse für Deutschland liegen mit einem Anstieg von 15 auf 21 Prozent sogar unter dem internationalen Schnitt. „Erschreckend“ kommentiert Birgitta M. Schulte vom Journalistinnenbund, der wiederum die Federführung bei der Datenerhebung in Deutschland hatte. Deutschland schneidet auch schlecht ab, wenn es darum geht, wie Frauen dargestellt werden. So präsentiert Bild online Antonia von Weizsäcker anlässlich ihres Schauspieldebüts im ZDF-„Traumschiff“ als Enkelin des ehemaligen Bundespräsidenten und „Deutschlands schönen Promi-Nachwuchs“. Im Kampf gegen Geschlechterklischees hat Lateinamerika die Nase vorn: Nur 30 Prozent der Beiträge verstärken Stereotype, 13 Prozent brechen sie auf. Zum Vergleich: In Europa ist das Verhältnis 46 zu 4 und in Deutschland sogar 9 zu 1.
Während der Anteil der Reporterinnen unter den Medienschaffenden weltweit von 28 auf 37 Prozent steigt, erreichen sie in Deutschland nur 31 Prozent. Zudem drängen in den letzten Jahren zumeist junge Frauen in den Beruf, die z.B. mit gendergerechter Sprache wenig anfangen können. Stereotype Darstellungen, nach denen Frauen als Enkelin, Mutter oder Partnerin eines Mannes identifiziert werden, sind in Deutschland zwar nur noch halb so häufig wie international, gehen aber erstaunlicherweise überwiegend auf das Konto von Journalistinnen. Anpassungsbereit und hoch qualifiziert erobern sie auch früher Männern vorbehaltene Ressorts wie Politik, Wirtschaft und Sport. Trotzdem liegen sie am GMMP-Stichtag mit nur 30 Prozent der Beiträge zu diesen Themen unterm internationalen Schnitt.
Wie kommen die vergleichsweise schlechten Ergebnisse für Deutschland zustande? Gibt es hier einen Rückschlag für Frauen in den Medien?
Mann würde zunächst sagen, die Stichtagsuntersuchung ist nur eine Momentaufnahme und die starke Unterrepräsentanz von Frauen rein zufällig. Unwahrscheinlich, denn der 10. November war – anders als im Rest der Welt – in der Bundesrepublik ein Tag, an dem vor allem Frauen im weltweit dominierenden Themenfeld Politik und Regierung für die Hauptschlagzeilen sorgten. So hielt Angela Merkel ihre Antrittsrede als wiedergewählte Bundeskanzlerin und am Vortag feierte sie mit RepräsentantInnen aus dem In- und Ausland den 20. Jahrestag des Mauerfalls – unter ihnen US-Außenministerin Hillary Clinton. Erika Steinbach, Vorsitzende des Vertriebenenverbandes, kam in der Debatte um die geplante Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ zu Wort. Trotzdem fallen nur 21 Prozent der namentlichen Nennungen in den Politik-Meldungen auf Frauen – einige Radionachrichten sind sogar ganz Frauen frei.

Mann könnte jetzt einwenden, die Zahlen sind wissenschaftlich nicht valide. Unwahrscheinlich, denn ein Forschungsprojekt „Spitzenfrauen“ an der Freien Universität Berlin kommt zu ähnlichen Befunden. Aus der Untersuchung zwischen Januar und September 2008 geht hervor, dass Frauen nur 20 Prozent der PolitikerInnen in den Medien ausmachen, beim politischen Spitzenpersonal wegen des „Merkel-Faktors“ aber auf 30 Prozent kommen. Allein 18 Prozent entfallen auf die Kanzlerin.
Mann würde dann erklären, normalerweise bekleideten Frauen selten hohe Ämter und solange es nicht mehr von ihnen gibt, könnten Medien auch nicht über sie berichten. Dieses Argument, das institutioneller Politik immer noch einen höheren Nachrichtenwert zuschreibt als Alltagshandeln, ist nicht stichhaltig, denn 2005, als es in Deutschland noch keine Bundeskanzlerin gab, fiel der Frauenanteil in den Nachrichten sogar ein Prozent höher aus. Bleibt Geschlecht als Nachrichtenfaktor, der in der journalistischen Praxis Frauen benachteiligt, obwohl das seit 2006 ein Antidiskriminierungsgesetz ahndet.
Mann würde protestieren, Nachrichtenfaktoren sind neutrale Kriterien für die Auswahl von berichtenswerten Ereignissen aus der komplexen Wirklichkeit. Stimmt nicht, denn nach den internationalen GMMP-Befunden sind Frauen in Nachrichten, die von Journalistinnen verfasst wurden, häufiger HandlungsträgerInnen und Geschlechterklischees werden doppelt so oft in Frage gestellt wie in den von Männern geschriebenen Texten. Dahinter stecken andere Lebenserfahrungen und Perspektiven.
Mann fragt jetzt, brauchen wir mehr Frauen in den Redaktionen, um vollständiger, professioneller, qualitativ und ethisch besser zu berichten? Ja, wir brauchen Geschlechtergerechtigkeit in den Redaktionen und im Nachrichteninhalt. Beides beeinflusst sich gegenseitig.
Mann versteht endlich, was das auf internationalem Parkett in Peking und New York immer wieder beschworene „Empowerment“ bedeutet: Ermächtigte Frauen, die aus dem Schatten großer Männer hervortreten!
P.S. Mit „Mann“ sind hier alle Personen – gleich welcher geschlechtlichen, kulturellen oder sonstigen Identität – gemeint, die keinen Handlungsbedarf sehen.
http://www.whomakesthenews.org/


Bärbel Röben

Dr. Bärbel Röben ist freie Journalistin und Medienwissenschaftlerin mit den Arbeitsschwerpunkten internationale und interkulturelle Kommunikation, Entwicklungspolitik, Frauen, Medien, Migration. Sie lebt in Attendorn im Sauerland.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Reformstaatsvertrag: Zweifel am Zeitplan

Der Medienrechtler Dieter Dörr bezweifelt, dass es den Bundesländern gelingt, sich gemäß ihrer Planungen bis Ende Oktober auf einen Reformstaatsvertrag zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu verständigen. Er halte „diesen Zeitplan, um es vorsichtig auszudrücken, für ausgesprochen optimistisch“, sagte Dörr auf M-Anfrage. Nach dem bisherigen Fahrplan sollte der Reformstaatsvertrag dann bei der Ministerpräsidentenkonferenz im Dezember 2024 unterzeichnet werden.
mehr »

Reform oder Abrissbirne im Hörfunk

Die Hängepartie um Finanzierung und Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) geht weiter. Nach wie vor sträuben sich ein halbes Dutzend Ministerpräsidenten, der Empfehlung der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) für eine Beitragserhöhung um 58 Cent auf 18,94 Euro zu folgen. Bis Oktober wollen die Länder einen Reformstaatsvertrag vorlegen, um künftig über Sparmaßnahmen Beitragsstabilität zu erreichen. Einzelne ARD-Sender streichen bereits jetzt schon ihre Hörfunkprogramme zusammen.
mehr »

Erneute Streiks bei NDR, WDR, BR, SWR 

Voraussichtlich bis Freitag werden Streiks in mehreren ARD-Sendern zu Programmänderungen, Ausfällen und einem deutlich veränderten Erscheinungsbild von Radio- und TV-Sendungen auch im Ersten Programm führen. Der Grund für den erneuten Streik bei den großen ARD-Rundfunkanstalten ist ein bereits im siebten Monat nach Ende des vorhergehenden Tarifabschlusses immer noch andauernder Tarifkonflikt.
mehr »

Schutz vor zu viel Stress im Job

Immer weiter, immer schneller, immer innovativer – um im digitalen Wandel mithalten zu können, müssen einzelne Journalist*innen wie auch ganze Medienhäuser sich scheinbar ständig neu erfinden, die Belastungsgrenzen höher setzen, die Effizienz steigern. Der zunehmende Anteil und auch Erfolg von KI-basierten Produkten und Angeboten ist dabei nur das letzte Glied in der Kette einer noch nicht abgeschlossenen Transformation, deren Ausgang vollkommen unklar ist.
mehr »