Ins Internet kann man keinen Fisch einpacken

Akademietagung zur „Zukunft der Tageszeitung“

Bleibt die Zeitung uns als Blatt erhalten oder werden elektronische Dienste im Internet die klassische Tageszeitung ersetzen?

Diese Frage wird zur Zeit bei vielen Diskussionsforen und Veranstaltungen gestellt, so auch bei der Tagung „Die Zukunft der Tageszeitung“, die die Evangelische Akademie Hofgeismar vom 10. bis 12. Mai in Zusammenarbeit mit dem Hessischen Journalistenverband (HJV) durchführte.

Fast alle Lokalzeitungen haben mit schwindenden Abonnentenzahlen zu kämpfen. Immer mehr junge Leute bevorzugen elektronische Informationsdienste und gehen der Zeitung damit möglicherweise als Kunden verloren. Wegen der Pressekonzentration werden 70% des Bundesgebietes von nur einer Monopolzeitung mit Lokal-Nachrichten versorgt. An die Stelle des Wettbewerbs der Tageszeitungen untereinander tritt die Konkurrenz mit Anzeigenblättern und elektronischen Medien.

„Auf manche Zeitung reagiere ich allergisch; allerdings nicht wegen ihrer Inhalte, sondern wegen der Druckerschwärze“, berichtete Sigi Lehmann. Die ehemalige Hörfunkmitarbeiterin in Kassel ist heute Leiterin des Uni-Funks in Tübingen. Ihr Plädoyer für die auf Papier gedruckte Zeitung als sinnliches Erlebnis war eine fast kabarettistische Darstellung verschiedener Lesertypen und Lesegewohnheiten. Die „Zeitung zum Anfassen“ werde das Internet nicht ersetzen können. „Ins Internet kann man keinen Fisch einpacken“, meinte Gerhard Prien, Freier Journalist aus Trier. Deshalb werden Online-Dienste die Tageszeitung nur durch weitergehende Angebote ergänzen. Für Mitte des kommenden Jahrzehnts werden schon zweistellige Milliardenumsätze im Internet erwartet.

Kompetenz für die Online-Redaktion

Dennoch beobachtet Prien eine geringe Professionalität der Zeitungsverlage bei der Einrichtung solcher Online-Angebote, die von vielen Redakteuren nebenbei – und oft mit wenig Sachkenntnis – aufgebaut werden. Als technisch gelungene Beispiele von Online-Publikationen nannte Prien die Koblenzer „Rhein-Zeitung“ und den „Spiegel“, die eigene Online-Redakteure beschäftigen. Der Vorteil des elektronischen Angebotes besteht in der direkten Antwortmöglichkeit der Leser, die dann aber auch von kompetenten Redaktionsmitarbeitern betreut werden müssen. So kann eine professionell arbeitende Online-Redaktion auch Themen und Stimmungen aufgreifen und für das Blatt verwerten. Je mehr Leser jedoch die schnelle Antwortmöglichkeit nutzen, um so höher wird der Personalaufwand für die Redaktion.

Neben aktuellen Veranstaltungshinweisen sollten Internet-Ausgaben nach Priens Ansicht auch speziell aufbereitete Texte enthalten. Im World Wide Web des Internets besteht beispielsweise die Möglichkeit, Begriffe als Hypertext zu markieren, wodurch ein Anklicken dieser Worte die Leser zu Hintergrundinformationen über den gewählten Begriff führt. Das erlaubt eine ganz andere Art des Lesens von Texten, erfordert aber auch eine andere Aufbereitung: im Gegensatz zu eindimensional verfaßten Zeitungsartikeln müssen solche Texte mit lexikalischen Zusatzinformationen für die markierten Begriffe unterlegt werden. Es entsteht ein mehrdimensionales Netz von Informationen, die teilweise auch aus unterschiedlichen Texten heraus abgerufen werden können.

Gegenmittel: Mehr Service

Mit mehr Service will Herbert Noll, Chefredakteur der „Oberhessischen Presse“ (OP) in Marburg, seine gedruckte Ausgabe für den Konkurrenzkampf mit elektronischen Diensten besser wappnen. Die Zeitung bemüht sich, „in Augenhöhe mit dem Leser“ zu bleiben und veranstaltet zum Gedankenaustausch mit ihren Abonnenten deshalb auch Leserforen und -stammtische.

Ihrer Zeitung will Christine Jüttner, Chefredakteurin des „Göttinger Tagblatts“ wieder zu einem klassischen Erscheinungsbild mit weniger Bildern und mehr Text verhelfen. Der Tatsache, daß die meisten Lokalzeitungen in ihrem Verbreitungsgebiet weitgehend über ein Monopol verfügen, sollten sie ihrer Ansicht nach durch mehr Meinungsvielfalt innerhalb des Blatts Rechnung tragen.

Direkte Konkurrenz

Die rechtlichen und ethischen Anforderungen an Publikationen im Internet sind – im Gegensatz zur Zeitung – derzeit noch weitgehend ungeklärt. Wolfgang Nellen von der Universität Kassel warnte deshalb vor dem Vordringen elektronischer Lokal-Informationen: Seite Ende April werde im Internet eine „Cyber-City Kassel“ mit umfangreichen Veranstaltungshinweisen und geringfügigen Lokalnachrichten angeboten. Ein solches Medium könne der „Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen“ (HNA) Leser und Werbekunden abspenstig machen. HNA-Verleger Rainer Dierichs und Chefredakteur Peter M. Zitzmann wußten zwar von der Planung dieses Projektes, zeigten sich aber überrascht, daß es bereits im Internet abgerufen werden kann.

„Wird die Tageszeitung angesichts ihrer elektronischen Konkurrenz in Zukunft noch finanzierbar sein?“ Diese Frage des Akademiedirektors Matthias Viertel, der bis März noch Kirchenfunkredakteur beim Norddeutschen Rundfunk (NDR) in Hamburg war, beantwortete Rainer Dierichs optimistisch: „Sie wird finanzierbar sein, und sie wird auch ihr Publikum finden. Zumindestens für die nächsten zehn Jahre habe ich da überhaupt keine Sorge.“

 

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Journalismus gefordert wie noch nie

„Demokratie im Krisenmodus – Journalismus gefordert wie nie!“ lautet das Motto des 37. Journalismustags der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di, der am 25. Januar in Berlin stattfindet. Angesichts von Digitalmonopolen, Autoritarismus und Desinformation lädt die dju zur Debatte darüber ein, welche Rolle Journalismus in dieser gesellschaftlichen Situation spielen kann.
mehr »

Ampelbilanz: Von wegen Fortschritt

"Mehr Fortschritt wagen" wollte die Ampel-Regierung laut Koalitionsvereinbarung von 2021 – auch in der Medienpolitik. Nach der desaströsen medienpolitischen Bilanz der vorausgegangenen Großen Koalition, so die Hoffnung, konnte es nun eigentlich nur besser werden. Von wegen. Die meisten der ohnehin wenig ambitionierten Vorhaben der Ampel blieben im Parteiengezänk auf der Strecke. Für den gefährdeten Lokal- und Auslandsjournalismus bleibt weiterhin vieles im Unklaren.
mehr »

Österreichs Rechte greift den ORF an

Eines muss man Herbert Kickl lassen – einen Hang zu griffigen Formulierungen hat er: „Die Systemparteien und die Systemmedien gehören zusammen, das ist wie bei siamesischen Zwillingen,“ sagte der FPÖ-Spitzenkandidat auf einer Wahlkampfveranstaltung im September. „Die einen, die Politiker, lügen wie gedruckt, und die anderen drucken die Lügen. Das ist die Arbeitsteilung in diesem System“. Seinen Zuhörenden legte Kickl mit seinen Worten vor allem eins nahe: Die rechte FPÖ könne dieses dubiose System zu Fall bringen oder zumindest von schädlichen Einflüssen befreien.
mehr »

Die Entstehung des ÖRR in Deutschland

Im Jahr 1945 strahlten die deutschen Radiosender Programme der Militärregierungen aus. Zum Beispiel Norddeutschland. Dort hatte der nationalsozialistische Reichssender Hamburg am 3. Mai seine Tätigkeit eingestellt. Nur wenige Stunden später besetzten britische Soldaten das Funkhaus und schon am 4. Mai erklang eine neue Ansage: „This is Radio Hamburg, a station of the Allied Military Government.”
mehr »