CDU kontert nach amerikanischem Muster mit schnellen Antworten
Bundesparteitag der SPD, 19. November 2001, kurz vor 13 Uhr: Gespannt warten die Delegierten auf die Rede ihres Parteivorsitzenden, Bundeskanzler Gerhard Schröder. Spannung auch in der Berichterstatterkabine mit der Türaufschrift „CDU“. Drei Beobachter hat das Berliner Adenauer-Haus in die Presselounge der Frankenhalle entsandt. Aber aufs Beobachten allein werden sich die CDU-Vertreter nicht beschränken. Ihr Auftrag heißt „Rapid Response“, ihre Aufgabe: „schnelle Antworten geben“.
Per Pressemitteilung informiert die CDU die anwesende Journalistenschar über das neue Wahlkampfinstrument namens Rapid Response. Dort heißt es: „Rapid Response wird in den Wahlkämpfen angelsächsischer Länder, vor allem in den USA, eingesetzt und bezeichnet die sofortige Reaktion auf wahlkampfrelevante Äußerungen des politischen Gegners.“
Der politische Gegner heißt SPD, und „schnelle Antworten“ sollen auf die Rede ihres Vorsitzenden gegeben werden. Gerhard Schröder tritt ans Rednerpult, gibt sich staatsmännisch selbstbewußt und signalisiert den anwesenden Genossinnen und Genossen, was die Republik spätestens seit der Vertrauensfrage vom 16. November ohnehin schon weiß: Der Wahlkampf hat begonnen. Ob Schröder jedoch weiß, daß die anwesenden PR-Aktivisten der CDU seine Rede „in Echtzeit“ via Internet kommentieren werden? Gespräche am Rande des Parteitags mit Vertretern der SPD- Wahlkampfzentrale „KAMPA“ zeugen von Ahnungslosigkeit.
Von den Wahlkämpfern der SPD unbemerkt, führen die Strategen der Union die Operation „Rapid Response“ durch. Noch während Schröder spricht, kann sich die Internet-Gemeinde unter der Adresse www.wahlfakten.de über die Meinung der CDU zu den Aussagen des Bundeskanzlers aus den Reihen der SPD informieren. Matthias Barner, stellvertretender Sprecher der CDU-Deutschland, ist zufrieden: „Wir sind hierzulande als erste Partei mit einem derartigen Angebot an die Öffentlichkeit getreten und hatten allein am ersten Tag mehr als 20.000 Zugriffe.“
Rapid Response im Visier
Unter den 20.000 befinden sich – neben interessierten Bürgern – auch jene, die sich berufsmäßig mit Politik befassen: Journalistinnen und Journalisten. Gerade sie hat das Wahlkampfinstrument ‚Rapid Response‘ im Visier. „Mit ‚wahlfakten. de‘ stellen wir Journalisten Fakten von neutralen Verbänden und Organisationen zur Verfügung, indem wir unsere Kommentare auf deren Seiten verlinken“, beschreibt Barner die deutsche Version von ‚Rapid Response‘. Ob Klimaschutz, Öko-Steuer oder Wirtschaftspolitik – die CDU garniert die Rede des SPD-Vorsitzenden nicht nur mit eigenen Kommentaren, sondern auch mit Verweisen auf „neutrale“ Einrichtungen. Kommt Schröder in seiner Rede auf die wirtschaftliche Lage des Landes zu sprechen, stößt der Besucher von ‚wahlfakten.de‘ auf einen Hyperlink zum Bericht des Sachverständigenrates zur wirtschaftlichen Entwicklung. Für CDU-Sprecher Barner steht fest: „Damit bieten wir Journalisten eine Recherchehilfe“.
Journalisten sind ohnehin eine beliebte Zielgruppe von Wahlkampfinformationen. Analysen des US-amerikanischen Internet-Wahlkampfs belegen dies. Allerdings ging der Informationsfluß zu den Medien bislang ausschließlich per e-Mail vonstatten. So der Befund von Gerd Strohmeier, Chefredakteur des Online-Portals www.politik-im-netz.com. Mit Blick auf die Formen des Angriffs- und Konterwahlkampfes in den USA, namentlich das dort praktizierte „negative campaigning“ und „rabid rebuttal“ (tollwütiges Erwidern) hebt Strohmeier die große Bedeutung der e-Mail an Journalisten hervor.
Der in Deutschland bisher einzigartigen ‚Rapid Response‘ kommt nunmehr eine Ergänzungsfunktion zu. Immer dann, wenn der Anlass es gebietet, soll es zum Einsatz kommen. Bislang ist die Schröder-Rede für die Union der einzige Anlass gewesen, das neue Wahlkampfinstrument auszuprobieren. Auch Anfang Dezember findet sich auf der eigens eingerichteten Homepage lediglich die kommentierte Rede des SPD-Vorsitzenden vom 19. November – versehen mit einem parteipolitischen Filter. Denn die Behauptung, „objektiv über die Aussagen von Politikern zu informieren“, ist kaum nachvollziehbar.
Objektivität scheitert
Die vorgegebene Objektivität scheitert gleich an zweierlei: Die angeführten Zitate sind ebenso subjektiv ausgesucht wie die Erwiderungen von Wahlkampfüberlegungen der CDU geprägt sind. Auch der Anspruch, möglichst bald „schnelle Antworten“ geben zu können, ist einer objektiven und sachorientierten Befassung mit den Themen nicht gerade zuträglich.
Als Recherchewerkzeug wird das Angebot daher nur wenig tauglich sein. Wer will sich schon mit gefilterten Informationen zufriedengeben? Eine gründliche und vor allem eigenverantwortliche Recherche kann ‚wahlfakten.de‘ einem nicht abnehmen. Lange stand die CDU mit ihrem Angebot nicht allein. Denn seit dem 3. Dezember betreibt die SPD eine Seite namens www.nichtregierungsfaehig.de, womit sie die CDU meint.
Nicht auf „Rapid Response“, sondern auf „negative campaigning“ setzen die Sozialdemokraten. Der Internet-Wahlkampf ist in eine neue Phase getreten.