Kahlschlag

Sparprogramm beim deutschen Auslandsrundfunk

Die Deutsche Welle will bis zum Jahre 2003 rund 600 Stellen streichen. Nach Auffassung der Senderleitung ist dieser Schritt die unausweichliche Konsequenz der von der Bundesregierung verfügten Etatkürzungen. Ihre künftige Rolle sieht die Deutsche Welle im Hörfunk als Krisen- und Präventionsradio in Konfliktregionen. Im Fernsehbereich geht die Debatte um eine Kooperation mit ARD und ZDF weiter.

Es klang schon ein wenig nach Grabesstimme, als Verwaltungsratsvorsitzender Franz Schoser am 6. Oktober die Presse über den bevorstehenden Personalabbau bei der Deutschen Welle informierte: „Unsere zahlenmäßige Vorgabe ist, daß bis zu 79 Festangestellte, 232 tarifvertraglich geschützte freie Mitarbeiter und 58 Fristverträge zur Disposition gestellt werden. Darüber hinaus rechnen wir, daß rund 200 Mitarbeiter bis zum Jahr 2003 den Vorruhestand in Anspruch nehmen.“ Der Personalabbau – diesen schwachen Trost wollte Schoser den Mitarbeitern nicht versagen – sei „so sozialverträglich wie möglich zu gestalten“, die Zahl betriebsbedingter Kündigungen „auf das unbedingt erforderliche Maß zu beschränken“.

Wenige Wochen zuvor hatte Welle-Intendant Dieter Weirich noch von 745 zu streichenden Stellen gesprochen (M 8-9/99). Gegenüber diesem Horrorszenario erscheint das jetzt von den Sendergremien beschlossene Sparkonzept zwar in etwas milderem Licht. Dennoch: in den kommenden vier Jahren soll nach den Plänen der Geschäftsleitung etwa jeder dritte der gegenwärtig 1750 existierenden Jobs bei der Welle verschwinden. Damit sollen die Etatkürzungen von 89 Millionen Mark bis zum Jahr 2003 aufgefangen werden.

Für die Belegschaftsvertreter markiert dieses Ergebnis den „schwärzesten Tag“ in der Geschichte der Deutschen Welle. „Die schlimmsten Befürchtungen von Personalräten und Gewerkschaften sind wahr geworden“, klagte Ulrich Riedel, Personalratsvorsitzender der Deutschen Welle Berlin und Mitglied des DW-Gesamtpersonalrats. Erstmals in der Geschichte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland komme es zu betriebsbedingten Kündigungen. Rundfunk- und Verwaltungsrat, so seine Kritik, hätten die „Kahlschlagpolitik Weirichs“ voll mitgetragen. In einer Presseerklärung der Personalratsgremien hieß es, die Geschäftsleitung habe alle Angebote von Gewerkschaften und Personalräten für ein zukunftssicherndes „Bündnis für Arbeit“ ignoriert. „Ein abgekartetes Spiel auf Kosten der Belegschaft.“

Freie als Manövriermasse

Welche Folgen die Sparorgie für die Beschäftigten hat, wird vor allem am Beispiel der Freien deutlich. Die Interessenvertretung der Berliner DW-Freien – in Berlin sind allein beim DW-tv 650 Freie tätig – hat in den letzten Monaten Daten über die Rechts- und Arbeitssituation der DW-Freien erhoben. Nach der bislang unveröffentlichten Erhebung leisten rund ein Drittel der erfaßten Freien (222 von 650) „mindestens 75 Prozent (!!) ihre Arbeit für die DW ,planmäßig‘, werden also in Dienst- und Einsatzplänen geführt“. Eine im Rahmen der ARD „einmalig hohe Quote“, konstatiert die Freienvertretung. Weitere Daten: 55,4 Prozent der DW-Freien sind länger als vier Jahre bei ihrem Sender beschäftigt. Für 85,3 Prozent der Befragten ist die Arbeit bei der DW zugleich ihr Haupterwerb. Über 60 Prozent erwarten, bei einer erzwungenen Unterbrechung oder gar Beendigung ihrer Tätigkeit für die DW in ihrer Existenz bedroht zu sein. Mindestens ein Drittel der Betroffenen habe die feste Absicht, das Recht auf Weiterbeschäftigung mittels einer Statusklage durchzusetzen. Würden die Freien nur als „Manövriermasse zur Erfüllung eines Sparziels“ betrachtet, werde dies auch den „Produkten“ der Deutschen Welle „irreparablen Schaden“ zufügen.

Hörfunkprogramme reduziert

Ungeachtet der Proteste will die Intendanz jetzt den Rotstift ansetzen. Bluten muß vor allem der Hörfunk. Eingestellt werden die Programme auf japanisch, tschechisch, slowakisch, ungarisch sowie spanisch für Lateinamerika. Zur Begründung heißt es in dem laut Schoser „mit überwältigender Mehrheit“ angenommenen Sparbeschluß: „In deregulierten, liberalisierten und privatisierten Informationsmärkten haben Auslandsradioprogramme nur noch rückläufige Bedeutung.“

Unvermindert fortgeführt wird dagegen das „Balkan-Engagement“ und die „Aktivitäten im Rahmen des Südosteuropa-Stabilitätspaktes“. Auch das indonesische Programm wird „als Antwort auf die Vorgänge in Osttimor“ ausgeweitet. Sogar ein komplett neues Programm führt die Deutsche Welle ein: auf ukrainisch. Diese Schwerpunktsetzung entspricht der neuen Linie der Intendanz, die künftige Rolle der Welle vor allem als „Stimme der Freiheit in Ländern ohne Medien- und Informationsfreiheit“ zu definieren. Dies vor dem Hintergrund, so DW-Intendant Dieter Weirich, daß die Welt „leider immer unruhiger“ werde und zwei Drittel der Menschen ohne Pressefreiheit auskommen müßten. „Wenn Auslandsradio irgendwo erfolgreich ist, dann vor allem dort.“

Einsparmöglichkeiten erhofft sich die Intendanz auch von einer möglichen Zusammenlegung der Nachrichtenredaktionen von Deutscher Welle und DeutschlandRadio. Hier dürfte es wegen der unterschiedlichen Organisationsform beider Sender – hier staatliche Alimentierung, dort Gebührenfinanzierung – rechtliche Probleme geben.

Kooperation beim Fernsehen

Im Fernsehbereich will die Deutsche Welle mit ARD und ZDF über eine verstärkte Kooperation verhandeln. Im Gespräch ist die gemeinsame Veranstaltung eines 24stündigen deutschsprachigen TV-Auslandskanals. Eine solche Kooperation müßte allerdings – ähnlich wie eine Zusammenarbeit von Deutsche Welle und DeutschlandRadio – in einem Bund-Länder-Staatsvertrag geregelt werden. Aber auch auf fremdsprachige TV-Angebote will die Deutsche Welle „angesichts der anglo-amerikanisch dominierten Medienwelt im Fernsehen“ nicht verzichten. Auf einem von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Anfang Oktober in Berlin ausgerichteten „Hearing zur Zukunft der Deutschen Welle“ hatte Weirich ein neues Modell in Sachen Auslandsfernsehen präsentiert.

Als Vorbild schwebt ihm die britische BBC vor. Diese sendet über zwei internationale Kanäle BBC World und BBC Prime Nachrich-ten beziehungsweise Unterhaltung. Analog dazu könne auch die Deutsche Welle mit einer Art Germany World und Germany Prime auf Sendung gehen. Das existierende DW-tv verkörpere bereits ein News-TV; Germany Prime könne ergänzend aus Unterhaltungsprogrammen von ARD und ZDF Entertainment für die Auslandsdeutschen bieten – auf Pay-TV-Basis.

Auf derselben Veranstaltung hatten Vertreter von ARD und ZDF ihre grundsätzliche Bereitschaft zu einer TV-Kooperation mit der Welle erklärt. Bei der Veranstaltung eines deutschsprachigen TV-Programms, so etwa Norbert Seidel, stellvertretender Intendant und Verwaltungsdirektor des WDR, seien ARD und ZDF „die geborenen Partner der Deutschen Welle“. Für ein solches joint venture könnten „in begrenztem Umfang“ auch öffentlich-rechtliche Mittel locker gemacht werden. Der ZDF-Fernsehrat hatte bereits wenige Tage vor dem Hearing auf Vorschlag seines Intendanten Dieter Stolte ein gemeinsam von ARD, ZDF und DW veranstaltetes „German TV“ angeregt. Ein solches Projekt war allerdings nach einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ vom Bundesrechnungshof flugs als unwirtschaftlich und überflüssig disqualifiziert worden. Gottfried Langenstein, Leiter der ZDF-Hauptabteilung Internationale Angelegenheiten, empfahl auf dem CDU/CSU-Hearing eine „einfache Kooperation auf Arbeitsebene“. Dieses „Patronatsmodell“ solle möglichst „ohne neue Gremien, ohne große Strukturen und mit wenig Personal“ auskommen. Dem Weirich-Modell eines „German Prime“ auf Pay-Basis räumte er wenig Chancen ein. Ein solches Modell, so Langenstein, funktioniere allenfalls auf englischsprachigen Märkten.

Modernisierung und Multimedia

Ansonsten setzt die Welle verstärkt auf Modernisierung und Multimedia. DW-Online wird bis zum 1. Januar des nächsten Jahres geliftet. Die Programmzeitschrift DW-plus wurde bereits eingestellt, Programminfos muß sich jeder Nutzer künftig direkt aus dem Internet holen.

Weiterhin kontrovers diskutiert wird der grundsätzliche Finanzierungsmodus der Deutschen Welle. Staatsminister Michael Naumann hatte im Konflikt mit der DW-Intendanz einen „automatischen“ verfassungsrechtlichen Anspruch der DW auf bedarfsgerechte Finanzierung stets verneint. Er beharrt auf der „Souveränität des Gesetzgebers“ und der „Budgethoheit des Parlaments“. DW-Intendant Weirich hält die gegenwärtige Finanzierungspraxis für „verfassungsrechtlich zumindest bedenklich“. Ob es zu einer offiziellen Verfassungsbeschwerde kommt, ließ er aber offen. Um künftigen Etatgefechten mit der Bundesregierung möglichst aus dem Weg zu gehen, fordert Weirich im Verein mit den DW-Gremien die Bundesregierung auf, „im Interesse der Staatsunabhängigkeit der Deutschen Welle und einer angemessenen Finanzierung eine neutrale Prüfungsinstanz einzurichten, die unseren Finanzbedarf vorher prüft und dann Bundesregierung und Bundestag einen Vorschlag macht, der dann aber auch hilfreich sein kann für Verwaltungsrat und Rundfunkrat in der Beurteilung. Sympathien findet diese Forderung Weirichs auch bei namhaften Juristen wie Dieter Dörr, Direktor des Instituts für Europäisches Medienrecht in Saarbrücken (vgl. Interview).

Eine solche neutrale Prüfungsinstanz könnte beispielsweise die KEF sein, die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten. Nach den Kriterien der KEF, so hat Weirich errechnet, stünden der Deutschen Welle im Jahr 2003 nicht 546 Millionen Mark zu, sondern weit über 700 Millionen. Demgegenüber sei die gegenwärtige materielle Ausstattung geradezu bescheiden. Weirich: „Die Deutsche Welle kostet den Steuerzahler im Jahr sieben Mark, das sind zwei bis drei Kölsch, je nach Qualität der Kneipe in Köln.“

Den von Entlassung bedrohten Beschäftigten der DW dürfte der Sinn für solche Rechnungen abgehen. In Köln und Berlin stehen die Zeichen auf Sturm. Bereits Anfang Oktober demonstrierten 500 Beschäftigte dort für die Vorlage eines Zukunftskonzeptes und gegen betriebsbedingte Kündigungen. Möglicherweise steht die Deutsche Welle vor einem heißen Herbst.

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