Kommentar

Der bis heute nicht aufgeklärte Coup mit dem „falschen Fax“ aus Bonn hat in den Redaktionen die Gemüter bewegt und ganz unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen – Selbstkritik über die schnelle ungeprüfte Verwendung, Selbstkritik über die rasche Anpassung in der politischen Kommentierung, Kritik am eigenen Arbeiten und an der Arbeit der Nachrichtenlieferanten (mehr dazu auf dieser Seite und den Seiten 6/7).

Gerade die Nachrichtenagenturen gehen aus dieser „Nebenaffäre“ nicht ungeschoren hervor – sei es , weil sie zu schnell und ohne die nötige gründliche Prüfung, sei es, weil sie zu spät reagiert und gar nichts gemeldet haben. Zweifel an ihrer Arbeitsweise und an ihrer Zuverlässigkeit werden laut. Das muss ihnen zu denken geben – solche Zweifel, in diesem Falle vielleicht noch schnell zu entkräften, wären auf die Dauer tödlich. Die Verlässlichkeit ihrer Informationen, das Vertrauen in die genaue Arbeit der Agenturen und der Kolleginnen und Kollegen dort und die Gewährleistung solcher Arbeitsstrukturen, die eine gründliche Recherche auch unter Zeitdruck ermöglichen (sprich: genügend Leute, sinnvolle Arbeitszeiten und ausreichende technische Mittel) sind das Hauptkapital einer Agentur. Glaubwürdigkeit erfordert Sorgfalt und Aufwand. Sicher, das verursacht Kosten. Dem steht beispielsweise bei dpa der Kostendruck der Verleger gegenüber – als Gesellschafter und als Kunden (M berichtete). Aber gerade der Verweis auf die Mitbewerber, die Konkurrenz auf dem Agenturmarkt muss sensibel machen für die Qualität einer Agentur: Zuverlässigkeit, qualifiziertes und ausreichendes Personal und Präsenz in der Fläche. Personalabbau gefährdet nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch die Qualität. Bisher steht dpa für solche Qualität. Und sowohl die Verleger wie auch dpa selbst sollten auch bei diesem Anspruch bleiben. Im Falle einer derartigen Fehlleistung sollte sich jedenfalls niemand auf die kontraproduktive Behauptung einer „perfekten Fälschung“ zurückziehen – so wird beispielsweise der dpa-Chefredakteur in einem Namensartikel (ohne Hinweis auf die Quelle dpa) zitiert -, zumal die Fax-Nummer, wollte man sie wirklich als ernsthaften Hinweis werten, auf das Bonner Rathaus(!) verwiesen hätte (verrät mir mein Oeckl) – oder gar den „journalistischen Grundsatz“ aufstellen: „eine Nachricht muss eine Quelle haben“ – (waren da nicht „früher“ zwei voneinander unbhängige gefordert?) und dann noch ein Fax oder eine e-mail oder einen Briefbogen oder einen Telefonanruf ohne Rückruf(-möglichkeit) als ausreichende solche werten – wer sich damit heute begnügen wollte, wäre ein hilfloses Opfer jeder Manipulation. Das wollen wir keiner Nachrichtenagentur zutrauen. Sie sollte es selbst auch nicht tun.

Weitere aktuelle Beiträge

Proteste bei TiKTok in Berlin

Rund 150 Beschäftigten der Trust and Safety-Abteilung (Content-Moderation) von TiKTok und einem Teil der Beschäftigten aus dem Bereich TikTok-Live (rund 15 Beschäftigte) in Berlin droht die Kündigung. Das  chinesische Unternehmen plant die Content-Moderation künftig verstärkt durch Large-Language-Models (Künstliche Intelligenz) ausführen zu lassen und die Arbeit an andere Dienstleister auszulagern. Dagegen protestierten heute vor der TikTok-Zentrale in Berlin Beschäftigte und Unterstützer*innen.
mehr »

Halbzeit bei der UEFA Frauen-EM

UEFA-Women’s Euro 2025 heißt das Turnier nach dem Willen des Europäischen Fußballverbands. Bei den Männern wird auf die geschlechtsspezifische Eingrenzung verzichtet. Möglichweise ein Relikt aus den Zeiten, als das Kicken selbstverständlich eine maskuline Sportart war, vermeintlich ungeeignet für die „zarte Weiblichkeit“. 
mehr »

Ist das der neue Meinungspluralismus?

Es sind nur zwei Fälle. Aber sie haben es in sich, wenn sie für eine Entwicklung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk stehen, die ein politisch bedenkliches Signal sendet. Eine Correctiv-Recherche beleuchtete Anfang Juli die Hintergründe, die nach vier Jahren zur Einstellung eines Klimapodcasts führten. Und eine Ende Juni veröffentlichte taz-Recherche fühlt den Umständen einer Reportage der Focus-online-Kolumnistin Julia Ruhs auf den Zahn, die der NDR ausstrahlte.
mehr »

Für ein digitales Ökosystem

Markus Beckedahl, Journalist und Gründer des Online-Portals www.netzpolitik.org, erkennt  im System des öffentlich-rechtlichen Rundfunk den Ort, wo alternative digitale Infrastrukturen gut entwickelt werden können. Ungarn und Polen haben es vor Jahren gezeigt, die USA erleben es gerade aktuell und die Welt scheint dabei zuzuschauen: Die Aushebelung demokratischer Strukturen durch gewählte Regierungen.
mehr »