Vom Wandel der Beziehung zwischen Privatfunk und Gewerkschaften
Harte Zeiten erfordern kämpferische Maßnahmen! Mit ihrem 36stündigen Streik gegen den geplanten Umzug nach München haben 500 Berliner Sat.1-Mitarbeiterinnen und -mitarbeiter Rundfunkgeschichte geschrieben. Privatfunk und Gewerkschaften – ein von Anfang an schwieriges Verhältnis.
„Verarscht in Berlin!“ – was lange kochte, wurde endlich Wut, als 500 Sat.1-Beschäftigte am 21. Januar für 36 Stunden die Brocken hinwarfen. Nach dem schon seit längerem anhaltenden Personalabbau wollte die Belegschaft diese Schikane nicht auch noch kampflos hinnehmen. „Ein historisches Ereignis“ kommentiert erfreut Kathleen Eggerling, connexx-av-Projektmanagerin in Berlin. Die neue Militanz macht sich auch in einem rasanten Anwachsen des gewerkschaftlichen Organisationsgrades im Unternehmen bemerkbar. Keine Selbstverständlichkeit in einer Branche, in der „Hire and Fire“ auf der Tagesordnung steht.
Zunächst stand die damalige Rundfunk-Fernseh-Film-Union (RFFU) in der Gewerkschaft Kunst der Herausbildung kommerzieller Rundfunkstrukturen äußerst kritisch gegenüber. Ebenso wie Teile der SPD, Grüne, Kirchen und außerparlamentarischen Initiativen war man der Auffassung, Information und Meinungsbildung dürften nicht zur Ware verkommen. Auch müsse die unter Marktverhältnissen absehbare Konzentration von Meinungsmacht in den Händen weniger verhindert werden. „Kommerz-TV – nein danke!“ – hieß die Parole der Stunde. Auch Gewerkschafter beteiligten sich daher bis Mitte der achtziger Jahre an Anti-Kabel-Initiativen, forderten einen Stopp der Verkabelung und lehnten aus Datenschutzgründen auch die Einführung von Bildschirmtext und das geplante Glasfasernetz ab.
Nach Durchsetzung der Vollverkabelung unter der Regierung Kohl war diese Position nicht länger haltbar. Angesichts der „normativen Kraft des Faktischen“ gingen Gewerkschaft Kunst, später die IG Medien dazu über, in den sich wildwüchsig formierenden privaten Medienbetrieben für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Keine einfache Aufgabe, schlug den Gewerkschaftern aufgrund ihrer langjährigen Gegnerschaft zum privaten Rundfunk zunächst Misstrauen entgegen. Die spezifischen Bedingungen, unter denen das neue Medienzeitalter eingeläutet wurde, schrien geradezu nach gewerkschaftlichem Engagement. Kritiker der Verhältnisse beim Privatfunk sprachen bald von einem „Drei-Klassen-Journalismus“. Zur dritten Klasse gehörten demnach vor allem die Journalisten und Techniker beim Privatfunk. Begründet wurde dies mit in der Regel mangelhafter Ausbildung und unzureichender sozialer Absicherung. Tatsächlich war der Begriff Tarifvertrag beim Privatfunk zunächst ein Fremdwort, die Bezahlung der Mitarbeiter miserabel, Arbeitszeiten und sonstige Konditionen anarchisch organisiert. Die Qualifizierung erfolgte meist in Form von „learning by doing“.
Prekäre Arbeitsverhältnisse
Daran hat sich grundsätzlich bis heute wenig geändert. Nach wie vor, so ergab eine Untersuchung des Hamburger Kommunikationswissenschaftlers Siegfried Weischenberg, ist die Hospitanz der „Königsweg in die Sender“. Nur ein gutes Drittel der journalistischen Mitarbeiter von Privatsendern verfügt demnach über ein abgeschlossenes Studium, im Durchschnitt aller berufstätigen Funkjournalisten sind es zwei von dreien.
Geblieben sind auch die gravierenden Einkommensunterschiede in den beiden Sendersystemen. Die TV-Journalisten von ARD und ZDF kamen nach der Weischenberg-Studie von 2005 auf durchschnittlich 2.800 Euro, die von privatkommerziellen Sendern gerade mal auf 1.550 Euro. Auch die Einkommen der Mitarbeiter des privaten Hörfunks können mit denen der öffentlich-rechtlichen Kollegen nicht mithalten. Eine wirkliche Gleichstellung der Arbeitsbedingungen dürfte auch künftig illusionär sein, räumt connexx.av-Projektmanager Wille Bartz und Privatfunkkenner der ersten Stunde, ein. Für Gewerkschafter und Betriebsräte im Privatfunk gehe es eher darum, das weitere „Abdriften der Branche in prekäre Arbeitsverhältnisse“ aufzuhalten. Festanstellungen bilden im Privatfunk längst die Ausnahme, in vielen Bereichen sind mittlerweile an die 90 Prozent der Kollegen befristet beschäftigt. Der unsichere Status lässt die Betroffenen meist auch bei unzumutbaren Arbeitskonditionen stillhalten. Wer ständig um seinen Job oder seine Vertragsverlängerung bangen muss, nimmt zähneknirschend ausufernde Arbeitszeiten, massive Überstunden und die kurzfristige Änderung von Dienstplänen in Kauf.
Laut Studie über die „Wirtschaftliche Lage des Rundfunks in Deutschland 2006“, herausgegeben von der Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten (ALM), waren Ende 2006 insgesamt 71.456 Festangestellte und freie Mitarbeiter im Rundfunk tätig. Von den 42.614 Erwerbstätigen entfielen gut zwei Drittel auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk: 9.336 arbeiteten bei privaten TV-Veranstaltern, 4035 bei privaten Hörfunksendern.
Anders als im öffentlich-rechtlichen System wirken sich wirtschaftliche Schwankungen in der Regel direkt auf die Jobsicherheit aus. Das kann in Einzelfällen schon mal zu extremer Fluktuation einer Belegschaft führen. Nach Angaben von Bartz hatte beispielsweise der landesweite private Hörfunksender ffn in Niedersachsen noch Anfang der 90er Jahre an die 160 Beschäftigte. Die „Entwortung“ der Privatradios, verbunden mit einer Flaute auf dem Werbemarkt, ließ diese Zahl zur Jahrtausendwende auf etwa 70 sinken. Aktuell beschäftigt der Sender wieder rund 100 Mitarbeiter.
Wie schnell Privatfunkmitarbeiter in eine prekäre Situation geraten können, belegt die gerade eingesetzte wirtschaftliche Rezession. Dabei gehen die großen Sender mit schlechtem Beispiel voran. Nach Sat.1 stieg auch RTL vor zwei Jahren aus dem Manteltarifvertrag aus. Als beliebteste Mittel zum Abbau von Arbeitsplätzen setzen die Privatfunkmanager in jüngster Zeit auf Auslagerungen und Betriebsumzüge. Die RTL Group bedient sich derzeit dieses Instruments in Köln (vgl. M 12-08) ebenso wie die ProSiebenSat.1 Media AG beim geplanten Exodus von Sat.1 nach München-Unterföhring. Dass die Mitarbeiter beim Privatfunk sich nicht länger widerstandslos zur Schlachtbank führen lassen wollen, hat der historische Streik der Sat.1-Kolleginnen und Kollegen eindrucksvoll bewiesen.