„Kriegserklärung an die Beschäftigten“

Arbeitnehmerrechte gingen beim politischen Ränkespiel verlustig – neuer Rundfunk Berlin-Brandenburg ab Mitte 2003

Die Entscheidung über den neuen ARD-Sender im Osten der Republik scheint gefallen. „Rundfunk Berlin-Brandenburg“ (RBB) heißt das Konstrukt aus ORB und SFB, das bis Mitte nächsten Jahres auf Sendung gehen soll.

Kein schöner Name, gemessen an anderen Vorschlägen. „Altes Denken, alte Strukturen, alte Konzepte“ fürchtet denn auch die grüne Medienpolitikerin Alice Ströver. Statt – wie von den Grünen favorisiert – Samba in RIO (= Rundfunk im Osten) drohe nun weiter der alte Trott. Auch aus gewerkschaftlicher Sicht ist der RBB kein medienpolitisches Ruhmesblatt. Die Rechte des Personalrats im fusionierten Sender sind drastisch beschnitten, die gewerkschaftliche Präsenz im neuen Rundfunkrat ist auf einen DGB-Vertreter und einen Ver.di-Vertreter (im Wechsel mit dem DJV) eingeschränkt. Und mit dem Zweidrittel-Stimmenquorum bei der Wahl des künftigen Intendanten sind parteipolitischen Kuhhändeln Tür und Tor geöffnet.

Allerdings ist die Kontroverse um den Staatsvertrag über die Errichtung des Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) noch längst nicht beigelegt. Das umstrittene Paragrafenwerk war am 25. Juni vom Regierenden Bürgermeister Berlins Klaus Wowereit und dem mittlerweile zurückgetretenen Ministerpräsidenten Brandenburgs Manfred Stolpe unterzeichnet worden. In einer gemeinsamen Pressemitteilung erklärten die Personalräte von SFB und ORB, die Regierenden der beiden Länder hätten mit ihrer Unterschrift „den Abbau von Arbeitnehmer- und Mitbestimmungsrechten im Rundfunk Berlin Brandenburg besiegelt“ (vgl. M 5 / 02). Mit ihrer Ablehnung, die Beschäftigten in die Fusion mitzunehmen, werde der Politikverdrossenheit Vorschub geleistet. Die demokratischen Rechte der Beschäftigten von SFB und ORB seien beim politischen Ränkespiel zwischen Potsdam und Berlin auf der Strecke geblieben. Die Personalräte fordern die Parlamente beider Länder zur Ablehnung des Staatsvertrags auf. Die Abgeordneten müssten durch ihr Nein zur vorliegenden Fassung des Vertrags zeigen, „dass Demokratie für sie mehr ist als ein Lippenbekenntnis“.

Ein falsches Signal

Zuvor schon hatten Anfang Juni 300 Gewerkschaftsvertreter aus ORB und SFB vor dem Roten Rathaus in Berlin gegen den „massiven Abbau von Mitbestimmungsrechten unter dem Deckmantel einer Fusion“ protestiert. Der stellvertretende Landesbezirksvorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und SFB-Rundfunkratsmitglied Hartmut Friedrich sagte auf der Kundgebung, man werde es nicht hinnehmen, dass eine beim SFB seit vielen Jahrzehnten „bewährte Mitbestimmung“ nun „auf das Niveau einer Bundespersonalvertretung heruntergefahren“ werde. Es gebe in Berlin und Brandenburg gut funktionierende Landespersonalvertretungsgesetze. Mit dem vorliegenden Staatsvertragsentwurf werde es den beiden Landesregierungen nicht gelingen, die Senderbeschäftigten „mit auf den Weg in diese Senderfusion zu nehmen“. Er sei auch ein „falsches Signal“ für die gleichfalls in einigen Jahren angestrebte Länderfusion. Friedrich forderte den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit auf, zur Lösung des Konflikts den inkriminierten Paragraph 34 des Staatsvertrags „ersatzlos zu streichen“.

„Wir sind nicht bereit, im Sinne einer Durchmarschpolitik des Senats oder der Landesregierung die Interessen der Beschäftigten auf dem Altar politischer Deals zu opfern“, sagte Günter Waschkuhn, ORB-Rundfunkratsmitglied und gleichfalls Vize-Vorsitzender des verdi-Landesbezirks. Der Umgang mit den Mitbestimmungsrechten in Berlin und Brandenburg gebe möglicherweise einen Hinweis darauf, „wie man von politischer Seite die Zukunft der öffentlich-rechtlichen Medien in der Bundesrepublik grundsätzlich und generell gestalten“ wolle. Dies liefe grundsätzlich gegen Mitbestimmungsrechte, die über das Bundespersonalvertretungsgesetz hinausgehen, um Personalabbau zu erleichtern die Beteiligung der Personalräte zu erschweren und einzuschränken. Sollte das die Generalstrategie sein, „unter der Lufthoheit sozialdemokratisch geführter Landesregierungen“, dann wäre das ein schlechtes Zeichen in Richtung Bundestagswahl.

Einfalt statt Vielfalt

Auch der Journalisten-Verband Berlin (JVB erwartet von der Fusion nichts Gutes für den regionalen Rundfunk: „Aus Vielfalt wird Einfalt, aus Stadt und Land wird – rundfunkpolitisch gesehen – Steppe“, findet JVB-Vertreter Justus Boehncke. Der Staatsvertrag löse nicht ein, was seine Unterzeichner einst versprochen hätten, nämlich den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in der Region zu stärken. Statt dessen drohe „ein Verlust an öffentlich-rechtlichem Föderalismus“. Aus zwei kleinen Anstalten werde eine kleine, „die nun umso einsamer am Katzentisch der ARD werde sitzen müssen“. Die Fusion werde zu einem Verlust an journalistischer Kompetenz und einem Verlust an Beschäftigungsvolumen von freien Mitarbeitern führen, „und das in einer Stadt, in der die Arbeitslosigkeit auch unter Journalisten heute sehr hoch ist“.

Hanne Daum, SFB-Personalratsvorsitzende, warf der Berliner Koalitionsregierung Wortbruch vor. Wowereit habe versprochen, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in der Region zu stärken, die Mitbestimmung im Sender zu sichern und auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten. Im jetzt vorliegenden Staatsvertragsentwurf sei nichts von alledem realisiert: der Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen fehle, bei Kündigungen werde die Mitbestimmung eingeschränkt, bei fristlosen Kündigungen gebe es nur noch ein Anhörungsrecht.

Abbau der Rundfunkfreiheit

„Unsere Mitbestimmungsrechte werden beschnitten, in den Gremien sind wir schlechter vertreten, die innere Rundfunkfreiheit wird abgebaut, 48 Jahre Mitbestimmungskultur gehen über Bord“, sagte Daum. Das Bundespersonalvertretungsgesetz sei im Vergleich zum Landesrecht die schlechteste Lösung, der RBB werde in Sachen Mitbestimmung „exterritoriales Gebiet“. Ausgerechnet zwei SPD-geführte Landesregierungen träten Arbeitnehmerrechte mit den Füssen, ausgerechnet der rot-rote Senat nutze seinen politischen Gestaltungsspielraum, um Mitbestimmung abzubauen. Dies sei eine „Kriegserklärung an die Beschäftigten“. In Anspielung an den Slogan von Willy Brandt „Wir wollen mehr Demokratie wagen“ sagte Daum, sie habe den Eindruck, die „Enkel setzen auf den Wechsel: Mehr Autokratie wagen“. Die Gewerkschafterin forderte den Senat auf, Abstand zu nehmen vom „Abbau der Mitbestimmung und dem Kahlschlag der Arbeitnehmerrechte“. Die Gewerkschaften würden so lange den „Widerstand organisieren, bis die Mitbestimmung gesichert ist“.

Der DGB Landesbezirk Berlin-Brandenburg appelliert an die Parlamentarier beider Länder, dem Fusionsstaatsvertrag nicht zuzustimmen. Zwar befürworte der DGB „grundsätzlich die Senderfusion, um die Region in der ARD zu stärken“. Aber bereits die 1996 gescheiterte Länderfusion habe gezeigt, „dass sich ein Zusammenschluss nicht gegen die Menschen machen lasse“. DGB-Landesbezirksvorsitzender Dieter Scholz kritisierte die „selektive“ Übernahme von Gesetzen in den Staatsvertrag: „Während das Berliner Landesgleichstellungsgesetz in diesen Genuss kam, sei das fortschrittliche Berliner Landespersonalvertretungsgesetz abgekoppelt worden“. Hier werde „Landesrecht nach Gutsherrenart interpretiert“. Dies sei „keine Werbung für eine Sozialdemokratie, die nicht müde werde, im Bundestagswahlkampf den Wert der Mitbestimmung und die Arbeit von Betriebs- und Personalräten zu loben“. Als „Unding“ bezeichnet Scholz die Bestimmung, dass ein Redakteursstatut künftig vom Intendanten erlassen werden solle. Es offenbare „vordemokratisches Denken, wenn per ordre de mufti einer Redaktion ein Statut übergestülpt“ werde. Die Redaktion müsse selbst bestimmen, was in diesem Statut zu stehen habe.

Auch in Teilen der Berliner SPD stieß der vorliegende Staatsvertragstext auf Unverständnis. In einem Brief an die SPD-Regierungschefs von Brandenburg und Berlin übten Mitglieder des Berliner SPD-Kreisvorstands Nordost und der stellvertretende SPD-Vorsitzende Wolfgang Thierse Kritik am Abbau „demokratischer Standards in Fragen der Mitbestimmung“. Wie Personalräte und Gewerkschaften fordern sie den Ersatz der Ausnahmeregelung zum Bundespersonalvertretungsgesetz durch das Berliner Personalvertretungsrecht. Unter Hinweis auf das Motto von Willy Brandt „Mehr Demokratie wagen!“ heißt es: „Innere demokratische Verfasstheit einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt ist eine der Voraussetzungen zur demokratiewirksamen Willensbildung durch diese Medien. Äußere Rundfunkfreiheit, Staatsferne, kann nur mit inneren freiheitlichen Strukturen erreicht werden.“

Doppelsitz angemessen

Dagegen ist für SFB-Intendant Horst Schättle mit der Unterzeichung des RBB-Staatsvertrags „die überfällige Neuordnung des Rundfunks in Berlin und Brandenburg in greifbare Nähe gerückt“. Schättle zeigte sich „zuversichtlich, dass die Länderparlamente in Berlin und Potsdam das gesetzgeberische Verfahren in verantwortungsbewusster Weise zu Ende bringen“. Mit der Entscheidung für den Doppelsitz des RBB in Potsdam und Berlin werde „die traditionsreiche Bedeutung der Produktionsstandorte Babelsberg und Masurenallee angemessen berücksichtigt“.

 

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