Die „Mainzer Tage der Fernsehkritik“ widmeten sich dem „Fernsehen für die Spaßgesellschaft
Thomas Gottschalk leidet darunter, dass jeder seiner Handy-Anrufe auf dem Flughafen von Mitreisenden mit Spannung mitverfolgt wird, es könnte ja Madonna dran sein: Über die Befindlichkeiten der Fernsehmacher war bei den „34. Mainzer Tagen der Fernsehkritik“ so einiges zu erfahren. Und wer bis dahin die Bedeutung des Wortes selbstreferentielles Fernsehen nicht hautnah zu spüren bekam – bitteschön!
„Locker unverkrampft – aber auch ernsthaft“ solle es zugehen, so der ZDF-Intendant Dieter Stolte. Das Thema der Tagung: „Fernsehen für die Spaßgesellschaft“. Nun kann man es Entertainern schwerlich verübeln, dass sie keine Analyse über die möglicherweise verheerenden gesellschaftlichen Folgen ihres Wirkens anstrengen. Deshalb ist es gut – so sollte man jedenfalls meinen – dass die Fernsehmacher bei dieser Veranstaltung nicht unter sich sind. Die Institution der jährlich stattfindenden „Mainzer Tage der Fernsehkritik“ funktioniert eigentlich nach dem löblichen Konzept, sowohl Medienkritiker, -wissenschaftler und -wächter, als auch Politiker einzuladen, das Fernsehprogramm auf Qualitätsstandards zu überprüfen. Aber Pustekuchen. Trash-Stars werden bisweilen halb fasziniert, halb verabscheuend unter die Lupe genommen: Wie dürfen wir Verona Feldbuschs Dativ-Schwäche genau verstehen?
Wo sind die Kritiker?
Fragt sich: Wo sind eigentlich diese Kritiker, die Gottschalk so schillernd schilderte? „Diese Leute, die in den Feuilletons mit schwarzen Anzügen und rotgeränderten Brillen nur darauf warten, ein bisschen Essig in das Süße zu schütten“. Statt anzumahnen, dass kritische Dokumentarfilme zugunsten der Unterhaltungsmaschinerie zunehmend auf schlechte Sendezeiten und Nischen verdrängt werden, ist vom Podium hauptsächlich eitel redundantes Fun-Geschwätz zu vernehmen. Aus dem Publikum wird das Defizit der Tagung benannt: Das Hauptproblem, dass „die Schickeria des Spaßfernsehens alle Formate des Informationsfernsehens durchdringt“ sei nicht diskutiert worden. Hätte es kompetenten Kritikern nicht gut angestanden, Ross und Reiter zu benennen? Etwa die Geschichtsserien unter der Regie von Guido Knopp, die – zur effektheischenden Unterhaltungsware verkommen – seriöse Dokumentarfilmer im ZDF gar nicht mehr zum Zug kommen lässt. Aber nichts von alledem, stattdessen die akribische Suche nach Sinn im Unsinn.
Was steht auf den Medienseiten der Zeitungen?
Die Fernsehkritikerin Klaudia Brunst gibt Aufschluss, warum Kritiker sich so und nicht anders verhalten. Gut dotierte Aufträge habe sie bekommen, weil sie – damals in den Anfängen von Big Brother – durchaus Positives in dem Experiment zu erkennen vermochte. Auf diese Weise thematisiert Brunst die ökonomischen Zwänge, die die Kritik wohl zum Wattebäuschchen schmeißen veranlassen mag und ihrer eigentlichen Funktion der Fernsehbeobachtung unter kritischem und aufklärerischem Gesichtspunkt mehr und mehr entfremdet. Dieser Trend ist in letzter Zeit auch im Bezug auf die Gewichtung der Themen in den Medienseiten der überregionalen Tageszeitungen beobachten. Das wirkt sich so aus: Statt eine aktuelle und politisch brisante Dokumentation über die ETA, die sich auf die Wahl in Spanien bezieht und direkt im Vorfeld gesendet wird, zu rezensieren, sind Medienseiten der Tageszeitungen mit Spaßthemen okkupiert. Es geht etwa um den Grand Prix, Michelle und ob „die Liebe lebt“ – mitunter sogar kritisch betrachtet. Kritiker, die diesem Trend nicht folgen mögen, haben es derzeit schwer. Doch auch das, nichts Neues: Schon Kurt Tucholsky beklagte einst korrumpierbare Kritiker, die sich „durch einen Verriss ihre Salonkarriere nicht verderben“ mochten: „Sie möchten nun einmal dazu gehören, sie wollen dabei sein, eingeladen, umschmeichelt werden….und so loben sie denn den gewaltigsten Quark“. Sind also die Tage der Fernsehkritik als ambitioniertes, demokratisches Forum zum Scheitern verurteilt? Vielleicht sollte über neue Beteiligungen nachgedacht werden: Wie wäre es zum Beispiel, Jugendliche auf das Podium zu bitten. Vielleicht würde dies zu neuen unerwarteten Ergebnissen führen.
Knappe Ressource: Aufmerksamkeit
Warum sich indes die Medienbranche so brennend für die „Balla-Balla-Spiele“ im Fernsehen interessiert, erklärte der Medienanalytiker Jochen Hörisch treffend. Alles drehe sich um zwei Aspekte: Erstens, Kapital zu akkumulieren und zweitens, Aufmerksamkeit anzuhäufen. Letzteres sei die knappere Ressource, und werde darum entsprechend umkämpft. Fachkompetenz sei allerdings in diesem Zusammenhang nicht mehr gefragt. Hörischs These: Prominent sind diejenigen, die inkompetent sind. An solchem Unsinn scheitere die klassische Kultur, Konsensbildung werde damit überflüssig. Wer aber um diese beide Ressourcen kämpfe, wähle häufig die RTL- und Sat1-Protektionsparteien CDU und CSU, die aus besagten Gründen wiederum den sogenannten Rotfunk anprangerten. Gut, dass es noch solche Stimmen gibt, die – um mit Tucholsky zu sprechen – sich außerhalb „jener Lobesversicherungsgesellschaften auf Gegenseitigkeit“ bewegen.
Gitta Düperthal, Frankfurt, ist freie Journalistin und Fernsehkritikerin für Tageszeitungen und Fachzeitschriften.