Kurzer Zeitungsfrühling

Ostdeutsche Presselandschaft 15 Jahre nach dem Mauerfall

Der Zeitungsfrühling nach der Wende währte nicht lange. Anstelle der SED geben heute westdeutsche Großverlage in den Printmedien der neuen Länder den Ton an. Die Konsumschwäche der ostdeutschen Bürger führte zudem zu drastischen Auflageneinbrüchen.

Den Wendepunkt auf dem ostdeutschen Zeitungsmarkt markierte nicht der 3. Oktober 1990 als offizieller Vereinigungsfeiertag. Entscheidender für die Geschicke der Printmedien war der 1. April des Jahres. An diesem Tag wurden mit dem Wegfall staatlicher Pressesubventionen die Zeitungen und Zeitschriften der DDR in die raue Welt der Marktwirtschaft entlassen. Bereits am 5. Februar 1990 hatte die Volkskammer mit ihrem „Beschluss zur Gewährleistung der Meinungs-Informations- und Medienfreiheit“ die gesetzliche Grundlage für eine freie Presse in der absterbenden DDR gelegt. Die Folgen der marktwirtschaftlichen Anpassung: eine rasante Pressekonzentration, der neben etablierten Altblättern auch der größte Teil der Nachwende-Gründungen zum Opfer fiel. „Mehr als die Hälfte aller früheren DDR-Zeitungen sind vom Markt verschwunden“, resümierte die von Helmut Kohl geführte Bundesregierung in ihrem letzten „Medienbericht 98“. Die Zeitungslandschaft in den neuen Bundesländern, so das Fazit, werde „nach wie vor und stärker als bisher von den 14 großen Regionalzeitungen beherrscht, die schon als SED-Bezirkszeitungen über das fast vollständige Monopol orts- und kreisbezogener Berichterstattung verfügten“.

Vielfalt drastisch reduziert

Bis 1989 gab es in der DDR 39 Zeitungen, darunter 30 Regionalblätter mit einer Gesamtauflage von 9,7 Millionen Exemplaren. Im ersten Jahr der Wende kam es kurzfristig zu einer starken Erweiterung durch das Engagement von nahezu 50 kleineren und mittleren Verlagen. Im April 1991 verkaufte die Treuhandanstalt die 15 ehemaligen SED-Bezirkszeitungen an westdeutsche Großverlage. Bereits kurze Zeit danach war der „Zeitungsfrühling“ beendet, die Vielfalt wieder drastisch reduziert. Die Konzentrationswelle erfasste alle Zeitungstypen, mit Ausnahme der ehemaligen SED-Bezirksblätter. Am stärksten betroffen waren die acht überregionalen Titel aus DDR-Zeiten (vgl. Kasten).

Die Boulevardpresse, zu DDR-Zeiten nahezu unbekannt, erlebte ebenfalls einen vorübergehenden Aufschwung. Auf dem Höhepunkt des Booms, im Herbst 1991, wurden neun verschiedene Titel mit insgesamt 23 redaktionellen Ausgaben registriert. Übrig blieben die Ost-Ausgaben der Bild-Zeitung aus dem Hause Springer, die Dresdner Morgenpost sowie der Berliner Kurier (Gruner + Jahr).

Bei der Privatisierung der ehemaligen SED-Bezirkszeitungen orientierte sich die Treuhand an Kriterien wie Vielfalt, hohen Verkaufserlösen, Arbeitsplatzgarantien und Investitionszusagen. Vereinzelt sollen auch politische Seilschaften eine Rolle gespielt haben. Die Entflechtung bestehender Monopolbetriebe kam für die Treuhand nicht in Betracht. Eine fatale Entscheidung, da aufgrund der ungleichen Ausgangsbedingungen ein funktionierender Wettbewerb gar nicht erst in Gang kam. „Statt den Markt ordnungspolitisch sinnvoll zu gestalten, wurden lediglich Monopole verteilt“, urteilte später die Kommunikationswissenschaftlerin Beate Schneider.

Die Bundesregierung sprach dagegen noch in ihrem „Medienbericht 94“ der Privatisierung mit trickreicher Argumentation auch „dekonzentrative Wirkung“ zu: schließlich hätten sich Gruner + Jahr, Bauer und Burda auf dem gesamtdeutschen Zeitungsmarkt etabliert, die früher in der Tagespresse nicht aktiv gewesen seien. Ein Bertelsmann-Manager äußerte seinerzeit, zur Politik der Treuhand habe es keine realistische Alternative gegeben: „Eine idealtypische Lösung, nämlich die Vergabe der Zeitungen an Unternehmen und Verleger am Ort, war nicht möglich, da es solche Personen und Firmen samt marktwirtschaftlicher Ordnung bislang nicht gab.“ Nur die Großverlage seien imstande gewesen, den hohen Kaufpreis – die Treuhand kassierte für den Verkauf 850 Millionen Mark – zu entrichten sowie die enormen Investitionen zur Modernisierung aufzubringen. Zeitungswissenschaftler Walter J. Schütz sprach dagegen von einer „verpassten Chance“. Eine denkbare Alternative wäre gewesen, die Zeitungen nicht als Ganzes anzubieten, sondern die Verbreitungsgebiete aufzuteilen: „Dann hätten sich auch kleinere und mittlere Zeitungsverlage etablieren können.“

Die Folge: Die 14 ehemaligen SED-Bezirkszeitungen beherrschen heute unangefochten den Markt. Im Segment der regionalen und lokalen Abo-Zeitungen haben sie faktisch keine relevanten Wettbewerber. Einzig die Berliner Zeitung als einstiger SED-Titel für die DDR-Hauptstadt muss sich starker Konkurrenz durch Holtzbrinck und Springer erwehren und hat daher überdurchschnittlich viele Federn lassen müssen. Ansonsten dominiert die jeweilige Regionalzeitung mit relativ hoher Auflage und großem Verbreitungsgebiet. Auf kaum einem Feld, resümierte Beate Schneider, „zeigt sich die soziale Teilung Deutschlands so deutlich wie im Pressewesen“. Während in den alten Bundesländern eine Mischung aus großen, mittleren und kleineren Zeitungsverlagen existiert, herrschen im Osten Großunternehmen.

Guter Rat überlebte

Nicht weniger dramatisch die Entwicklung auf dem Zeitschriftensektor. 1989, im Jahr des Mauerfalls, gab es in der DDR 543 lizenzierte Zeitschriften. Garten und Kleintierzucht, NBI oder der Deutsche Straßenverkehr, selbst Kinderzeitschriften wie Bummi und Frösi erreichten mühelos Auflagen von 700.000 Exemplaren. Andere Blätter wie die Frauenzeitschrift Für Dich, Mosaik oder Wochenpost überschritten die Millionengrenze, ohne den Bedarf vollständig zu decken.

Die wichtigsten und populärsten Magazine erschienen im SED-eigenen Berliner Verlag. Dieses Filetstück des DDR-Print-„marktes“ hatte sich früh Gruner + Jahr gesichert, gemeinsam mit dem damaligen Partner Robert Maxwell, nach dessen Tod als alleiniger Eigentümer. Doch von den bunten Zeitschriftenlogos am Verlagstower unweit vom Alexanderplatz ist keines mehr übrig. Heute erscheinen im Verlag nur noch Berliner Zeitung und Berliner Kurier.

Zu den ersten Wendeopfern zählten die Freie Welt, die Zeitschrift der deutsch-sowjetischen Gesellschaft, Für Dich, das Blatt des Demokratischen Frauenbundes und die außenpolitische Wochenzeitung Horizont. Andere Blätter wie F.F.Dabei, die einzige Fernseh-Zeitschrift der DDR oder die Wochenpost wurden verkauft und später eingestellt. Zwei Blätter, die Gruner + Jahr an Kleinverleger abstoßen konnte, existieren noch heute: Das Magazin, in Vorwendezeiten auch wegen des in jeder Ausgabe enthaltenen Republik-Nackedei heiß begehrte und immer ausverkaufte „Bückware“, außerdem der Eulenspiegel, die Zeitschrift für Satirefreunde.

Den gesamtdeutschen Spagat schaffte einzig die Verbraucherzeitschrift Guter Rat. Früher nur im Osten verbreitet, ist das Blatt aus dem Super Illu Verlag seit 1997 gesamtdeutsch. Bei nahezu verdoppelter Auflage: Statt 125.000 Exemplaren werden heute 265.000 Stück verkauft. Nicht zu vergessen Super Illu selbst, die einzige erfolgreiche Zeitschriften-Neugründung im Osten. Dem vor 15 Jahren von Burda gestarteten Wochenblatt gelang es, mit einem ostlastigen Mix aus Homestories, Ratgeber, Sex und Politik alle hochwertigen Wettbewerber abzuhängen. Der Untertitel „Eine für uns“ und die redaktionelle Zielvorgabe, „die Einheit Deutschlands zu vollenden“, verdeutlichten das Programm: den Appell an die wunde Ostseele. Mehr als eine halbe Million Käufer in den neuen Ländern fühlen sich bis heute wöchentlich davon angesprochen.

Wenig Glück mit Super!Zeitung

Weniger Erfolg beschieden war Burda mit einem anderen Glied der „Super“- Familie: Die auf antiwestdeutsche Ressentiments getrimmte, anfangs gemeinsam mit Rupert Murdoch herausgegebene Super!Zeitung entwickelte sich zum grandiosen Flop. Zuletzt verkaufte das als Ost-Bild geplante Boulevardblatt gerade mal 350.000 Exemplare. 14 Monate nach Erscheinen wurde Super! im Juli 1993 sang- und klanglos eingestellt.

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