Drohung mit Vertriebs-Sanktionen
Der Kranich-Linie gefiel ein Bericht der „Financial Times Deutschland“ nicht, daraufhin wurde die Zeitung für einen Tag aus den Fliegern verbannt – Ein Lehrstück in Sachen Pressefreiheit in mehreren Aufzügen.
Vorspiel
Von „Bestechlichkeit oder vorsätzlicher Unternehmensschädigung“ ist die Rede – dabei geht es eigentlich nur um einen Allerweltsartikel in der „Financial Times Deutschland“ (FTD): Das Blatt berichtete am 30. März des Jahres, die Lufthansa werde sich „vermutlich“ von einem „erheblichen Teil“ ihrer Finanzbeteiligungen trennen und belegte diesen Sachverhalt mit Zitaten aus einem internen Vorstandspapier.
Hauptakt
Die Lufthansa kauft etwas mehr als 10.000 Exemplare der FTD und legt sie in ihren Fliegern und Wartezonen der Flughäfen aus. Am Erscheinungstag des Artikels wurde den Fluggästen das blassrosa Wirtschaftsblatt vorenthalten. In der Hamburger Redaktionszentrale der FTD merkte das zunächst niemand. Einen Tag später erreichte Gruner + Jahr – die Bertelsmann-Tochter ist neben der englischen Pearson Group Miteigentümerin der seit dem 21. Februar des Jahres erscheinenden Zeitung – ein Fax aus der Lufthansa-Zentrale: Sollte erneut ein solcher Artikel erscheinen, so droht der Chefsyndikus des Konzerns, werde die Wirtschaftszeitung für immer aus den Fliegern der Kranich-Linie verbannt.
Weiter wird dem Blatt vorgeworfen, „unter Ausnutzung einer strafbaren Handlung“ in den Besitz der Unterlage gekommen zu sein: „Diese Art der journalistischen Arbeit kann Lufthansa nicht akzeptieren und gar durch Mitwirkung bei der Verbreitung fördern.“ Der FTD-Chefredakteur Andrew Gowers bezeichnet die Drohung als einen „nicht hinnehmbaren Eingriff in die Pressefreiheit“.
Dann schlug Lufthansachef Jürgen Weber zu: In einem Beitrag der Mitarbeiterzeitung „Lufthanseat“ poltert er am 7. April, das Blatt „räumt einem jungen Nachrichtenjäger Raum ein“, obwohl die Zeitung wissen müsste, wie sensibel solche Papiere seien. Gegen den Informanten fährt Weber schweres Geschütz auf: „Bestechlichkeit oder vorsätzliche Unternehmensschädigung“ sei im Spiel. Durch die Veröffentlichung solcher „ungelegten Eier“ diskreditiere sich die Zeitung zum einen selbst und zum anderen werde „der Kurs unserer Aktie beeinflusst“.
In Anspielung auf die Eigentumsverhältnisse der FTD soll G+J-Zeitungsvorstand Bernd Kundrun an Weber geschrieben haben, „eine Hofberichterstattung gibt es noch nicht einmal über das eigene Königreich“ und verweist auf einen Artikel, der sich kritisch mit der Multimedia-Strategie des Bertelsmann-Konzerns auseinandersetzt. Geschäftspartner von G+J müßten sich „zuweilen unangenehmen Journalismus“ gefallen lassen. Das Verlagshaus nehme keinen Einfluss auf das journalistische Tagesgeschäft der FTD, das sei gelebte Unabhängigkeit auch gegenüber wichtigen Geschäftspartnern.
Zwischenspiel
Dieser Beitrag ist die überarbeitete Fassung eines Beitrages aus der „Frankfurter Rundschau“ vom 12. April. Selbstverständlich sollte auch für den FR-Beitrag schon der Lufthansa Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden. Am Tag der Recherche und des Schreibens war bei der Fluggesellschaft Vorstandssitzung und niemand da, der mit der Presse reden wollte. Der Artikel war verfasst und abgeschickt. Kurz vor 17 Uhr dann ein Anruf vom Lufthansasprecher Klaus Walther. Er erklärt, dass es dem Konzern keineswegs um die journalistische Bewertung des Artikels in der FTD gehe. Man könne nur nicht zulassen, dass „vermutlich eine aus dem Aufsichtsrat heraus begangene Straftat“ durch die Berichterstattung gedeckt werde. Es liege ein Verstoß gegen das Aktiengesetz vor. Auch wurde ihm gesagt, dass sein O-Ton nicht mehr berücksichtigt werden könne, da der Artikel bereits fertig sei und die Seite in wenigen Minuten zum Druck frei gegeben werde. Darauf hin Walther: „Dann rufe ich Herrn Siemens (stellvertretender Chefredakteur der FR, die Red.) an, schließlich haben wir auch mit ihrer Zeitung ein Großabo.“ Nach Rücksprache mit der Redaktion wurde der O-Ton dann doch noch in den Beitrag eingebastelt.
Schlußakt
Die Bestechungsvorwürfe der Lufthansa werden von Gowers zurück gewiesen: „Keiner unserer Redakteure bedient sich strafbarer Mittel, um an für unsere Leser interessante Dokumente zu gelangen.“ Wie bei anderen seriösen Zeitungen üblich, werden auch der FTD immer wieder interne Dokumente aus Firmenkreisen zugespielt. Diese würden dann geprüft, ob sie von öffentlichem Interesse seien. Im vorliegenden Fall sei dies so, da „ein maßgeblicher Teil der Öffentlichkeit Aktionär der Lufthansa“ sei. Die Drohung der Lufthanseaten, die Vertriebsverträge zu kündigen, bezeichnet Gowers als „juristisch haltlos“, da zwischen einer kommerziellen Kooperation und dem journalistischen Inhalt der FTD kein Zusammenhang bestehe.
Die Vorsitzende der dju (IG Medien) in Norddeutschland, Sigrid Meissner, kommentiert den Vorgang: Es sei schon immer so gewesen, dass Konzerne versuchten, auf die Berichterstattung Einfluss zu nehmen. Die Drohung von wirtschaftlichen Sanktionen sei nicht neu. Im vorauseilenden Gehorsam werde dann oft einem Konzernvorstand nach dem Mund geschrieben: „So haben sich viele Firmen an wohlwollende Berichterstattung gewöhnt“, sagt Meissner. So gesehen habe sich das Gewerbe selbst zuzuschreiben, wenn Kolleginnen und Kollegen jetzt wegen kritischer Berichterstattung in die Bredouille kommen. Ob die Konzerne durch die Vielzahl neuer Wirtschaftstitel tatsächlich Gegenwind bekommen, bezweifelt die Gewerkschafterin allerdings. Dennoch müsse man FTD-Chefredakteur Andrew Gowers unterstützen, wenn er sagt, jeden Tag müsse in der Zeitung ein Beitrag stehen, den Konzernvorstände „lieber nicht gedruckt“ sehen wollen.