Lust – von Frust kann keine Rede sein

Ein so nicht gehaltener Erfahrungsbericht

Die Fusion von SDR und SWF hat uns so gut wie geschafft. So gut wie so schlecht, mehr so schlecht. Aber das haben wir vorher gewußt: wir können nicht tagaus tagein die realexistierende Demokratie zu einer richtigen machen wollen und dann damit rechnen, daß uns der Himmel eine gute Fusion beschert. Beten allein nützt auch nichts, wir werden schon wallfahrten müssen. Wer das Ding letztendlich gefingert hat, ist nicht mehr zurückzuverfolgen. Wahrscheinlich aber war es ein mittelschweres Besäufnis an der Mosel, auf dem der Plan gefaßt wurde: endlich ein schwarzer Provinzlimes im Südwesten und Süden gegen die rote Metropolaggression aus dem Norden. Südwestfunk und Süddeutscher Rundfunk, mit der Schweiz und einem Teil Österreichs im Rücken, Hand in Hand mit dem Bayerischen Rundfunk, gegen WDR und Hessischen Rundfunk. Der Saarländische Rundfunk als Oskars linkes Megaphon konnte vorerst vernachlässigt werden. Vorerst, und was die Pygmäen buten und binnen angeht, sollen sie schon mal genau beobachten, wer mit wem Kohl und Pinkel mit Bommerlunder runterspült. Es soll – wie gesagt – ein mittelschweres Besäufnis an der Mosel gewesen sein. Die Teilnehmer gehörten allesamt der CDU an und hatten hinterher Beichtgelegenheit. Deswegen können sie sich auch nicht mehr daran erinnern. Immerhin kam aus der ganzen Runde ein Intendantenkandidat heraus. Der hieß Peter Voß und war damals gerade als ein Mann bekanntgeworden, der seinen Sohn für die Sache des Freien Westens in den Krieg an den Golf schicken wollte. Sohn für Erdöl. Der Sohn soll einverstanden gewesen sein.

Voß empfahl sich den christdemokratischen Zechern mithin als ein Mann, der es sich und den Seinen nicht leicht machte. Er empfahl sich aber besonders als einer, der es denen, die nicht die Seinen sind, schwer macht. Wir gehen in aller Bescheidenheit davon aus, daß wir zu Letzteren gehören. Zunächst jedoch mußte der Kandidat durch drei Wahlgänge hindurch, bis sich das Wahlgremium auf ihn eingekungelt hatte. Die ausschlaggebende Stimme kam von der FDP. Das sollte Voß nie vergessen. Als es später darum ging, für den neuen Südwestrundfunk einen Justitiar zu finden, fand Voß einen FDP-Mann. Der sagte zwar, daß er den Job gar nicht wollte, aber da kannte Voß nichts: manus manum Lavamat. Vielleicht war es auch ein liberaler Minister in Mainz, der auf diesem kategorischen Imperativ bestand. Da kennt sich keiner so genau aus, und wer Voß danach fragt, der erfährt, daß Voß sich überhaupt nicht auskennt. Alles, was er macht, soll er nur gemacht haben, und was er gemacht haben soll, hat er nicht gemacht. Leute, die zechende CDU-Runden und ihre verhängnisvollen Pläne gerne überschätzen, vertreten auch die Ansicht, damals, an der Mosel, sei nicht nur ein provinzieller Südwestlimes, sondern auch ein weiterer Schritt in Richtung Zerstörung der ARD beschlossen worden. Wenn Peter Voß einen solchen Unsinn hören muß, zeigt er denen, die ihn äußern, einen Vogel. Das entbehrt besonders dann nicht einer geistreichen und hintervoßigen Schlagfertigkeit, wenn der Äußerer des Unsinns auf den Namen Vogel hört. So also kann niemand dem neugewählten Intendanten des Südwestrundfunks kommen. Schließlich ist sein Plan Südwest 2000 ein Manöver, das gerade verhindern soll, daß die Politik und ihre Hilfswilligen in den Gremien die ARD den Bach runtergehen lassen wollen. Wir müssen gestehen, daß auch wir zu denen gehörten, die hinter Südwest 2000 Unrat witterten. Das tun wir längst nicht mehr. Wir wissen, daß hinter allem ein kluger Voß steckt. Die Neuordnung der südwestdeutschen Rundfunklandschaft wird Hitlers Autobahn überdauern. Niemand weiß, was bei jenem Moselbesäufnis ausgekaspert wurde, und Beichtgeheimnis bleibt Beichtgeheimnis. Aber wir haben das unbändige Gefühl, daß wir Lust haben dürfen. Lust auf Programm. Kompetente Direktoren, die eigens für sie geschaffene Kommissionen anführen, werden mit Hilfe von Dutzenden von eigens geschaffenen Teamchefinnen und Teamchefs formatierte Programmfahnen im Trendwind flattern lassen, und die Politik wird aufatmen. Endlich nimmt ein öffentlich-rechtlicher Sender seinen Kulturauftrag ernst und gibt der Masse, was Millionen Fliegen wünschen. Aber das findet nur im Vordergrund statt. Im Hintergrund waltet eine clevere Intendantur: aus den populären Programmen volksmusizieren wir den Faschopop raus. Die heavy Blödelwellen nehmen die Kids nicht nur als Konsumenten ernst. Die Infos werden zu Informationen und verlassen den Marketingbereich der subtilen Desinformation. Kultur ist keine radiophone Ohrfeige mehr, die Leute in die Ecken verständlicher Banalität treibt. Wir haben das Zeug und das Zeugs dazu. Zwei Direktoren waren Mitglied in einem badischen Bachchor. Das ist einmalig in der ARD. Es wird die Stunde der Querdenkerinnen und Querdenker schlagen, und Vorvor und Vor und Ruhestand wird denen beschert, die weder heiß noch kalt, sondern lau waren und in jeden, der ihnen vorgesetzt ward, jubelnd hineinpaßten. Wir werden weiterhin Lust haben, Lust auf Veränderung. Bis daß uns der Sensenmann die Flausen wegsäbelt. Aber vielleicht werden wir mit Hamlet aus jenem unentdeckten Land zurückkehren, und es werden wir sein, die an der Mosel saufen.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Reformstaatsvertrag: Zweifel am Zeitplan

Der Medienrechtler Dieter Dörr bezweifelt, dass es den Bundesländern gelingt, sich gemäß ihrer Planungen bis Ende Oktober auf einen Reformstaatsvertrag zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu verständigen. Er halte „diesen Zeitplan, um es vorsichtig auszudrücken, für ausgesprochen optimistisch“, sagte Dörr auf M-Anfrage. Nach dem bisherigen Fahrplan sollte der Reformstaatsvertrag dann bei der Ministerpräsidentenkonferenz im Dezember 2024 unterzeichnet werden.
mehr »

Reform oder Abrissbirne im Hörfunk

Die Hängepartie um Finanzierung und Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) geht weiter. Nach wie vor sträuben sich ein halbes Dutzend Ministerpräsidenten, der Empfehlung der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) für eine Beitragserhöhung um 58 Cent auf 18,94 Euro zu folgen. Bis Oktober wollen die Länder einen Reformstaatsvertrag vorlegen, um künftig über Sparmaßnahmen Beitragsstabilität zu erreichen. Einzelne ARD-Sender streichen bereits jetzt schon ihre Hörfunkprogramme zusammen.
mehr »

Erneute Streiks bei NDR, WDR, BR, SWR 

Voraussichtlich bis Freitag werden Streiks in mehreren ARD-Sendern zu Programmänderungen, Ausfällen und einem deutlich veränderten Erscheinungsbild von Radio- und TV-Sendungen auch im Ersten Programm führen. Der Grund für den erneuten Streik bei den großen ARD-Rundfunkanstalten ist ein bereits im siebten Monat nach Ende des vorhergehenden Tarifabschlusses immer noch andauernder Tarifkonflikt.
mehr »

Schutz vor zu viel Stress im Job

Immer weiter, immer schneller, immer innovativer – um im digitalen Wandel mithalten zu können, müssen einzelne Journalist*innen wie auch ganze Medienhäuser sich scheinbar ständig neu erfinden, die Belastungsgrenzen höher setzen, die Effizienz steigern. Der zunehmende Anteil und auch Erfolg von KI-basierten Produkten und Angeboten ist dabei nur das letzte Glied in der Kette einer noch nicht abgeschlossenen Transformation, deren Ausgang vollkommen unklar ist.
mehr »