Neue deutsche Medienmacher*innen untersuchen die Rundfunkräte
Patricia Schlesinger ist mittlerweile fristlos entlassen, doch abgeschlossen ist die Affäre damit längst nicht. Längst überfällig scheint nun eine ernsthafte Diskussion über die Strukturen der Öffentlich-Rechtlichen – und die Macht beziehungsweise Ohnmacht seiner Kontrollgremien. Der RBB-Rundfunkrat kündigte bereits an, sich kritisch mit seiner eigenen Rolle und Arbeitsweise auseinanderzusetzen.
Rundfunkräte sind dazu da, die Sender zu kontrollieren und zu überwachen – doch dazu seien sie gar nicht in der Lage, sagte der Medienjournalist Fabian Goldmann vor kurzem im Deutschlandfunk Kultur. Ehrenamtliche müssten sich in ihrer Rolle als Rundfunkräte nach Feierabend mit „riesigen Aufgaben“ beschäftigen, denen sie oft nicht gewachsen seien. Das führe zu einem „Machtungleichgewicht zugunsten des Senders“.
Goldmann ist Autor einer Studie, die einen genauen Blick auf die Zusammensetzung der Rundfunkräte wirft. Veröffentlicht wurde sie – nur wenige Tage vor dem Rücktritt Schlesingers – von den Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM), die sich für mehr Diversität in den Medien einsetzen. „Welche Gesellschaft soll das abbilden?“ ist Titel und zugleich Fazit dieser 150-seitigen Untersuchung. Sie kommt zu dem Schluss, dass die Rundfunkräte, der ZDF-Fernsehrat und der Hörfunkrat des Deutschlandradios nicht nur ein Problem mit teils schwierigen Arbeitsbedingungen haben, sondern auch mit mangelnder Vielfalt. Wobei das eine mit dem anderen zusammenhängt, aber dazu später mehr.
Zusammensetzung der Rundfunkräte. 100% entspricht 542 Mitgliedern. Diesen politischen und gesellschaftlichen Bereichen lassen sich die Mitglieder der 12 Rundfunkräte öffentlich-rechtlicher Medien zuordnen.
Idee der Rundfunkräte ist es, die Vielfalt der Gesellschaft zu repräsentieren. Das aber gelingt laut der Studie nicht ausreichend. Die 542 Mitglieder, die in den zwölf Rundfunkräten sitzen, gehörten größtenteils den etablierten Teilen der Gesellschaft an, allen voran: staatliche und staatsnahe Institutionen, Wirtschafts- und Berufsverbände und Gewerkschaften.
Für gesellschaftlich benachteiligte Gruppen gebe es nur wenige Plätze. Die Studie fasst diesen Gegensatz in einem Beispiel prägnant zusammen: Bäuerinnen und Bauern sind in den Rundfunkräten genauso stark vertreten wie Menschen mit Einwanderungsgeschichte – dabei machen Landwirt*innen weniger als ein Prozent der Bevölkerung aus, während 27 Prozent der Bevölkerung einen Migrationshintergrund hat. Mit einer Ausnahme gibt es zwar mittlerweile in jedem Rundfunkrat eine Vertretung für migrantische Gruppen – doch häufig müssen sich dort ganz unterschiedliche Gruppierungen einen Sitz teilen, etwa in Form von Dachverbänden für Migrantenorganisationen: „Als würde der Vertreter der Milchindustrie für die gesamte Wirtschaft sprechen“, heißt es in der Studie.
Wenig Sitze für Muslim*innen
Im Rundfunkrat der Deutschen Welle sind Menschen mit Migrationshintergrund überhaupt nicht vertreten – dieser Rat „repräsentiert von allen untersuchten Gremien am wenigsten die Vielfalt der deutschen Gesellschaft“, so das Ergebnis. Besonders auffallend sei die Abwesenheit von Muslim*innen in den Rundfunkräten: zum einen aufgrund des hohen Bevölkerungsanteils von Menschen muslimischen Glaubens – zum anderen angesichts der „Dauerpräsenz in der Berichterstattung“. Lediglich vier Räte haben Vertretungen von Muslim*innen.
Die Studie kritisiert auch die mangelnde Repräsentanz von LSBTIQ, die erst seit Kurzem in einigen Gremien vertreten sind, etwa im ZDF-Fernsehrat und dem WDR-Rundfunkrat. Bislang hat aber erst die Hälfte der Rundfunkräte einen Sitz für queere Vertretungen. Ähnlich sieht es aus mit Sitzen für Organisationen, die Menschen mit Behinderung repräsentieren – sieben der zwölf Rundfunkräte haben einen solchen Sitz. Auch hinsichtlich des Alters sind die Räte wenig divers: Fast die Hälfte aller Rundfunkratsmitglieder ist älter als 60 Jahre, wie die Studie feststellt.
Ein nahezu ausgeglichenes Verhältnis haben die Gremien in Bezug auf die Geschlechter, der Frauenanteil beträgt im Schnitt 44 Prozent. Die Untersuchung sieht den Grund dafür in entsprechenden Vorgaben in Gesetzen und Staatsverträgen. Allerdings weist der Autor auch darauf hin, dass es noch immer Schlupflöcher gibt, von denen Männer profitieren. So reiche etwa beim Rundfunkrat des Bayerischen Rundfunks ein formloses Schreiben, um die Vorgaben zur Geschlechtergerechtigkeit zu umgehen.
Klare Vorgaben gibt es auch zur erlaubten Staatsnähe der Rundfunkräte. 2014 hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt, dass der Anteil der staatlichen und staatsnahen Mitglieder nicht mehr als ein Drittel betragen darf. Im Schnitt erfüllen die Räte diese Vorgabe, wobei beim Hessischen Rundfunk mit rund 19 Prozent der Anteil staatsnaher Vertreter*innen besonders gering ist und die Deutsche Welle am anderen Ende der Skala auf über 41 Prozent kommt.
Insgesamt machen die staatsnahen Mitglieder noch immer die größte Gruppe in allen Rundfunkräten aus. In diesem Zusammenhang verweist die Untersuchung auf die sogenannten Freundeskreise, die sich traditionell in ein SPD- und ein CDU-nahes Lager aufteilen und nach Ansicht von Beobachter*innen großen Einfluss auf wichtige Entscheidungen in den Räten ausüben. Kritik an dem „Machtzentrum“, das auf diese Weise entstehe, übt in der Studie etwa ZDF-Fernsehrat-Mitglied Jenny Luca Renner vom Lesben und Schwulenverband (LSVD) Thüringen. Renner verweist außerdem auf die ungleichen Voraussetzungen der Rundfunkräte. Während Staatsvertreter*innen und teilweise auch Angehörige großer Organisationen ihre Arbeit im Rundfunkrat im Rahmen ihrer dienstlichen Tätigkeit ausüben könnten, müssten Mitglieder aus der Zivilgesellschaft sich den Aufgaben in ihrer Freizeit widmen. Ihnen stehe auch kein Büro zur Verfügung, das die Sitzungen vorbereite und bei der inhaltlichen Einarbeitung helfe.
Für mehr Flexibilität sorgen
„Genau wie viele andere Vertreter*innen zivilgesellschaftlicher Organisationen mache ich das neben meinem normalen Job“, sagt auch Bendix Lippe in einem weiteren Interview in der Studie. Der 25-Jährige saß bis vor Kurzem im ZDF-Fernsehrat und gehörte damit zu den wenigen jungen Gesichtern in den Räten. „Wir bekommen normalerweise nicht einmal Urlaub für die Fernsehratstage“, sagt Lippe. „Stattdessen bekomme ich jedes Weihnachten vom ZDF ein handgeblasenes Mainzelmännchen.“ Und hier treffen die beiden wesentlichen Ergebnisse der Studie aufeinander: Viele Menschen, die in der Gesellschaft ohnehin schon unterrepräsentiert sind, haben in den Rundfunkräten nicht nur wenig Sitze – sie haben auch weniger Ressourcen als etablierte Akteure, um Einfluss zu nehmen.
Die Studie übt nicht nur Kritik, sie schlägt auch konkrete Maßnahmen vor, die für mehr Vielfalt und weniger Übermacht bestimmter Gruppen sorgen – etwa rotierende Sitze oder Losverfahren, die für mehr Flexibilität sorgen, höhere Aufwandsentschädigungen und Anspruch auf Sonderurlaub für Vertreter*innen von Organisationen, die ehrenamtlich organisiert sind. Zudem regt die Studie an, mehr externe Expertise einzuholen, beispielsweise, wenn es um einen Fall problematischer Berichterstattung über eine gesellschaftliche Gruppe geht – insbesondere dann, wenn diese Gruppe nicht im Rundfunkrat vertreten ist.
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