Soziale Medien können süchtig machen. Gerade für Kinder und Jugendliche stellt das sogenannte „rabbit-hole“ eine Gefahr dar. Die Bundesländer haben sich daher nun auf Neuerungen beim Jugendmedienschutz verständigt. Die zentralen Änderungen betreffen den technischen Jugendmedienschutz. Sie sollen dafür sorgen, dass sich bei Kindern und Jugendlichen beliebten Endgeräten ein Jugendschutzmodus aktivieren lassen muss. Das sieht der aktuelle Entwurf für die Überarbeitung des Jugendmedienschutzstaatsvertrags vor.
Die Novelle wird im Länderkreis als 6. Medienänderungsstaatsvertrag bezeichnet. Dessen Entwurf sei Anfang April der EU-Kommission in Brüssel zur Notifizierung übermittelt worden, erklärte die rheinland-pfälzische Staatskanzlei auf Anfrage. Rheinland-Pfalz koordiniert die Medienpolitik der Länder.
Gemäß EU-Recht müssen die Mitgliedstaaten die Kommission grundsätzlich über jeden Entwurf von technischen Regelungen und Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft informieren, bevor die Änderungen in Kraft treten. Bis Anfang Juli läuft nun eine Frist, in der Kommission prüft, ob die Staatsvertragsnovelle zum Jugendmedienschutz mit den EU-Vorgaben vereinbar sind.
Jugendschutzvorrichtung für Betriebssysteme
Die Bundesländer wollen künftig die Anbieter von solchen Betriebssystemen in die Pflicht nehmen, die „von Kindern und Jugendlichen üblicherweise genutzt“ werden. Dazu dürften Betriebssysteme von Apple, Google und Microsoft gehören, die etwa auf Smartphones und Spielekonsolen zum Einsatz kommen. Welche Betriebssysteme konkret erfasst werden, das soll laut dem Staatsvertragsentwurf die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) beschließen. Laut den geplanten Vorgaben müssen diese Betriebssysteme „eine Jugendschutzvorrichtung“ enthalten. Diese müsse einfach und leicht zugänglich zu aktivieren, deaktivieren und anzupassen sein.
Apps für jedes Alter
Die von Kindern und Jugendlichen genutzten Endgeräte müssen über die Betriebssysteme den Planungen zufolge altersgerechte Einstellungen ermöglichen. Über die Jugendschutzvorrichtung müsse die Altersstufe etwa ab sechs oder ab zwölf Jahren aktivierbar sein. So soll erreicht werden, dass Kinder und Jugendliche unter anderem nur solche Apps nutzen können, die ihrer Altersstufe entsprechen. Außerdem geplant: Apps sollen nur von solchen Plattformen installiert werden können, die die Altersstufen berücksichtigen.
Die Jugendschutzvorrichtung müsse darüber hinaus „in abgesicherter Weise“ nutzbar sein, wie es im Staatsvertragsentwurf weiter heißt. Das bedeutet, die Jugendschutzvorrichtung muss sich beispielsweise über ein Passwort sichern lassen. Dadurch soll verhindert werden, dass Kinder und Jugendliche etwa von ihren Eltern vorgenommene Einstellungen wieder verändern.
Eltern besorgt über Medienkonsum
Zwei Drittel der Eltern, deren Kinder im Internet unterwegs sind, nutzten bisher „keinerlei Möglichkeiten des technischen Jugendmedienschutzes“. Und das, obwohl zugleich drei Viertel der Eltern der Ansicht seien, „dass Kinder im Internet auf Dinge stoßen, die nicht für sie geeignet sind“. Zu diesen Ergebnissen kam die 2023 veröffentlichte KIM-Studie (Kindheit, Internet, Medien). Die repräsentative Studie wird seit 1999 alle zwei Jahre vom Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest durchgeführt.
Beim Leibniz-Institut für Medienforschung Hans-Bredow-Institut (HBI) erwartet man, dass die EU-Kommission unter anderem die geplanten Regelungen zu den Betriebssystemen genau prüfen wird. Betriebssysteme seien Angebote, die unter die EU-Dienstleistungsfreiheit fielen, erklärte Stephan Dreyer, Senior Researcher für Medienrecht und Media Governance am HBI, auf Nachfrage.
Die vorgesehenen Änderungen fänden auch Anwendung auf Betriebssysteme von Unternehmen aus dem EU-Ausland, die ihre Software in Deutschland anbieten würden, so Dreyer. Hierzulande könnten sie die Software künftig nur legal anbieten, wenn sie eine Jugendschutzvorrichtung implementierten. Sollte aber die Software eines Anbieters ohne eine solche Funktion in seinem Niederlassungsland zulässig sein, dürfe er sie gemäß der Dienstleistungsfreiheit auch unverändert in Deutschland anbieten. Die geplante Vorschrift im deutschen Jugendmedienschutzrecht könne als „eine produktbezogene Regulierung und damit als Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit“ zu sehen sein, wenn das Herkunftslandprinzip bei der Staatsvertragsnovelle nicht entsprechend berücksichtigt werde.
Medienaufsicht stärken
Die Bundesländer wollen mit der Staatsvertragsnovelle ferner die Medienaufsicht stärken. So sollen die KJM und die Landesmedienanstalten Netzsperren als letztes Aufsichtsmittel umfassender als bisher beschließen können. Konkret zielt dies auf ausländische Porno-Plattformen, die in Deutschland pornografische Inhalte frei zugänglich über das Internet verbreiten. Das ist verboten, weil diese Inhalte auch für Kinder und Jugendliche abrufbar sind. Solche Webseiten sind nur zulässig, wenn sie ausschließlich von Erwachsenen nach entsprechender Altersüberprüfung genutzt werden können.
In der Vergangenheit hatte die deutsche Medienaufsicht gegen eine ausländische Porno-Seite eine Netzsperre verhängt. Internet-Providern wurde auferlegt, die Webseite zum Abruf aus Deutschland zu sperren. Dies umging der Anbieter, indem er sein Angebot unter einer veränderten Subdomain wieder anbot. Eine erneute Sperrung ist aber erst nach Abschluss eines neuen Prüfverfahrens möglich. Die Staatsvertragsnovelle soll dafür sorgen, dass Netzsperren künftig auch Webseiten erfassen, die „ganz oder im Wesentlichen inhaltsgleich sind“ mit dem Angebot, für das eine Netzsperre beschlossen wurde. Geplant ist außerdem, dass die Medienaufsicht Finanzdienstleistern untersagen kann, den Zahlungsverkehr von unzulässigen Webangeboten ausführen.