Mehr Rechte für den Überzeugungstäter Filmproduzent

Für neue Strukturen in der Filmwirtschaft und bei der Förderung des deutschen Film streitet Georgia Tornow, Generalsekretärin der Interessengemeinschaft Filmproduktion film20

 

„Mehr Geld für den deutschen Film!“ forderte film20 am Eröffnungstag der diesjährigen Berlinale auf einer Fachkonferenz. In Zeiten der Sparhaushalte scheint diese Forderung vermessen, noch dazu, da die Filmbranche auf ein Rekordjahr zurückblickt! 

Tornow: Stimmt, 2001 war ein echtes Rekordjahr an den deutschen Kinokassen: 30,9 Millionen Besucher für deutsche Filme, 71 % mehr als im Vorjahr! Allerdings: Der „Schuh des Manitu“ lockte davon allein knapp 11 Millionen Besucher. Zieht man diesen Total-Ausreißer ab, haben wir den Stand der Vorjahre mit 20 Millionen Zuschauern für den deutschen Film gut gehalten – basta! Ich will das Rekordjahr an den Kinokassen nicht klein reden, nur: 2001 war kein Rekordjahr für die Produktionsfirmen.

Was bleibt vom Erfolg beim Produzenten?

Diese Frage spiegelt nicht nur das Interesse einer Gruppe wider, sondern beleuchtet das Kernproblem der ganzen Branche: denn wenn Erfolge wiederholbar gemacht werden sollen, muss die wirtschaftliche Basis beim Produzenten breit und stark sein. Das ist vernünftig, das versteht jeder, das ist aber leider reines Wunschdenken. Die Realität sieht so aus: Illusionsproduktion ist technisch komplex und personell arbeitsintensiv, kurz: wirklich teuer. Deswegen müssen Produzenten seit der Zeit, wo die Bilder laufen lernten, hohe Budgets vorfinanzieren – noch bevor der Film fertig ist, verkauft der Produzent fast alle Rechte an seinem Produkt: an Banken, an Verleiher, heute auch zunehmend an Sender. Nach der Produktion ist alles ausgegeben, der Produzent behält so gut wie nichts zurück für den Ausbau seines Apparats, für Neuentwicklung. Beim nächsten Film fängt die Verkaufsarie von vorne an – eigentlich ein ewiger Enteignungskreislauf. Produzenten wären Masochisten aus Prinzip, wenn es sie nicht ganz real gäbe: die Riesenerfolge, den totalen Blockbuster. Nur: Das Publikum ist ein unberechenbares und unzähmbares Wesen. Von vier Filmen kommt vielleicht einer halbwegs an, von acht muss einer ein Supererfolg sein – so rechnet die Branche in den USA mit dem Weltmarkt im Hinterkopf. Filmproduktion ist Hochrisiko-Geschäft – auf dem kleinen deutschen Markt noch mehr. All das bedeutet: Die Forderung „Mehr Geld für den deutschen Film!“ ist richtig. Von aktuellen Sparhaushalten und öffentlichem Kassenstand ist das aber nicht unbedingt abhängig: Mehr Geld soll doch gerade nicht nur aus den Fördertöpfen kommen!

Woher soll das Geld denn kommen?

Auf unserer Konferenz musste sich der Produzent zuerst an die eigene Nase fassen: Unser erstes Panel hat untersucht, warum es um die Eigenmittel so schlecht bestellt ist und sofort sind wir bei der extrem schlechten Refinanzierungsquote von Produzenten in Deutschland gelandet – und die hat Ursachen! Luciano Gloor vom Club des Producteurs Europ_ens hat den deutschen Produzenten vorgeführt, dass bei uns die Herausbringungskosten höher sind, die Fernsehlizenzen niedriger und dass den Franzosen ganz allgemein und in Geld der französische Film mehr wert ist. An jeder zweiten Ecke tauchten dann die Sender als Verursacher oder eifrige Nutznießer der Misere auf. Der zweitgrößte Fernsehmarkt der Welt hat sich seine Geschäftsbedingungen geschaffen – für Produzenten entstehen daraus strukturelle Macken. Erst wenn die politisch verändert werden, können Produzenten ihren Eigenbeitrag erhöhen! Dann haben wir Reserven beim Fremdkapital identifiziert: Es ist doch verrückt, dass im vergangenen Jahr 3,1 Milliarden Mark (1,58 Mrd Euro) privates Geld in Filmfonds angelegt wurde, das dann vor allem nach Hollywood floss. Dieses riesige Volumen muss stärker dem deutschen Film und der deutschen Produktionswirtschaft zu Gute kommen – da müssen Standorteffekte belohnt werden, braucht man steuerpolitische Phantasie. So, und erst auf dem dritten Podium haben wir dann die Filmförderung unter die Lupe genommen. Ergebnis: Sie muss verstärkt als Anreiz für Erfolg funktionieren – oder anders herum: Erfolg beim Publikum und bei Festivals muss belohnt werden!

Es ist also nicht der bloße Schrei nach mehr Geld, sondern nach Veränderung der Bedingungen?

Das ist richtig. Die Medienordnung für die gesamte Produktions- und Senderlandschaft gehört auf den Prüfstand. Wir brauchen veränderte politische Rahmenbedingungen, die Übermacht der Sender zu Lasten der Produktionsfirmen muss gebrochen werden. Es gilt, die Rechte und Eigenverantwortung der Produzenten zu stärken. Die Sender müssen sich auf das Senden konzentrieren und Produzenten auf das Produzieren. Es geht also um ein Gesamtkonzept, und das zu entwickeln, dafür sind Produzenten, Sender und Politik verantwortlich.

Bleiben wir bei den Prozenten, wie können die ihr Eigenkapital vermehren?

Die Produzenten müssen mehr Geld aus der Verwertung ihres eigenen Produkts ziehen können. In der Filmwirtschaft gibt es beispielsweise für referenzgeförderte Filme eine geschlossene, zeitlich fixierte Verwertungskette: Kino, Video / DVD, Pay-TV, Free-TV. Außerdem ist der heimische Kinomarkt relativ klein, der Weltmarkt nicht ausreichend erobert – hier liegt ein krasser Verwertungsnachteil zu den USA.

Pay-TV ist bei uns angesichts der großen Zahl öffentlich-rechtlicher und privater Free-TV-Sender kein wichtiger Faktor – im deutlichen Unterschied zu England und Frankreich. Total positiv für die Refinanzierung hat sich nur Video / DVD entwickelt – das boomt!

Zweischneidig ist dagegen die Bedeutung des Free-TV. Das dominante Kooperationsmodell ist in Deutschland nicht der Kauf einer Sendelizenz nach der Fertigstellung eines Films, sondern die Kofinanzierung bzw. Koproduktion von Anfang an – bei voller Überlassung der Rechte für in der Regel 7 Jahre. In dieser Zeit kann der Partner-Sender den Film so lange wiederholen, bis ihn jeder auswendig kennt! Diese Schieflage gehört abgeschafft! Zumal sie auch die Entwicklung eines Zweitverwertungsmarktes für Filme behindert – das gehört genauso zu den Strukturen, die aus Deutschland kein modernes Medienland machen, wie das nicht-ausgebaute Kabelnetz. Festzuhalten ist: Deutschland ist der zweitgrößte Fernsehmarkt der Welt nach den USA, aber gleichzeitig geht es den Filmproduzenten schlecht – das ist kaum nachvollziehbar.

Ohne Fernsehen kommt ein Produzent auf keinen grünen Zweig, auch wenn er vom großen Kinofilm träumt?

Das stimmt – und sogar in einem doppelten Sinn: Die meisten Produzenten in Deutschland sind auf das Fernsehen angewiesen, wenn sie professionell – das heißt in größeren Stückzahlen – produzieren wollen. Allein mit Kinoproduktionen ist das nicht zu schaffen, dazu ist der deutschsprachige Markt zu klein. Der große Fernsehmarkt hat einen riesigen Programmbedarf an fiktionalen Stoffen und ist damit ein hoch willkommener Abnehmer – im Grunde. Denn auch da zieht der Produzent den Kürzeren: Für TV-Produktionen gibt es ein Geschäftsmodell aus den Kindertagen des Fernsehens, dass davon ausgeht, dass die Sender „vollfinanzieren“ und dafür alle Rechte bekommen. Zu den Rechten habe ich eben schon alles gesagt – aber auch in der „Vollfinanzierung“ steckt mittlerweile der Wurm: Produzentenleistungen wie Projektentwicklung, Castings, Versicherungen und höhere Stabgagen haben sich die Sender angewöhnt, unentgeltlich mitzunehmen. Meine Mitglieder melden, dass bei der sogenannten Vollfinanzierung nur zwischen 85 bis 95 Prozent des gesamten Produktionsrahmens wirklich bezahlt werden. Das muss sich zuallererst einmal ändern, das ist eine Bringeschuld der Sender! Wirtschaftsmacht so zu missbrauchen – ganz ohne Bundesrats-Theater: das empört mich jedesmal wieder neu!

Hier muss als eine weitere Quelle für Finanzierung die Förderung greifen. Wie steht es damit derzeit in Deutschland, was muss sich verändern?

Für große Kinofilme benötigt man entsprechende Budgets. Und die sind in Deutschland zu gering. So arbeiten die Amerikaner im Schnitt mit 60 Millionen Dollar-Budgets für einen Film, die Franzosen mit 6 Millionen Euro und die Deutschen gerade mal mit 6 Mio Mark, also knapp 3 Millionen Euro. Deutsche Produzenten, die gezwungen sind, ihre Filme wie ein Durchlauferhitzer zu finanzieren, sind da gehandikapt. Deswegen – und weil der Markt sich den Hollywood-Giganten gegenüber auch kulturell behaupten muss – brauchen wir eine effektive Förderung des deutschen Films – und zwar auf Dauer und richtig.

Zur Verbesserung der Förderung orientiert sich film20 zuerst einmal auf die Filmförderungsanstalt (FFA). Nur um es in Erinnerung zu rufen: Dort kommen keine Subventionen zur Verteilung, sondern das ist ein Selbsthilfetopf, in den die ganze Branche einzahlt! Zur Effektivierung der FFA-Förderung setzt film20 auf drei Eckpunkte: Die gerechte Erhöhung der Beiträge aller Branchenmitglieder, die drastische Erhöhung der Senderbeiträge und die Umschichtung der Mittel auf einen Hauptanteil Referenzförderung. Noch zwei Bemerkungen: Nein, wir rufen die Sender nicht zum Erzfeind aus und wollen sie auch nicht überall schröpfen. Wir sind aber der Meinung, dass die 22 Millionen DM, die das öffentlich-rechtliche wie das private System bisher jährlich an die FFA gezahlt haben, angesichts von 10.000 Spielfilmen, die jährlich gesendet wurden, nicht gerecht sind. Schließlich hat das Fernsehen einen hohen Nutzen vom Kino, zum

einen als Lieferant von Programm, aber auch als Lieferant von Image und Glamour. Stars haben immer noch was mit Kino zu tun!

Umfangreicher ist jedoch die Länderförderung?

Ja , allen voran Bayern und Nordrhein-Westfalen haben wirklich große Summen mobilisiert – allerdings auch unter dem Gesichtspunkt der Standortentwicklung, weshalb man von den Produzenten „Standorteffekte“ im jeweiligen Land verlangt. Im Bund gab es im letzten Jahr von der FFA 21 Millionen Euro und vom BKM 6,2 Millionen für Kinofilm-Förderung – die Länder brachten gemeinsam 70 Millionen DM auf – im Wesentlichen Projektförderung. Allein vom Volumen her ist dieser Batzen wichtig – aber wir haben uns angesichts der laufenden Debatte im Vorfeld der für 2003 anstehenden Novellierung des Filmfördergesetzes (FFG) auf die zentrale Ebene konzentriert – dort wünschen wir uns allerdings eine Professionalisierung der Gremienentscheidung über Projekte.

Nach den Vorschlägen des Kulturstaatsministers Nida-Rümelin sollen Fördermöglichkeiten in Zukunft umfassender und gleichzeitig differenzierter sein …

Das ist das Besondere am filmpolitischen Konzept des Staatsministers, dass er eine Gesamtschau vorgelegt hat, die den Film als Kulturgut betrachtet. Eine wirklich gute Initiative. Seine Ideen weisen in die richtige Richtung, etwa bei der Drehbuchförderung und bei der Förderung der Herausbringung von Filmen. Für Produzenten ist das Wichtigste die Erhöhung der Referenzförderung, sie muss neben dem Erfolg am Boxoffice weitere Kriterien für die Berechtigung haben, etwa die Nominierung für große Filmpreise, die Teilnahme im Hauptprogramm großer ausländischer Festivals und auch den Auslandsverkauf. Gerade Letzteres ist doch wichtig, wenn der deutsche Film als Kulturgut über Ländergrenzen hinaus Verbreitung und Anerkennung finden soll.

Referenzförderung muss also als Anreizsystem funktionieren für Erfolg – auf allen Ebenen.

Wie sehen Sie die Förderung für Newcomer in Deutschland?

Ich denke, da gibt es die geringsten Probleme. Wir haben so viele Filmhochschulen und verschiedene Förderungen für Anfänger, dass diejenigen, die von ihrem Projekt überzeugt sind, die dafür brennen, das auch hinkriegen. Aber der Erstling ist eine Ausnahmesituation – Freunde und junge Schauspieler helfen oft ohne Honorar, die technischen Ausstattungen der Hochschule stehen kostenlos zur Verfügung … Das kommt so nie wieder! Da wäre es gut, eine spezielle Anfänger-Förderung mit Augenmaß zu haben, etwa mit Budgets um die 1 Million Euro. Das eigentliche Problem ist aber, dass sich der begabte Nachwuchs angesichts der Schwergängigkeit der deutschen Kinoproduktion verabschiedet – in Richtung Hollywood oder zum Fernsehen. Braindrain nennt man so etwas – in der Regel ein unerwünschter Effekt.

Wenn Produzenten selbstkritisch sind, wo sehen sie Reserven?

Wenn die Produzenten selbstkritisch sind, müssen sie zugeben, dass sie – wie in manchen Beziehungskisten – zu lange mitgemacht haben. Ein Beispiel: Bis heute sind viele bereit, bei der Produktion eines TV-Movies draufzuzahlen, in der Hoffnung, nach mehreren dieser Härtetests dann einen Serien-Auftrag zu bekommen – Motto: „Mein Mann (wechselweise Meine Frau – keine Geschlechterdiskriminierung!) vertrinkt das Geld, schlägt mich, wenn ich aber weiter ganz arg nett bin, lächelt er / sie mich morgen vielleicht an!“

Produzenten sind besessene Überzeugungs- und Wiederholungstäter. Es ist falsch, dass sie in ihrer kreativen Rolle für den Film so wenig Anerkennung finden – etwa im aktuellen Urheberrecht. Es ist aber auch falsch, wenn sie sich nicht verstärkt Anerkennung verschaffen. Produzenten wollen endlich behandelt werden wie die Vertreter einer vernünftigen Zukunfts- und Wachstumsbranche – und nicht wie der Blinddarm der Sender. Es geht um die Vision der deutschen Medienlandschaft im 21. Jahrhundert, wo unterschiedliche, klar arbeitsteilige Akteure miteinander auf Augenhöhe verhandeln. Für die Augenhöhe hat die Politik zu sorgen. Für den Rest muss man selber was tun.


film20

Die Interessengemeinschaft Filmproduktion film20 wurde 2001 gegründet, um die Rahmenbedingungen für Film- und Fernsehproduzenten in Deutschland zu verbessern.

Sie hat folgende Mitglieder: Bavaria Film, Boje Buck Produktion, CLAUSSEN+WÖBKE, Columbia TriStar Film- und Fernsehproduktion, Constantin Film, DAS WERK / Road Movies, Deutsche Columbia Filmproduktion, F.A.M.E / INDIGO Film, filmpool, Hager Moss Film, Highlight Communications, Kinowelt Medien, MULTIMEDIA Filmproduktion, ndf, Odeon Film, Producers‘ AG, Senator Entertainment, Studio Hamburg Produktion, TeamWorx, UFA Film & TV Produktion, X Filme, Ziegler Film. Ehrenmitglied: Günter Rohrbach.

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